The Royal Macadamians – Experiments In Terror


Aus dem Off schieben sich völlig überraschend Außenseiter ins Bild, die alle Konkurrenten auf die Plätze verweisen. Das neue Jahr fängt gut an.

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Dieses Motto gilt leider allzu oft, wenn Musiker sich einen Scherz erlauben. Denn wirklich witzig wird’s nur selten. Die terroristischen Experimente der .Königlichen Macadamier“ hingegen führen gleich auf mehreren Ebenen zu respektablen Resultaten: Sie lassen in musikalischer Hinsicht keine Wünsche offen. Sie schlagen allen Schubladendenkern und engstirnigen Radio-Programmgestaltern ein hinterlistiges Schnippchen. Und sie sind witzig bis aberwitzig.

Was sich auf den ersten Blick als Ergebnis einer ausgelassenen Studio-Session darsiellt, enthüllt sich so peu ä peu als doppel- und tripel-bödiges Verwirrspiel mit fiesen Fußangeln, hinterhältigen Hakenschlägen und unerwarteten Kurswechseln. Das Team um Produzent Davitt Sigerson scheute dabei vor keinem Trick zurück: Da werden unbekümmert ätzende Metal-Gitarren mit schrägen arabischen Vierteltönen verkuppelt. Eine erotische Frauenstimme preist die Schönheit des Libanon und lädt 2um Besuch des Casinos von Bei rut ein, und dazu knattern Maschinen gewehre, Granaten pfeifen, Sirenen heulen, ein Mann gibt scheußliche Geräusche von sich, und eine Frau stöhnt lustvoll — oder schluchzt sie erstickt in ihr Kopfkissen? Hopsende Funk-Rhythmen, teutonisches Synthie-Gedröhn, schräge Jazz-Soli und verzerrte Euro-Disco sind nur einige weitere Bausteine dieses in jeder Hinsicht exzentrischen musikalischen Kopfsteinpfloslers. Dazu gibt’s unter anderem noch Dichterlesungen und Raucherhusten — in jedem einzelnen der sieben Titel stecken mehr gute Einfälle als sonst auf einem ganzen Album.

Das alles hört sich in der Beschreibung wesentlich komplizierter an, als es tatsächlich klingt. Und das ist ein weiterer Pluspunkt dieser Produktion: Sie überfüttert den Hörer nicht mit kopflastiger Experimental-Akrobatik, sondern bleibt trotz aller terroristischen Aktivitäten stets auch extrem unterhaltsam. Mehr noch: Die Songs entwickeln langsam, aber unaufhaltsam Ohrwurmqualitäten — und das will für eine derlei wilde Stilmischung wahrlich was heißen. Deshalb werden die Königlichen Macadarmer wohl auch bald den Weg aus dem Importdienst-Ghetto ins reguläre Programm der Plattenfirma (Island/BMG) finden — aus dem Off direkt in das Zentrum des Geschehens.

FURCHT UND…

Produzent Davitt Sigerson, der treibende Motor hinter den Royal Macadamlans, gab zu den einzelnen Tracks erklärende Kommentare:

»Relax In Lebanon“: »Es schien uns angemessen, daß unser Tribut an das Nachtleben von Beirut eher wie ein deformierter Quincy Jones denn wie arabische Popmusik klingt.‘ »Live From The Nasserdome“: »Wenn die Bar-Kays in unserem imaginären Superstadium in Kairo jemals als Vorgruppe für die legendäre ägyptische Sängerin Om Kalsoum aufgetreten wären, hätte sich das garantiert nicht so angehört — scheußlich, oder?‘ »Arbeit macht frei“: »Die Ironie dieses Satzes führte zu einer Jam-Session, und das Ist das Ergebnis.“ Der Text stammt aus einem Buch des Autors George Jackson über deutsche Konzentrationslager.

.Pornokiss“: »Die häufige Verknüpfung von Sex und Gewalt in der Popkultur beunruhigt mich – und sie beunruhigt mich auch in diesem Song.

Wir wollten weder moralisieren noch glorifizieren. Wir schickten einfach Serge Gainsbourg, Miles .Davis und Nino Rota auf einen Spaziergang über , die Reeperbahn.* y.Houseboy“: »Swimmingpool-Musik für Gilberto GH — und es ist schon ein kleiner Hit für Telefon-Anrufbeantworter.‘ Boby“: »Hier gibfs ein Duell zwischen persischer Fiedel und ägyptischen Streichern. Der Vocoder sagt: ,Wir sind ganz allein.‘ Das kann man entweder im Sinne von Luther Vandross oder von Albert Camus verstehen. Oder beides.‘ »Whatever*: »Was immer das auch ist — «s ist wahrscheinlich keine Musik. Phil Shenale sammelte 47 verschiedene Akkorde im Computer und versuchte daraus einen schlechten Pop-Standard zu schustern, indem er die Sequenz dreimal spielte: erst als pseudoklassischen Schlock, dann als scheußlichen Gitarrenrock und schließlich als Zahnschmerzen erzeugende Euro-Disco. Wer das nicht mag, ist OK. Wer’s mag, ist Macadomier, auch wenn er gar nicht so aussieht.‘

… SCHRECKEN

Wer verbirgt sich eigentlich hinter diesen Sound-Terroristen, die ohne Rücksicht auf Verluste aus dem Hinterhalt zuschlagen?

Der harte Kern der Truppe rekrutiert sich aus zwei Musikern und zwei Studio-Arbeitern. Produzent Davitt Sigerson, der in den 80er Jahren auch einige Soloalben veröffentlichte, machte durch seine Arbeit mit David + David auf deren Album WEL-COME TO THE BOOMTOWN von sich reden. Zusammen mit Tonmeister John Beverley Jones mischte Sigerson aber auch bei Produktionen der Bängtes und Replacements, von Bruce Hornsby und Camper Van Beethoven mit. Die beiden Musiker des harten Macadamier-Kerns heißen Phil Shenale und Bob Thiele Jr. Das zu allem entschlossene Quartett verbrachte vier Wochen lang improvisierend im Studio und verwurstete dabei allerlei musikalische Einflüsse: Thelonious Monk und Marc Bolan, Frank Sinatra und die libanesische Sängerin Fairuz, den Komponisten Lalo Schiirin und den Funker Zapp Troutman, den brasilianischen Samba-Meister Antonio Carlos Jobim und die Hauskapelle des Hilton-Hotels von Damaskus. So zumindest schildern es die Beteiligten, die ihren Studioaufenthalt eher als Urlaubsvergnügen denn als sertöset Plattenprojekt betrachteten — und folgerichtig gibt es nicht einmal Fotos von der Truppe. Denn weitere Sessions, so Sigerson, sind vorerst nicht geplant.

Zu den vier Erz-Macadamiern geseilten sich wechselnde Studiogäste, von denen zumindest einer auch weiteren Kreisen der Pophörerschaft bekannt sein dürfte: David Ricketts, der seinerzeit zusammen mit David Baerwald das vielgelobte Duo David + David bildete. Ricketts spielt Gitarre, Keyboards und Baß, legt sich aber hier genauso wenig auf ein Instrument fest wie die anderen Royal Macadamians. Wahrscheinlich sind ihre terroristischen Experimente auch deshalb so reibungslos Ober die Bühne gegangen.