The Unicorns


Wer sie voreilig als Lügenbarone und Karnevalsmusikanten abtut, wird den brillanten kanadischen Indie-Aufsteigern nicht gerecht.

Unsere Haare wachsen bekanntermaßen noch ein kleines Stückchen, nachdem wir gestorben sind, und manchmal, da wachsen auch Platten noch ein bisschen, wenn man sie eine Weile beiseite legt und fast vergisst, um sie dann nach einiger Zeit wieder hervorzukramen und mitausgeruhten Ohren zu hören, Who Will Cut Our Hair When We’re Gone? ist eines dieser Alben, das in der Lage ist, zwischen dem ersten und dem dritten Hören einen kleinen Quantensprung zu vollziehen: Wo waren all die zauberhaften Indie-Hits, all die grandiosen, seltsamen Song-Juwelen, als wir diese Platte zum ersten mal begutachtet haben? Haben wir das fantastische, mit kindlicher Begeisterung dahinstolpernde „Les O.S“, das unverschämt melodische „Sea Ghost“ und das Beatles-esque „1 Don’t Wanna Die“ wirklich für charmante, aber doch halbfertige Songskizzen gehalten, nur weil sie kurz sind, absichtlich schrägen Harmoniegesang, verspielte Geräusche und Dudelsack pfeifen enthalten? Kaum mehr vorstellbar, hat man sich mit diesem Werk erst einmal angefreundet. Besessen vom Tod, dem Leben und allem, was dazwischen liegt – vier der zwölf Songtitel enthalten das Wort „Ghost“, zwei verweisen auf das Sterben -, haben Nicholas „Neil“ Diamonds, Alden Ginger (beide Keyboarder, Gitarristen und Sänger) und Schlagzeuger J’aime Tambeur in Montreal ein für sie schlüssiges Arbeitskonzept entwickelt: „We wrote pop songs and then fucked with them“. Ohne Respekt vor der eigenen Schöpfung haben die drei Kanadier – wie einst auch, falls sich noch jemand daran erinnert, Simian — kleine Popsongs mit halbkaputten Keyboards, veralteten Orgeln und allerlei sonstigem Flohmarkt-Equipment dekonstruiert. Dass ihnen die Kompositionen, die in ihrer gewollten Imperfektion bisweilen an Folk Implosion, Pavement und The Flaming Lips erinnern, Erfolg in der Indie-Community bescheren, freut sie sehr, da es ihnen nun mindestens einmal in der Woche die Gelegenheit gibt, einem gutgläubigen Journalisten Geschichten aus Münchhausen zu erzählen: „Oh doch, Einhörner kommen in der Bibel vor – allerdings nur vor der Sintflut“; „Wir sind auf Schweinen in die Schule geritten“; „sechs Malaysische Sklaven entwerfen unser Artwork“, etc. Fischt man im Ozean der Halbwahrheiten ihrer Biografie, stößt man auf eine Messerstecherei, in die Alden Ginger verwickelt gewesen sein soll, auf diverse Vorstrafen im Zusammenhang mit Drogen und Autodiebstahl und einen Plattenvertrag mit einem japanischen Esoterik-Label. Zweifelsfrei fest steht lediglich, dass The Unicorns inzwischen einen Vertrag mit Sanctuary Records unterschrieben haben und außerdem ihre Einschätzung anderer kanadischer Bands rein objektiv erfolgt und von keinerlei patriotischem Stolz geprägt ist: „Hot Hot Heat sind Hot Dog Meat“, reimt „Neil“ Diamonds anerkennend, The Stills seien allerdings „der größte Scheiß aller Zeiten „. Festzuhalten bleibt, dass man The Unicorns live sehen sollte, denn, wie man hört, sind ihre Shows ebenso abstrus und erfrischend wie das Album.

The Unicorns Who Will Cut Our Hair When We’re Gone? Sanctuary