The Who
Drei Jahre lang mußte Roger Daltrey dem Abstieg seines Freundes Pete Townshend tatenlos zusehen. Pete hatte Frau und Kinder verlassen, sich in modischen Londoner Clubs rumgetrieben und Unmengen von Drogen und Alkohol der härtesten Sorte reingeknallt. Höhepunkt des Amoklaufs: Ende 1981 klappte Pete nach einer durchzechten Nacht im Londoner „Club For Heroes“ zusammen und mußte mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren weiden.
Townshends Zusammenbruch war der Anfang vom langen Ende!
Der unaufhaltsame Abstieg seines langjährigen Rock ’n‘ Roll-Partners zwang Daltrey zu handeln. Es mußte etwas geschehen, und nach wochenlangem Kopfzerbrechen wußte Roger endlich was. Während Pete Townshends langwieriger Genesung im vergangenen Jahr trafen sich die Who eines Abends bei ihrem Manager Bill Curbishley. Daltrey verkündete die Hiobsbotschaft:
„Ich will nicht mehr auf Tour!“
Einem Mann wie Daltrey, der die Who nach wie vor leidenschaftlich bebt, kamen solche Worte nur schwer über die Lippen, Aber Roger steht unbeirrbar zu seinem Entschluß: „Schon mal, vor Moonies Tod wollte Pete jahrelang nicht auf Tournee. „Ich war die treibende Kraft – mir ist es zu verdanken, daß Pete nach 1978 überhaupt wieder auf Tour ging Aber nach drei US-Tourneen war der Typ ein Junkie. Dafür fühlte allem ich mich verantwortlich. Und das hat mir das Leben schwer gemacht. Dieser Mensch bedeutet mir einfach unheimlich viel Soviel, daß ich notfalls auch die Who dafür opfere!“
In jener entscheidenden Nacht des letzten Jahres diskutierten die Who über das Ende ihrer Band. Natürlich wollte auch Roger Daltrey nicht von einem Augenblick auf den anderen aufhören. Man einigte sich eine wirklich letzte, weltweite Tournee.
Die Vorbereitungen begannen, und im Spätherbst ’82 starteten die Who ihr „Goodbye“-Spektakel durch die USA. Befragt darüber, ob er seinen Rücktritts-Entschluß inzwischen bereue, antwortete Daltrey amerikanischen Reportern. „Es tut weh. Aber ich will mit der Gruppe im rechten Moment aufhören. Ganz oben, ehe wir anfangen, uns selbst zu parodieren.“
Und weiter Originalton Daltrey: „Dann kann Pete ungestört seinen eigenen Weg gehen.“
Daltreys Sorge um die Zukunft seines Kollegen stößt bei dem Betroffenen jedoch kaum auf Gegenliebe. Im Verlaufe der fast 20jährigen Who-Karnere hat es zwischen den beiden Stars jede Menge Ärger gegeben. „Trotzdem.“ sagt Pete, „hat Roger von allen in der Gruppe immer am lautesten verkündet, daß er alles tun würde, alles aufgeben würde, sogar die Gruppe, um mich glücklich zu machen. „
Stellt sich die Frage. Wird Pete tatsächlich in Zukunft ohne Band glücklich werden? Die Zeiten der großen Tourneen, des großen Geldes, der riesigen Menschenmassen – wird er dies alles nicht vermissen?
Pete kratzt sich am Kopf: „Zunächst ist man irgendwie ein wenig erleichtert, daß es die letzten Konzerte sein werden. Anderer seits ist man auch sehr, sehr traurig. Ich weiß natürlich, daß nicht alle m der Gruppe es so gewollt haben!“
Wen Pete damit meint, liegt auf der Hand… Bassist John Entwistle, der das Tourneeleben mehr liebt als jeden anderen Aspekt seiner Tätigkeit innerhalb der Gruppe.
Pete meint dazu: „Ich glaube, John ist wahrscheinlich mehr als enttäuscht über die Entwicklung. Er redet nicht viel, und das macht es nur noch schwieriger. Er sitzt die meiste Zeit einfach nur rum und überlegt sich, wie er jetzt gefühlsmäßig zu all dem steht. Aber ich kenne ihn gut genug, um zu wissen, daß er den Who mehr als jeder andere nachtrauern wird. John verliert ein Medium für seine Begabung und seine Leidenschaft, von dem er weiß, daß er es nirgendwo mehr finden wird“.
Wäre es nicht möglich, John Entwistles Bedürfnissen entgegenzukommen – die Band fit zu halten, vielleicht weniger intensiv, aber zumindest einigermaßen regelmäßig eine Tournee auf die Beine zu stellen?
Townshend starrt seine überdimensionalen Füße an, die in schwarzen, mit einem rätselhaften Wappen geschmückten Samtlatschen stecken, hüllt seine berühmte Nase in ein Büschel Kleenex und sagt dann nachdenklich: „Ich glaube kaum, daß dies passieren wird!“
Nichtsdestotrotz beschlossen die Who, im Anschluß an die USA auch in Großbritannien und Europa auf Tournee zu gehen, dann in Australien und danach – zum ersten mal – auch in Japan. Und Bill Curbishley, der unternehmunaslustige Manager der Gruppe, beschäftigt sich mit dem Gedanken, irgendwann 1984 einige kurz aufeinanderfolgende Einzel-Konzerte zu organisieren, und möglicherweise den schon lange bestehenden Plan zu verwirklichen, im Ostblock aufzutreten – vielleicht sogar „Tommy“ in der Moskauer Oper aufzuführen!
Dennoch – der Schlachtplan der Gruppe steht: Nach all den erwähnten Abschiedsreisen rund um die Welt werden die Who keine Tourneen mehr machen und sich in Zukunft nur noch zusammenfinden, um Platten aufzunehmen und vielleicht sporadisch eine Konzertgarde abzufeuern.
Ein verständlicher Entschluß. Immerhin geht das Triumvirat Daltrey, Townshend und Entwistle schnurstracks auf die Vierzig zu. „Ich kann mir die Who nicht ohne ihre Energie vorstellen“, sagt Daltrey „Wenns mit mir bergab geht, und wenn Pete langsamer wird. .. na ja, es ist nun mal so, daß das Arme-Schwingen und Mikro-Schmeißen zum Image unserer Gruppe gehört. Sagen wir’s mal so: Ohne Power auf der Bühne rumzuhampeln, ist bei uns nicht drm!“
Noch aber besitzen die Who ihre alte Kraft. Zumindest auf der Amerika-Tournee ließen Daltrey, Townshend, Entwistle und Schlagzeuger Kenny Jones wie zu ihren besten Zeiten die Fetzen fliegen. Mit Elan peitschten sie Rock-Klassiker sowie Songs ihrer aktuellen LP IT’S HARD in die Riesenarenen, die Fans feierten sie frenetisch.
Sogar Rolling Stone Mick Jagger, der mit Tochter Jade beim zweiten Konzert im John F. Kennedy-Stadium m Philadelphia anwesend war, schien beeindruckt- und dies wohl nicht nur, weil seine alten Kumpel den Publikumsrekord der Stones gebrochen hatten, sondern auch aus anderen Gründen.
„Mick stand während der Show oben auf der Bühne“, erinnert sich Roger Daltrey. „Nach der Show habe ich ihn gefragt, ob er selbst immer noch Lust habe, Wahrscheinlich hat er sich die vielen Leute angeschaut und überlegt; „Vielleicht hätten wir unsere letzte Tournee auch als „Farewell-Tour ansagen sollen“.
Der Schlachtplan der Who ist ohne den Segen des stillen Bassisten zustande gekommen. „Ich will nicht mit den Tourneen aufhören“, erklärt John. „Im Augenblick sind sich Pete und Roger darüber einig, daß wir unsere letzten Vorstellungen geben. Die beiden sind sich auch im klaren darüber, wie die Zukunft der Gruppe ausschauen soll. Aber ich bin vollkommen anderer Meinung. So wie die Sache steht, sollen wir zwar auch in Zukunft zwischendurch auftreten, aber dann werden wir miserabel spielen. Denn wenn du ein Konzert machst, mußt du vier Wochen vorher üben. Und das ist es einfach nicht wert, so lange für eine Show zu ackern!“
Entwistle in der Klemme? „Alles was ich tun kann, ist hoffen, daß Roger und Pete ihre Meinung ändern. Das tun sie zwar oft, aber dieses Mal werden sie’s, glaube ich, leider nicht tun“.
Was dann? Was wird John Entwistle in diesem Fall unternehmen?
„Ich bin nicht bereit einfach nur Platten zu machen und nur ein-, zweimal im Jahr eine Bühne zu betreten. Wenn keine Tourneen mehr gemacht werden sollen, mach‘ ich lieber meinen eigenen Kram, was dann auch eigene Konzerte beinhalten wird!“
Roger Daltrey, mit den Überlegungen von John Entwistle konfrontiert und gefragt, ob sich die Who in dem Fall einen anderen Bassisten besorgen und sich immer noch The Who nennen könnten, meint: „Ich weiß es nicht. Die Hürde müßten wir wohl nehmen, wenn wir sie erreichen. Ich meine, ich bin ziemlich rücksichtslos, was das Zusammenbleiben der Gruppe betrifft. Wenn John keine Lust mehr hat. dann.. “ Lange Denkpause.
„Ohne John war’s Towns- hend und Daltrey – oder Daltrey und Townshend!“
„Es ist leider so, daß John nie etwas sagt“, fährt Daltrey fort. „Wir haben zwar gemeinsame Besprechungen, aber John sagt einfach nichts – er hat nie etwas gesagt, er wird nie etwas sagen. Wenn wir eine Diskussion haben, sind es Pete und ich, die reden, die beiden anderen sitzen einfach rum. so erfahren wir nie Johns Meinung. Also geschieht im Endeffekt immer das, was Pete und ich wollen… Ich bin sicher, daß Pete und ich erfolgreich als The Who weitermachen könnten!“
Wie denkt Townshend über das „Problem“ Entwistle? Meint es der Bassist ernst‘ „Ich glaube schon“, antwortet Pete. „Sicher bin ich mir jedoch nicht. Es ist die große Frage. Johnn fühlt sich eben nur dann wohl, wenn er auf der Bühne steht und spielen kann, diese Art der Befriedigung erfährt er nur im Rahmen einer Tournee möglicherweise auch nur mit den Who.
Aber ich glaube, wenn die Band mit der Live-Arbeit aufhört, wird eh jedes Mitglied seine persönlichen Entzugserscheinungen haben. Wenn John der Meinung ist, die reine Studioarbeit hätte für ihn keinen Reiz, ist das natürlich ein ziemliches Problem für uns“.
Aber könnte man John ersetzen? Wären die Who dann noch immer die Who? Roger Daltrey meint ja … und Pete?
Townshend ‚ schüttelt den Kopf. „Das ist ein großer Irrtum. Ohne John wär’s, Townshend und Daltrey‘ oder ,Daltrey und Townshend‘. Aber die Who wären das bei weitem nicht mehr!“
„Fuck you“ brüllte Pete dem Who-Bassisten ins Ohr!
Daß Pete Townshend die Sache mit Entwistle an die Nieren geht, ist offensichtlich. An jenem Abend jedenfalls, als der Who-Gitarrist kurz vor der Show von Entwistles Überlegungen erfahren hatte, lieferten die Who eine betont emotionale Fassung von „Long Live Rock“. Townshend ging mit 100 Sachen sein Gitarrensolo an, hämmerte wie besessen auf sein Telecaster und fing an, über die Bühne zu Entwistle zu hüpfen, der ungerührt dastand und seinen Baß bearbeitete. Als er neben ihm stand, brüllte Pete ihm „Fuck you“ ins Ohr – die Mundbewegungen waren vom Bühnenrand aus deutlich erkennbar. Aber dann verzog Pete sofort sein Gesicht zu einem breiten Grinsen und hüpfte zu seinen Verstärkern zurück. Die Who wie sie seit 20 Jahren leben, leiden und streiten!
Aber wie geht’s nun weiter? Wird Entwistle die Gruppe verlassen? Wird Townshend einen Weg finden, die Show nicht platzen zu lassen?
Pete sieht der Zukunft offensichtlich mit Fatalismus entgegen: „Ich glaube, innerhalb der Who geht es eher um Bedürfnisse denn Wünsche“, meint er. “ Wir wollen nicht unbedingt voneinander abhängig sein, aber wir smd’s. Es hat also keinen Sinn, sich von der Beziehung distanzieren zu wollen. .. Sie ist einfach da!“
Die letzte Runde der Who ist angesagt… dauern kann sie noch lange! Kurt Loder