Therapy?


Und im Morgengrauen kam Beelzebub zu Andrew J. Cairns und flüsterte ihm ins Ohr: „Cairns, Junge, ich habe dir ein Geschäftvorzuschlagen.“ Und Cairns fürchtete sich nicht, weil er vom Vorabend noch besoffen war. „Aber, Herr der Finsternis“, entgegnete Mr. Cairns, „was könntest du mir denn anbieten? Bin ich denn nicht schon der vielumjubelte Fürst des doomigen Speed-Metal-Pop?“ Woraufhin Satan schallend lachen mußte: „Ja sicher, Kumpel. Aber was willst du denn als nächstes machen? Es ist Zeit für dein viertes Album und dafür mußt du einen neuen Weg einschlagen. Wenn du hier unterschreibst, stehst du schneller als du denken kannst, in einem pinkfarbenen Rüschenhemd auf der Bühne und singst Songs über Ecstasy und Transvestiten.“ Und Cairns vergoß eine Träne, weil er wußte, daß er keine andere Wahl hatte, als ja zu sagen.

Auf der Bühne in Leeds sieht Frontmann Andy Cairns in seinem Variete-Hemd zwar immer noch wie ein ausgeflippter Magier aus, wirkt aber ohne seinen unheimlichen Bart eher wie der Typ Zauberer, den man für den Kindergeburtstag engagiert. Trotz akuten Schlafmangels — die Band hatte am Vorabend bei der ‚Infernal Love‘-Party ausgiebigst dem Alkohol gefrönt — erscheinen die drei von Therapy? auffallend energiegeladen. Der unaufhörlich herumhüpfende Bassmann Michael McKeegan dirigiert das wogende Publikum wie ein Vortänzer beim Aerobic-Kurs, während Schlagzeuger Fyve Ewing einen furchterregend druckvollen Beat vorlegt.

Bei Songs wie ‚Nowhere‘, „Potato Junkie“ und ‚Knives‘ glaubt man denn auch noch, die Therapy? des vergangenen Jahres vor sich zu haben — diese zuverlässig trübsinnigen Dampframmen aus Nordirland. Aber sobald die Band mit aggressivem Schwung die R.E.M.-Harmonien von ‚Loose‘ anstimmt, Frontmann Cairns genüßlich „Let Me Try On Your Dress…“ singt und Witze über sein angeblich beschissenes Gitarrensolo macht, wird bald klar, daß Therapy? ihren neuen Weg bereits gefunden haben.

Ohne allzusehr in bombastische Gefilde abzugleiten, spult die Band ein Greatest Hits-Programm ab, das die jugendlichen „Pearl Temple Pilof‘-Mosher in der ersten Reihe mühelos auf Hochtouren bringt. Mag sein, daß sich Andy Cairns optimal auf den Set vorbereitet hat, aber auf der Bühne bricht er sich nun wirklich keinen ab. „Macht euch keine Sorgen“, meint der Frontmann, nachdem er von einem kurzen Ausflug hinter die Lautsprecherboxen zurückgekehrt ist, „ich hab‘ da hinten nur ein bißchen Heroin genommen.“ Aber jeder weiß, daß das nur ein Witz ist. Therapy? sind Sprücheklopfer, die ihre Entwicklung zu spätpubertären Metal-Head-Psychokillern ebenso im Griff haben wie das Publikum. Als eine Cellistin auf der Bühne Platz nimmt, um ‚Bad Mother‘ und ‚Me Vs. You‘ einen Hauch von Düsternis zu verleihen, ruft niemand im Publikum enttäuscht: „Sind wir hier beim Electric Light Orchestra, oder was?“. Denn dieser Teil der Show, bei dem Therapy? wie eine Metal-Ausgabe der Tindersticks auftreten, ist der Höhepunkt des Abends. Als die Dame mit dem Cello dann noch zusammen mit einem Saxophonisten ‚Stories‘ und ’30 Seconds‘ anstimmt, erntet sie tosenden Beifall. Aber erst als Andy Cairns die beißende Vergewaltigungs-Arie ‚Diane‘ von Hüsker Du alleine zur Cellobegleitung vorträgt wird jedem klar: Therapy? sind wieder auferstanden — im neuen Gewand. Mit Rüschen dran.