Auf Tour mit Tocotronic – Tag 1, Bremen: Smells like Frühling
Tammo Kasper, eigentlich Bassist der Band Trümmer, ist mit Ilgen-Nur als Support von Tocotronic unterwegs. Hier schreibt er sein Tour-Tagebuch für uns. Grüße an Thees Uhlmann!
Bremen, 06. März 2018 – Das Zeit-Raum-Kontinuum ist schon am Anfang kaputt: Wir verlassen Hamburg bei strahlendem Sonnenschein. Smells like Frühling. Ein paar vereinzelte HSV-Fans winken zum Abschied. Ob sie noch Chancen haben, in der ersten Liga zu bleiben, wenn wir wiederkommen? Eher nicht. Ob wir dann schon in der ersten Liga der deutschen Popmusik angekommen sind? Wahrscheinlich auch nicht. Aller Anfang ist schwer.
Wir – das sind Ilgen-Nur, Simon, Paul (von Trümmer) und ich (auch von Trümmer). Tocotronic haben Ilgen eingeladen, den Support auf ihrer Tournee zum neuen Album DIE UNENDLICHKEIT zu übernehmen. Leider unter erschwerten Bedingungen: Gitarrist Paul hat sich beide Füße an einem geplatzten Glas Tee verbrannt und ist schwer lädiert. Und der etatmäßige Bassist Laurens muss aus Lebensunterhaltsgründen für einen namhaften deutschen Sportartikelhersteller die CI tunen, deswegen darf an ich an seiner Stelle bei den ersten Konzerten Bass spielen. Danach kehre ich an die Schreibmaschine zurück. So viel zur Ausgangslage.
Bremen ist ja pleite. Merkt man nicht. Sieht ein bisschen aus wie San Francisco, sagen die anderen. Projektionsfläche Neue Vahr, Haight Ashbury an der Weser: Ich bin zu oft in Bremen, um das bestätigen zu können. War aber auch noch nie in San Francisco. Die anderen auch nicht. Der Schlachthof ist ein ehemaliger Schlachthof direkt am Hauptbahnhof und der erste Stopp der Unendlichkeits-Tour. Ausverkauft seit Wochen.
„Das Leben ist kein Tomte-Song, sagt Antje Schomaker. Schon klar. Zum Glück auch, oder?“
Die theatralische Bariton-Begrüßung von the one and only Dirk von L. ist überaus herzlich. Jan Müller sieht jünger und besser aus als wir alle zusammen (Unser Durchschnittsalter: 24,9). Rick ist nervös und trinkt Rotwein, Arne Zank trommelt auf so einem GummiPad herum, mit dem sich alle ernstzunehmenden Schlagzeuger im Backstage vor Konzerten warm trommeln. Dann: Aufbau, Warten, Umbau, Warten, Soundcheck, Warten. Unser Konzert ist gut, etwas nervös am Anfang, aber irgendwann kommen wir rein. Ilgen redet sogar ein bisschen mit den Leuten (zum Beispiel über Astronomie), stellt die Band vor und scheint sich wohl zu fühlen.
Mit 15 habe ich aus Versehen die ersten Seiten eines Tourtagebuchs von Thees Uhlmann gelesen. Über eine Tour mit Tocotronic. Schlimmer Text. Das macht mir jetzt zu schaffen, habe Angst doch unter dieses Niveau zu fallen. Als wir (meint hier: Musikgruppe Trümmer) das erste Mal zusammen mit Tocotronic gespielt haben, waren wir nervös und aufgeregt, schließlich hatten wir kurz vorher in einem Interview mit der Spex (interessierte mal irgendwen) gesagt, dass uns die Hamburger Schule im Allgemeinen ziemlich am Arsch vorbeigehen würde. Ging sie natürlich nicht, klang aber ziemlich cool, fanden wir damals.
Aber zurück zum eigentlichen Sujet: Heute Abend spielen Tocotronic ein sehr gutes erstes Tourkonzert, die neuen Songs sitzen und der Sound ist druckvoll – groß, warm, punchy. Und das norddeutsche Publikum gar nicht so unterkühlt, wie man erwarten könnte (Crowdsurfer! Tosender Applaus! Songwünsche!). Apropos Norddeutschland: Es gibt einen Song, da klingt Dirk von L. ein bisschen wie Sven Regener („Alles was ich immer wollte, war alles – alles was ich immer hatte, warst du.“). Das könnte klingen wie ein Verriss. Ist es aber nicht. Ist total großartig.
Und nach dem Konzert? In den Bremer Viertel-Kneipen spielen sie „Smoke some Shit“ von King Prawn, es kifft trotzdem keiner, stattdessen trinken alle Haake Beck vom Fass. Irgendwie angemessen. Nach King Prawn läuft dann (wie sollte es auch anders sein) „Wilhelm das war nichts“ von Tomte. Das Leben ist kein Tomte-Song, sagt Antje Schomaker. Schon klar. Zum Glück auch, oder? Stell dir vor, du musst in einem Tomte-Song leben. Aber hier leben? Nein Danke! Münster, wir kommen!