Todd Rundgren
"Ich habe festgestellt, daß es gar nicht die Musik ist, die die Leute so fesselt, sondern die Haltung, die dahinter steht. Meine Ausrüstung mag mich da ruhig mal im Stich lassen, was auf jeden Fall bleibt, ist mein Bewußtsein."
Der Fotograf, der neben mir am Ausgang H5 des Frankfurter Flughafens wartet, bekommt Sorgenfalten auf der Stirn, als er hört, wen er ablichten soll: Todd Rundgren??? Sein Gesicht verwandelt sich in ein überdimensionales Fragezeichen. „Meinst Du, ich werde ihn erkennen? Kommt er allein? Wie sieht er aus? Ist er ansprechbar? usw., usw.“ Wenn ich ehrlich hin, wußte ich über Todd Rundgren genausoviel wie über Molekularbiologie, nämlich nichts. Ich kenne /war seine Platten und seine musikalische Umstellung, wie er Noten in den Griff bekommt, aber sonst? Wer ist eigentlich Todd Rundgren? Ein Schwede in Amerika oder ein musikalischer Indianer mit schwedisch aufgenordetem Stammbaum? Informationen über ihn gleichen einem Puzzle, bei dem sieh die Einzelteile selbständig gemacht haben.
Da ist die Rede vom brillanten Tontechniker oder vom Produzenten, der den Sound mixen kann, wie andere ihre Drinks. Seine Plattenfirma präsentiert ihn als Multi-Instrumentalisten, der sogar aus einem Besenstiel flüssige Melodien zaubert. Aber über den Menschen Rundgren erfährt man nichts. Nur eines zeigt diese Informationslücke: Er hat sich bisher nicht vermarkten lassen. Gelingt ihm das auch weiterhin?
ANKUNFT 15.45 GATE B 5.
Schön abgeschlafft sah er aus, als er mit seinen Musikern mit halbstündiger Verspätung und allerhand Gepäck aus dem Ausgang quoll. Todd hatte in der Nacht zuvor in Paris gespielt und die Anstrengung, zuwenig Schlaf und die ungewohnte Atmosphäre in der französischen Hauptstadt hatten ihre Spuren hinterlassen. Hinzu kam mal wieder die Gründlichkeit der deutschen Zollbeamten, die auf Einblick in alle Koffer bestanden. „Wie war der Flug? Ist es Dein einziges Konzert in Deutschland? Wie bist Du mit dem Pariser Publikum klargekommen?“ Small Talk in aller Munde, müdes Grinsen von der Crew. Der Zeitplan drängte: schnell ins Hotel unter die Dusche, eine Kleinigkeit essen und dann zum Soundcheck nach Offenbach in die Stadthalle.
TODD IN CONCERT
Kurz vor 18.00 Uhr bin ich in der Stadthalle. Es herrscht geordnete Unordnung. 15 Tonnen Gerät sind auf der Bühne aufgetürml und werden in immer neue Stellungen gerückt. In der Zwischenzeit sind die Musiker eingetroffen: John Siegler, Baß, John Wilcox, Drums, Roger Powell, Keyboards, die beiden farbigen Sänger Luther Windrose sowie Anthony Hinton und natürlich Todd selbst. Er ist etwas nervös, wie er meint, vom Essen im Hotel, das ihm nicht behagte. Vielleicht sind es aber auch die deprimierenden Besucherzahlen, die ihm der Veranstalter im Vorübergehen ins Ohr geflüstert hat. Kurz vor 20 Uhr sind etwas über 350 Leute in der 1000 Besucher fassenden Stadthalle. Und mehr werden es nicht.
Todd war vor dem Konzert klar, daß er in Deutschland ein Geheimtip ist ….. Aber nur 350 Leute, das ist ja schon top secret“, meint er lachend, aber auch etwas bekümmert. Trotzdem begrüßt er bei Konzertbeginn die Anwesenden wie seine besten Freunde, und die Welle der Wertschätzung, die ihm entgegenschlägt, nehmen er und die Gruppe dankbar auf. Man ist unter sich. Nach dem dritten Titel schüttelt die Band ihre Nervosität ab und wird so relaxed, daß ihre Entspannung auch auf das Publikum übergreift. 350 Leute hören mit und werden nicht mit Tönen zugekleistert, musikalische Kicks werden spontan beklatscht. Die Gruppe spielt sehr individuell, persönlich und braucht in dieser Umgebung deswegen keine Gewissensbisse zu bekommen. Ihr gelingt, wovon viele Musiker nur träumen: jeden Anwesenden anzusprechen, einsteigen zu lassen und auf eine Reise in unentdeckte Klangwelten mitzunehmen. Die 350 dankten mit zunehmender Begeisterung und erklatschten sich vier Zugaben. Nach dem Konzert war klar, daß der Veranstalter draufzahlen muß, aber Todd Rundgren hat sich etabliert. Dieser Geheimtip wird nicht länger geheim bleiben, dazu hat er musikalisch zuviel zu sagen.
TODD ÜBER SICH
Als ich Todd zwei Stunden nach dem Konzert im kleinen Kreis wiedertreffe, kann ich mir die Frage, ob diese Gruppe nicht ein ganz neuer Anfang für ihn sei, nicht verkneifen. Er ist etwas unschlüssig bei seiner Antwort: „Weißt Du, die Leute kennen mich als Einzelgänger, der mehr im Studio arbeitet als auf der Bühne. Ich kann mich noch nicht entscheiden, was ich in nächster Zukunft machen möchte, aber seit ich mit dieser Gruppe zusammen bin, tendiere ich mehr in Richtung Bühnenarbeit.“ Todd war bisher ein musikalischer Grenzgänger, hin- und hergerissen zwischen Mischpult und eigener musikalischer Entwicklung. Bisher hat bei diesem Kampf oft das Mischpult gewonnen. „Es ist einfacher, das Optimale für andere zu machen, als die eigenen Ansprüche erfüllen.“ Obwohl es ihm nie an Selbstvertrauen mangelte, bester Beweis ist sein Album „Something/Anything“, wo er auf einen Bassisten verzichtete und auch den Schlagzeuger für überflüssig hielt, ist ihm klar, daß er Erfolg genauso braucht, wie jeder andere. „Ich habe lange Zeit Platten rausgebracht, die nie gekauft wurden. Meine Befriedigung bestand darin, sie mit nach Hause zu nehmen und sie allein anzuhören.“ Heute werden seine Platten gekauft und die älteren werden zu Liebhaberpreisen gehandelt. Das änderte nichts an seiner Meinung: „Ich mache Musik für mich und für Leute, die ähnlich empfinden und daran interessiert sind, zu erfahren, wie ich die Dinge sehe. Das ist der einzige Grund!“
Musik ist für ihn Kommunikation, doch er möchte bestimmen, worüber gesprochen wird. Das klingt wie Vergewaltigung und Ego-Trip, aber es wirkt sich ganz anders aus, denn der Zuhörer hat die Möglichkeit mitzureden. „Meine Musik ist nur ein dichtes Arrangement von einfachen Teilen. Ich versuche den Leuten zu zeigen, was sie selbst machen können und zugleich laufe ich etwas vor ihnen her. Das reicht nicht aus, um das Gehörte nachzuspielen, sondern es ist eben so viel, daß sie die Einfachheit erkennen, die den Dingen eigen ist,“ und weiter „Wenn du etwas spielen möchtest, dann spiele es doch einfach. Du bläst rein, zupfst dran rum, schiebst Tasten und Regler, bis irgend etwas dabei herauskommt.“
Wenn man ihm glauben darf, hat er Mitte der 60er Jahre nicht anders angefangen. In seiner Geburtsstadt Philadelphia stieg er mit 16 in Woody’s Truckstop ein. Als er festgestellt hatte, wie einfach es war, als Gitarrist sein Ego aufzuputschen, suchte er nach einer neuen Herausforderung. Jetzt glaubt er, daß die Nazz so etwas bieten könnten. War Woody’s Truckstop der Ursprung seiner Musikerlaufbahn, so wurde Nazz zu seinem Antrieb. Diese Band hatte mehr mit Stil zu tun als mit Musik. Das Konzept war ähnlich, wie das von Grand Funk Railroad, nur daß sie leider keinen Manager wie Terry Knight hatten. Die Band gab sich wie eine beim Großversand bestellte Hochzeit zwischen englischer Dekadenz und amerikanischer Schlichtheit. Aber nur zufällig war sie eine außergewöhnlich gute Gruppe. Nazz erstickte an der elitären Distanz zwischen ihnen und ihrem Publikum. Es ist nicht möglich, das Publikum vergessen und gleichzeitig zu erwarten, daß es einem zujubelt. So frustrierend die Zeiten auch gewesen sein mögen, für Todd waren es neue Erfahrungen, er hatte lange Zeit an seinem persönlich Stil gefeilt, einige hübsche Songs geschrieben und sich mehrmals die Nase seinen eigenen Grenzen wundgestoßen. Dann hatte er keine Zweifel mehr seiner musikalischen Zukunft. Die einzigen Ketten, die er noch brechen muß waren Unerfahrenheit und Naivität, aber da konnte er selbst am meisten verändern.
TODD ZWISCHEN SCHALTERN UND SKALEN
Aus diesem Grund verschwand er in Studios, ergriff jede Gelegenheit, mit den Instrumenten zu spielen, knipste und fummelte so lange an Schaltern und Skalen, bis sie ihn wiedergaben. Binnen kurzem erschien sein Name auf Alben von Leuten wie American Dream Butterfield Bluesband, Badfinger, Janis Joplin, um nur die wichtigsten zu nennen. Als die Badfinger-LP erschien und er als Produzent bekannt wurde, erkannten einige, daß er in der ganzen Zeit viele eigene Ideen auf den Alben verwirklicht hatte. Seinen ersten selbständigen Versuch startete Todd mit der LP „Runt“. Er setzte damit auch seinen persönlichen Maßstab. Sicher hat er auf dieser LP Fehler gemacht und ab und zu den falschen Ton getroffen, aber diesmal waren es seine eigenen Fehler. Er fiel zwar auf die Nase, aber nicht weil ihm jemand ein Bein gestellt hatte. Zudem waren die „Runt“-Alben trotz alle beachtlich, zeigten sie doch einige außergewöhnliche Ideen, wie z.B. die Anwendung bestimmter Harmonien. „Ich hatte das Gefühl, daß mir vieles leicht fiel, weil ich nicht mehr unter dem Zwang stand, unbedingt alles allein machen zu müssen.“ Kommerziell wurden die Alben ein Reinfall. Sie kletterten so schnell die Hitparaden herunter, daß man sie kaum mit den Augen verfolgt konnte. Auch „Something/Anything und die Doppel-LP „Todd“ standen unter keinem guten Stern, obwohl Todd dort virtuos mit Stilarten ganz unterschiedlicher Herkunft umgeht und s miteinander verknüpfte. Ihm wurde zu Vorwurf gemacht, daß seine Selbstbezogenheit die anderen Mitwirkenden erdrückt habe. Dann bahnte sich eine Wende an, die Mark Rolles so beschreibt: „Ich glaube, daß Todd zu den wenigen Musikern gehört, die andere überzeugend auf ihre Linie einstimmen können.“ Von Egoismus ist keine Rede mehr. Bei der Veröffentlichung seiner LP „Utopia“ konnte er seine Interesse abstimmen und mit der Gruppe gemeinsam verwirklichen. „Utopia ist keine Vision, Utopia lebt. Es ist eine Zukunftsgruppe, die in unsere Zeit zurückkommt.“