Tom Petty: Exile On Main Street


Musikalisch gehört er zum amerikanischen Mainstream. Zu dumm, daß Tom Petty Mainstream haßt wie die Pest.

Er wirkt ruhig. „Ich bin nicht mehr so zornig wie früher“, sagt er, beißt dabei aber fast ins Mikrophon. Manche Leute nehmen’s leichter, wenn sie älter werden. Nicht so Tom Petty. Er, der die hohlen Werte des Pop-Geschäfts schon immer gern auf die Schippe nahm, ist noch bissiger geworden. Sein neues Album „Into The Great Wide Open“, wieder unter der Leitung seines Freundes Jeff Lynne eingespielt, mag sein Meisterstück geworden sein. Aber ein zutiefst düsteres.

Warum ist er denn so sauer? Läuft doch alles blendend! Die Zusammenarbeit mit Lynne hat ihn nach eigenen Angaben aus einem kreativen Loch geholt. Die Zusammenarbeit mit seinen Heartbreakers, über seine Exkurse mit den Traveling Wilburys etwas eingeschlafen, funktioniert wie in alten Zeiten. Die Kohle stimmt, das Familienleben ist glücklich. Seiner Frau, mit der er seit drei Jahrhunderten verheiratet zu sein scheint, hat er sogar mit „Built To Last“ ein rührendes Liebeslied auf die LP geworfen. Auch die beiden Töchter machen ihn glücklich, sagt er, obwohl er seine 16jährige schon mal anschreit, sie solle gefälligst ihre N.W.A.-Scheiben leiser drehen. (Hätte er ihr halt nicht die riesigen Lautsprecher schenken sollen!) „Nee, ich finde wirklich nicht, daß sich meine Einstellung gebessen hat.“

Seine dünnen Hände halten die noch dünneren Haare fest. Und sein Genuschel übersteigt nie die Geräuschschwelle einer pensionierten Grille. Aber seine Augen krallen sich auf den Fragebogen vor dem Cassettenrecorder, als wolle er die Fragen erstmal abwägen, bevor ich sie stelle.

„Wenn überhaupt, dann bin ich zum Zyniker geworden. Aber ich nenne es lieber schwarzen Humor. Ich sehe Hoffnung in der Asche! Ich glaube an die Menschen, obwohl wir in einer Gesellschaft leben, die ihren Mitgliedern den Selbstrespekt bei der Geburt mit der Nabelschnur abschneidet. Obwohl wir unsere Welt kaputt machen im Namen des Fortschritts. Obwohl die Erziehung unserer Kids im Arsch ist. Allein in dieser Stadt werden jede Nacht Dutzende von Menschen grundlos erschossen, oft genug unschuldige Kinder.“

Da fällt es Moralisten wie Petty schwer, über platten Liebesschmus zu singen. Eher schon über verlorene Illusionen. Seine Arbeit an „Into The Great Wide Open“ begann noch vor dem Krieg, und als die Öl-Schießerei im Golf vorüber war, schrieb er immer noch an seinen Texten. „Ich kam nicht drumherum, mich damit auseinanderzusetzen. Und mit den Ereignissen des vergangenen Jahrzehnts.“ Das Jahrzehnt der nackten Gier, wie der lustige Tom es nennt. „Mann, allein der Sparkasse-Skandal hier in den USA! Eine Trillion Dollar wurde von gierigen Geldsäcken gestohlen, die wir nun alle zurückzahlen müssen. Stell dir nur mal vor, wieviel Heimatlose du mit einer Trillion von der Straße holen könntest!“

Tom Petty verkörpert so ziemlich alles, was untypisch ist an Hollywood, Er wohnt im nicht gerade billigen, aber extrem unhippen Teil des Los Angeles-Valleys, wo libanesische Immobilienhändler den Zappas „Guten Tag“ sagen, aber ach-so-rauhe Schickies wie Mickey Rourke nie auf ihren 30.000 Dollar-Harleys auftauchen würden.

„Da kann ich dann sagen, daß der ganze Ärger mit dem Business auf der anderen Seite der Berge liegt“, schnarrt der Ex-Florida Boy zwischen zwei tiefen Zügen an seiner Zigarette. Tom sitzt lieber daheim an einem 20 Jahre alten Mischpult in der Garage, als daß er auf irgendwelche Hollywood-Parties geht – was Frau Pettv zu schätzen weiß.

Tom engagiert sich zwar heftig für politische Aktionen, hält sich dann aber lieber im Hintergrund. Wo andere für Big Bucks Werbe-Spots für Turnschuhe untermalen, verklagt Tom einen Reifenkonzern, der sich einen Petty-Song unter den Nagel reißen wollte.

„Rock war mal Rebellion, aber das ist lange her. Rock ’n Roll hat seine Seele verkauft. Vielleicht kommt’s irgendwann mal wieder, aber im Augenblick sehe ich das nicht. Rock ist genauso heuchlerisch geworden wie Berufs-Catchen im Fernsehen. Sogar die Kostüme sind die gleichen. Als ich in den sechziger Jahren begann, war Rock eine alternative Musikform. Heute ist Rock Pepsi-Commercials und Soundtrack für Videos.“

Ist er deshalb so bitter, so enttäuscht? Tom Petty, der „last great rock ’n‘ roller“?

„Ich richte mich nicht nach anderen, ich trete auch keinem Verein bei. Ich will nur meinen eigenen Scheiß machen. Und ich hoffe natürlich, ich bin nicht der Letzte!“