Tom Verlaine – Los Angeles, Roxy
Die Menge steht schon eine Weile vor der niedrigen Bühne im Roxy und stiert ins Halbdunkel. Ein langer, schneidender Ton dringt durch den Zigarettenqualm, inmitten eines tödlichen Sound-Breis taucht die unterernährte Gestalt Tom Verlaines auf. Das ist also der Mann, dem die Graffities auf der Damentoilette himmlische Qualitäten bescheinigen. .Tom Verlaine ist Gott“, steht dort romantisch verklärt. Ein Gott, der keinen Friseur kennt, allerdings. Tom sieht aus wie ein Neil Young, dem die Mutter vor dem Auftritt schnell noch die Haare zurechtgeschnitten hat für all die netten Leute hier. Mit Neil Young – und mit David Byrne in diesem Fall – verbindet ihn noch mehr. Die Männer mit den hohen Stimmen haben irgendetwas an sich. Etwas Gefährliches, aber auch Verletzliches. Sie strahlen Ruhe aus, aber gleichzeitig auch höchste Gespanntheit. Eine Spannung, die sich in der Musik wie im Auftritt niederschlägt. Natürlich gibt’s den einen oder anderen Höhepunkt, aber das du -fte ja das Mindeste sein, was man von einem Tom Verlaine erwarten kann. Durch die Instrumentalpassagen, meistens in der Mitte der Songs angesiedelt, bewegt sich hier und da eine schöne und eindringliche Gitarre. Oder aber verhalten romantischer Gesang. Und sowas kam bei weitem besser als die halbherzigen New York-„Funk“-Nummem. Mittendrin gerät plötzlich alles ins Stocken – eine Snare Drum rollt von der Bühne! Und Verlaine, üblicherweise recht weggetreten, überbrückt die Unterbrechung tatsächlich mit ein paar weltmeisterlichen Sprüchen. Musikalisch geht’s von nun an bergauf. Songs vom jüngsten Album im Wechsel mit Titeln aus den beiden ersten LPs. Ein exakter Pulsschlag bestimmt die Musik. Bei einem ausgezeichneten Bluestitel meint man, Neil Young zu hören, der sich gerade an einem Stones-Stück versucht. Lou Reed-ähnlich dann ein weiteres Highlight mit gerapptem Zwischenteil: Tom hält Vorträge über das Liften von Kisten in Warenhäusern, dabei wird er richtig lebendig und beginnt, dramatisch mit den Armen zu rudern. Jubelrufe schließlich, als er den Titel des letzten Songs murmelt: „Marquee Moon“ aus der Television-Ara in einer tadellosen Fassung mit packender, aufsässiger Sologitarre. Die Zugabe entpuppt sieht als abenteuerliche Fassung von „Wild Thing“, die man bestenfalls noch als albern bezeichnen könnte. Das Publikum hatte jedoch seinen großzügigen Tag – sogar ein Gott hat schließlich mal frei – und räumte widerspruchslos den Schauplatz, als sich Verlaine nach diesem mittelprächtigen Auftritt weigerte, nochmals auf die Bühne zu kommen.