Tori Amos
Rote und blaue Lichtfinger umfassen Tori Arnos auf ihrer Insel mitten auf der viel zu großen Bühne. Nur eine Pobacke auf dem Klavierhocker, sitzt die eigenwillige Songschreiberin aus den USA an ihrem schwarzen Flügel, die Hände auf den Tasten, Gesicht und Oberkörper dem Publikum zugewandt. Tori singt ‚Horses‘ vom neuen Album ‚Boys For Pele‘ und gewinnt schlagartig die volle Aufmerksamkeit der 3000 Zuhörer. Denn diese Frau singt nicht nur — sie atmet Sätze, haucht und ächzt, knurrt und gurrt, zerlegt Worte in Laute und hämmert dabei Töne aus den Tasten wie sonst nur der legendäre John Cale in dessen dunkelsten Stunden. Sie krümmt sich, bäumt sich auf, macht Musik mit dem ganzen Körper. Jede Geste unterstreicht das, was Tori mit ihren Songs sagen möchte. Auf diese Weise sorgt sie für ein Gefühl von Nähe und Intimität. Keine Frage: Von der zerbrechlichen Frau auf der Bühne des CCH geht eine ungeheure Sogwirkung aus. Wobei atemlose Spannung gerade dann herrscht, wenn sie stockt, wenn ein Ton im Raum verklingt.
Zwei Stunden lang zieht Tori Arnos das Publikum in ihren Bann. Unterstützt nur von einem Gitarristen und völlig frei vom üblichen Firlefanz des Rock’n’Roll. Einziger Effekt ist eine trapezförmige Projektionsfläche. Bei ‚Not The Red Baron‘ zeigt sie Filmschnipsel aus dem Ersten Weltkrieg: Baron von Richthofen steigt in seinen Doppeldecker, Tori Arnos hämmert auf dem Spinett ein bedrohliches Stakkato. Dann ‚Me And A Gun‘ aus dem Album ‚Little Earthquakes‘. Tori singt a cappella. Leise, andächtig, bedrückend. Der Höhepunkt eines Konzerts, das mit einem Minimum an Mitteln ein Maximum an Wirkung erzeugt. Das Publikum ist wie erstarrt, löst sich erst nach und nach, überschüttet die kleine Frau auf der großen Bühne am Ende aber mit einer Woge der Begeisterung. Danach ein Lied, das wie ein Folksong klingt, in Wahrheit aber Toris Verbeugung vor Kurt Cobain ist: ‚Smells Like Teen Spirit‘. Die Hommage an einen tragischen Helden des Rock’n’Roll setzt ein weiteres Glanzlicht in einem wahrhaft großartigen Konzert.