Traffic ist tot – Jetzt kommt er !


"Traffic ist tot - es lebe Solostar Jim Capaldi!" rief die englische Popzeitung Sounds bereits Ende des vergangenen Jahres aus. Zu dem Zeitpunkt, da Capaldis drittes Solo-Album, "Short Cut Draw Blood" erschien, wurde auch das Ableben von Traffic bestätigt. Der Ex-Drummer der Gruppe, Jim Capaldi, rückte plötzlich ins Rampenlicht. Seine Single "Love Hurts", ein alter Boudleaux-Bryant-Titel, der schon vor etlichen Jahren von Roy Orbison erfolgreich interpretiert und jetzt von Capaldi modernisiert wurde, schoß bereits kurz nach der Veröffentlichung hoch in die Charts. Und was die Verkaufsziffern des neuen Albums angeht, zeigt sich Capaldi weitaus zuversichtlicher als bei den beiden Vorgängern "Oh, How We Danced" und "Whale Meat Again".

Jetzt scheint also amtlich, was bis dahin nur als traurige Vermutung im Räume stand: Traffic ist endgültig gestorben. Eine der stärksten Gruppen ist offenbar am wachsenden Desinteresse ihres Aushängeschildes Steve Winwood krepiert, dessen Engagement zusehends schlaffer wurde. Umso mehr Energie legt Jim Capaldi jetzt an den Tag. In seiner Heimat England mausert er sich zum populären Solokünstler.

Amerika 1974 – Das war das Ende

Nach Jims Schilderung muß das letzte gemeinsame Traffic -Unternehmen, die Amerika-Tour im Jahre 1974, extrem nervig verlaufen sein. „Alle waren so down — und ich dagegen ganz außer mir.“ sagte er dazu in einem Interview. „Ich gehe nach Amerika!“ freute er sich damals, doch mit seiner Euphorie schien er so ziemlich allein dazustehen. Stevie Winwood absolvierte die Auftritte nur noch als Pflichtübung und blieb keine Sekunde länger auf der Bühne als unbedingt nötig. Und Chris Wood war laufend stoned, so daß er während des Auftritts sogar zweimal von der Bühne fiel und natürlich den Gig ruinierte. Noch während dieses unerquicklichen Überseeausflugs zog die Gruppe intern den Schlußstrich. „Es war Stevies Entscheidung,“ erklärt Jim. In der Nacht, als Ali in Zaire gegen Foreman boxte, wurde Traffic begraben und anstatt zu spielen, schaute Jim sich den Kampf an. Er ist übrigens Fan des boxenden Großmaules. Äußerlich dokumentiert er diese Anhängerschaft, wenn er sein T-Shirt mit Muhammad Ali-Aufdruck ausführt. Ali, wie er ihn immer nennt, ist übrigens der einzige, dem er den ganzen Show-Klamauk um seine Person abnimmt. Auf die Musik-Szene übertragen, findet er alles, was mit Glitter und ähnlichem Beiwerk zusammenhängt, tödlich. Nicht nur für die Leute, die diesen Kult selbst zu ihrem eigenen Schaden treiben (er denkt da hauptsächlich an Bowie und Elton John), sondern auch für alle, die auf jene Accessoires verzichten.

Mit Freunden ins Studio

Jim Capaldi, Sproß einer aus Italien stammenden und äußerst musikalischen Familie, wurde im Frühjahr 1975 wieder aktiv. Mit sieben neuen Songs und zwei Fremdtiteln, dem erfolgreichen „Love Hurts“ und „Johnny Too Bad“ von den Slickers ging er in das renommierte Muscle Shoals Sound Studio von Alabama, um mit ausgezeichneten Session-Leuten seine dritte LP aufzunehmen. Roger Hawkins (d), Barry Bekket (keyb), Dave Hood (b), Jimmy Johnson (g) und Pete Carr (g) sind alte Freunde der Traffic-Crew, arbeiteten oft mit der Gruppe zusammen und lieferten schon den musikalischen Hintergrund für Jims erste zwei Alben. Zurück in London, brachte Jim sein drittes Opus zusammen mit Chris Spedding, Paul Kossoff und natürlich auch mit Steve Winwood auf Hochglanz. Wenn Jim und Stevie auch nicht gerade wie dicke Freunde jeden Tag zusammenhocken, so bedeutete die Auflösung von Traffic jedoch keinesfalls ein Ende der Zusammenarbeit. Traffic hatte ganz einfach den Punkt der Stagnation erreicht, das Projekt war trotz fantastischer LPs festgefahren. Jim Capaldi schildert die Situation ähnlich wie bei Crosby, Stills, Nash & Young. „Es kann jeden Tag geschehen, daß man sich anruft und beschließt, irgendetwas zusammen zu machen.“

Ein Songschreiber mit Tiefgang

Das Naturtalent Capaldi stellte für seine Solo-Aktivitäten die Arbeit an den Drums in den Hintergrund. Im Studio übernahm Roger Hawkins in erster Linie diese Aufgabe. Der Chef-Lyriker von Traffic konzentriert sich jetzt aufs Songschreiben und seine Stimme. „Short Cut Draw Blood“ betrachtet er selbst als Synthese beider Vorgänger. „Das neue Album hat die Kontinuität und die starken Songs des ersten sowie den Drive des zweiten,“ erklärt er. Während er sich auf der ersten LP „Oh, How We Danced“ recht melancholisch gab, so_ geriet „Whale Meat Again“ schon weitaus rockiger. Seine Texte änderten ihren Charakter jedoch nicht. Jim, äußerlich ein Rauhbein, entpuppt sich in seinen Songs als sensibel, romantisch, manchmal desillusioniert und erhebt hier und da schon mal den warnenden Zeigefinger. „Whale Meat Again“, der Titelsong seiner zweiten LP, zum Beispiel, ist nichts anderes als eine Anklage gegen den allgemeinen Zerstörungstrieb unserer Zeit. Er macht sich um vieles Gedanken. „A Boy With A Problem“ ist ein Song für Chris Wood und „alle, die so sind wie er.“ Für die Probleme der Drogenabhängigen hat Jim, der einen Joint in Ehren durchaus mitraucht, nur begrenztes Verständnis. Der Selbstmord in Raten mit schweren Geschützen bringt ihn auf die Palme, erst recht wenn er ihn auch noch mitansehen muß.

Solo-Karriere

Jim, der mit Traffic oft reichlich frustriert war, ist nach der neuen LP äußerst zuversichtlich und geradezu happy, ein neues Ventil für seine Kreativität gefunden zu haben. „Früher habe ich meine Energien auf Traffic konzentriert,“ sagt er. Heute bastelt er am Solo-Image mit allem, was dazugehört. In der Gruppe hat sich damals kein Mensch um Publicity gekümmert. „Wir hatten Millionen von Fans, Millionen haben unser letztes Album „When The Eagle Flies“ gekauft, und niemand von uns scherte sich darum. Keiner hielt es für nötig, bekanntzugeben, daß Traffic nicht mehr gemeinsam spielen werden,“ geht er in sich.

„Short Cut Draw Blood“ ist eine eingängige, sympathische Produktion, gute kommerzielle Ware mit Niveau. Jim Capaldi hat es eigentlich immer schon verstanden, seine Ideen gut arrangiert an den Mann zu bringen. Der Raggae-Einschlag kann natürlich als Folge des derzeitigen Trends gedeutet werden. Außerdem ist Jim bei Island unter Vertrag, einer Firma, deren Existenz bekanntlich auf dem Vertrieb reiner Raggae-Musik aufgebaut wurde. Doch Jim Capaldi war schon mit 15 Jahren in der Musikszene von Birmingham integriert, die sich in ihrer Geschlossenheit total von der Londoner unterschied. Die vielen kleinen Raggae-Kneipen in London heute sind eine reine Mode-Erscheinung, während damals in Birmingham die Masse der Einwanderer aus Jamaica mit ihrer Musik zum Alltäglichen gehörten. Raggae ist für Jim eine alte Liebhaberei, darum wählte er für den Titel der neuen Platte wohl auch die alte Redensart aus Jamaica: „Short Cut Draw Blood“ bedeutet in etwa, daß schon eine kleine Ursache Großes auslösen kann.

Dieser erfolgreiche Start ins Solo-Dasein hat Jim jedenfalls beflügelt. Jetzt plant er Live-Auftritte mit einer Gruppe, die nur in loser Formation zusammenarbeiten soll, mit Gästen, die jederzeit wechseln, und nicht als feste Band aufeinander fixiert sind. So gibt es genügend Freiraum für neue Impulse. „Lebendig und voller Energie,“ so stellt sich Jim Capaldi seine neue Truppe vor.