„Tribes of Europa” auf Netflix: 5 Gründe, warum die deutsche Sci-Fi-Serie ein Reinfall ist
Das Setting klingt vielversprechend, doch die Umsetzung enttäuscht. Von der fehlenden Originalität bis zur störenden Kamera: Wir präsentieren fünf Gründe, warum „Tribes of Europa“ nicht funktioniert.
Europa im Jahr 2074: Die alten Staaten gibt es längst nicht mehr. Nach einem globalen „Blackout“, einem mysteriösen Stromausfall im Jahr 2029, hat das Chaos die Oberhand gewonnen. Der Kontinent ist in zahlreiche kleine Stämme, sogenannte „Tribes“, zerfallen, die alle nach eigenen Regeln funktionieren.
Das ist das vielversprechende Setting der neuen deutschen Netflix-Serie „Tribes of Europa“. Es hätte wohl das Potenzial gehabt, das Sci-Fi-Genre endlich um eine spannende europäische Perspektive, um einen Blick in die ferne Zukunft der Post-Brexit-Ära, zu erweitern.
Dementsprechend wäre es eine Freude, behaupten zu können, dass „Tribes of Europa“ mit einer originellen Story, interessanten Figuren und komplexen Dialogen besticht. Dass die Kostüme überzeugend und die Kulissen hochwertig sind. Dass die Kamera alles perfekt in Szene setzt. Doch ein solches Resümee wäre leider nicht ehrlich. Wir stellen Euch fünf zentrale Gründe vor, warum die Serie einfach nicht funktioniert.
1) Keine originelle Handlung
Die einzelnen Handlungsstränge, die sich innerhalb dieses Settings entspinnen, sind vor allem eines: altbekannt. Bereits der Titel weckt die erste Assoziation: Die neuseeländische Sci-Fi-Serie „The Tribe“ (1999 – 2003) erzählte von ebenfalls in Stämmen organisierten Jugendlichen, die sich in einer postapokalyptischen Welt ohne Erwachsene durchschlagen müssen.
In den Stämmen, die „Tribes of Europa“ binnen der ersten sechs Folgen präsentiert, leben zwar hauptsächlich Erwachsene, der Fokus liegt aber auf drei Teenagern: Liv (Henriette Confurius), Kiano (Emilio Sakraya) und Elja (David Ali Rashed). Sie sind „Origines“, die friedfertig in einem Wald zusammenleben. Als Letzterer zufällig in den Besitz eines Hi-Tech-Würfels, eines sogenannten „Cubes“, gelangt, werden bald die „Crows“ auf den naturverbundenen Stamm aufmerksam. Deren blutrünstige Kämpfer*innen sehen nicht nur haargenau aus, wie die „Grounder“ aus „The 100“. Als Kiano in ihre Gefangenschaft gerät, muss er am eigenen Leib erfahren, dass sie auch ebenso streng organisiert sind. Die rituellen, in Kampfarenen ausgetragen Gefechte, sogenannte „Boj“, erinnern wiederum stark an „Tribute von Panem“.
Während es Elja zu Schrotthändler Moses (Oliver Masucci) verschlägt, um mehr über den „Cube“ herauszufinden, stellt sich Liv bei den „Crimsons“ – einer Vereinigung von „Eurocorps“-Soldat*innen – wiederum als stumpfe Katniss-Everdeen-Kopie heraus: Getrieben aus einer Mischung aus Mut und Selbstüberschätzung setzt sie alles daran, zu ihrer Familie zurück zu gelangen. Mit Armbrust bewaffnet stimmt sogar der Look.
2) Unauthentische Figuren
Dass sich das Drehbuch von Philip Koch, Jana Burbach und Benjamin Seiler nicht durch besonders einfallsreiche Hauptfiguren hervortun kann, wird bereits durch den ersten Punkt klar. Doch auch neben den zentralen Protagonist*innen wartet „Tribes of Europa“ in seiner Charakterzeichnung vor allem mit abgedroschenen Klischees auf.
Am deutlichsten wird das bei „Crow“-Fürstin Varvara (Melika Foroutan), die im Domina-Look unter den zahlreichen Sklaven des Stammes regelmäßig attraktive junge Männer für ihren exklusiven Zirkel auswählt, um sie auf einem Altar-ähnlichen Gebilde zum Sex zu zwingen. Doch die abgedroschene pubertäre Fantasie wird noch nicht einmal konsequent durchgezogen. Die sonst so knallharte Herrin wird nämlich ausgerechnet bei dem eigentlich ziemlich durchschnittlichen Protagonisten Kiano plötzlich ganz weich. Wie praktisch.
Humoristisches Gegengewicht zu den verwegenen „Crows“ liefert der Handlungsstrang um Elja, der an der Seite des besagten Moses durch den weitgehend verwaisten Kontinent cruist, um die Geheimnisse des „Cubes“ zu entschlüsseln. Recht schnell offenbart sich der Schrotthändler als stereotyper Taugenichts mit Herz am rechten Fleck. Egal wo die beiden hinkommen, überall hat er noch eine Rechnung offen. Doch so groß das Drama auch sein mag, seine Charme und seine Wortgewandtheit retten ihn aus jeder Situation.
3) Dialoge zum Fremdschämen
Apropos Wortgewandtheit – die kann man Liv, Kiano, Elja und auch den anderen Figuren nicht gerade unterstellen. Die Dialoge klingen hölzern, was auch daran liegt, dass sich die jeweiligen Gesprächspartner*innen meist nur Hauptsätze – nicht selten aus weniger als fünf Wörtern bestehend – an den Kopf werfen. Dahinter verbirgt sich wahrscheinlich der Anspruch, das vermutete Young-Adult-Publikum nicht zu überfordern. Anders sind vermeintlich „coole“ Aussprüche wie „Holy-F*cking-Mary!“ auch nicht zu erklären.
Auch jenseits der Dialoge besitzt das „Wording“ der Serie großes Potenzial zum Fremdschämen. Das beginnt bei der „Nomen est Omen“-Benennungspraxis der Stämme – natürlich klingt der Name des naturverbundenen Völkchens „Origines“ verdächtig nach „Aborigines“, während der fiese, düstere Stamm passenderweise nach der „Krähe“, der man ganz ähnliche Attribute zuschreibt, benannt ist.
4) Störende Kamera
Zu allem Übel wird dieses Allerlei durch die Linse einer meist verwackelten Kamera eingefangen. Vor allem in den ersten Einstellungen, aber auch in den späteren Kampfszenen, schaut die Kamera den Protagonist*innen hastig über die Schulter oder sprintet ihnen hinterher. Das erzeugt allerdings keine Nähe zum Geschehen, sondern lenkt eher davon ab. Störend zieht die Kamera die Aufmerksamkeit auf sich und verstärkt so noch den ohnehin schon starken Anschein von Künstlichkeit.
5) Wenig überzeugende Kostüme und Kulissen
Zugegeben, die Qualität der Ausstattung schwankt über die sechs Episoden hinweg stark. Der erste Handlungsort um das Lager der „Origines“ versprüht den Charme eines Baumlehrpfades, die Outfits der Bewohner*innern erinnern eher an ein Karnevalskostüm. Das alles passt nicht recht zu der Vorstellung, dass „Tribes of Europa“ von denselben Produzent*innen stammt, die auch für „Dark“ zuständig waren.
Der (natürlich) im postapokalyptischen Berlin (jetzt eigentlich „Brathok“) angesiedelte Stützpunkt der „Crows“ mag sehr stark von anderen Produktionen inspiriert sein, ist deswegen aber immerhin ästhetisch ansprechender. Alles erinnert ein wenig an „Cyberpunk Light“: Man hört Techno, die Kampfarena wird regelmäßig zum Partybunker umfunktioniert, Neonlicht dominiert die Szenerie. Passenderweise versprühen auch die Outfits den Charme von Berliner Szeneclubs. Aber ob es in einer anarchistischen Zukunft, in der ein Mangel an allem Möglichen besteht, noch Fetisch-Kleidung geben wird? Eher unwahrscheinlich.
„Tribes of Europa“ mit Henriette Confurius, Emilio Sakraya und David Ali Rashed startete am 19. Februar 2021 auf Netflix.