Udo Lindenberg


Seine Verdienste um die deutschsprachige Rockmusik sind unbestritten. Trotzdem ist der engagierte "Grüne" mit Kanzler-Ambitionen mehr und mehr in die Schußlinie der Kritiker geraten. Hat Udo L. als professioneller Sprücheklopfer die Zeichen der Zeit verpaßt? Was der "Vorsitzende der Flexibel-Betriebe" 1983 denkt, fühlt und plant, verrät er im folgenden ME/Sounds-Interview.

ME/SOUNDS: „Bei dir läuft nur noch em Ein-Mann-Management, die „Flexibel-Betriebe“ gibt es nicht mehr?

UDO: „Die sind jetzt noch flexibler. Ich bin immer am Tatort, zusammen mit anderen flexiblen Leuten, und wir managen das aus dem Koffer raus. Ich will nicht mehr so eine große Firma haben, denn das hatte ja früher etwas von einem „Panik-Konzern“. Ich mache jetzt weniger – und besser.“

ME/SOUNDS: Warum gerade hier in Berlin?

UDO: Weil Berlin für mich die lebendigste Stadt ist, die wir in Deutschland haben. Hier ist die Szene am buntesten, die Leute sind am verrücktesten, am tolerantesten – viele Ausländer, viele Filmmenschen, Musiker, viele Theater, Schwulenszene, Frauenszene. Das ist hier ’ne Extremstadt, und ich steh‘ immer schon auf Extreme.“

ME/SOUNDS: Bisher hat man dich mehr mit Hamburg verbunden, mit dem hanseatischen Milieu, Seemänner. ..

UDO: „Auch der Seemann Hans Albers hat zum Beispiel in Berlin immer viel gemacht. Ich glaub, Städte sind ein bißchen so wie Menschen. Die sind mal gut drauf, mal sind sie weniger gut drauf. Und Berlin ist seit einigen Jahren nun schon richtig gut drauf, finde ich. Die ganzen Kaputtheiten gehören dazu, während Hamburg etwas sehr Schicki-Micki-Mäßiges hat Hamburg wird modischer, es gibt da mehr Schmalspur.“

ME/SOUNDS: Vom Hotelfenster aus kann man den Ost-Berliner Funkturm erkennen -Thema DDR: In einem Song deiner neuen LP, „Sonderzug nach Pankow“, bezeichnest du Erich Honecker als heimlichen Lederjakken-Rocker. Damit hast du ja wohl eventuelle Auftrittsmöglichkeiten in der DDR für immer zunichte gemacht.

UDO: „Es sei denn, die DDR-Oberfreaks erweisen sich als humorig und laden mich endlich mal ein. Ich meine, es ist kaum damit zu rechnen, aber man will es ja nicht ganz ausschließen… Ich bin dagegen, daß Freunde und Sympathisanten in der DDR ständig irritiert werden durch Gerüchte, ich würde nun angeblich demnächst mal da und da spielen, und dann wird da doch nichts draus. So läuft das nun schon seit einigen Jahren.“

ME/SOUNDS: Aber eine Session m der DDR hat es doch gegeben.

UDO: „Ja, wir sind vor einiger Zeit mal ins Ost-Berliner „Cafe Alex“ gelatscht, Thomas Kretschmer und ich. Wir haben uns mit den Jugendlichen, die da rumhängen, unterhalten; da spielte ’ne Band, ich habe dann einmal getrommelt, und Kretschi hat Gitarre gespielt. Dann wollten sie mich irgendwann singen hören, ich habe das gemacht, ganz harmlose Lieder, „Boogie Woogie Mädchen“ und so etwas. Zwei Tage später ist dort der Geschäftsführer entlassen worden.“

ME/SOUNDS: Kommen wir einmal von der DDR zurück m die BRD. Hierzulande ist gerade deine LP „Odyssee“ erschienen. Was gibt’s Neues 7

UDO: „Erstmal sind viele andere Komponisten dabei, mehr als sonst. Ich hab 1 also jetzt mehr mit anderen Leuten zusammengearbeitet…“

ME/SOUNDS: …da könnte man bösartig folgern, daß beim Komponisten Lindenberg der Saft ‚raus ist.

UDO: „Überhaupt nicht, es gibt einfach mehr Flexibilität, mehr Farbe. Es soll alles immer bunter werden. Ich hab‘ so ’ne bestimmte Art von Komposition drauf, und andere Leute haben eben andere Kompositionen drauf. Das hat nichts mit Bewertung zu tun. Ich habe mich diesmal mehr auf die Texte konzentriert.“

ME’SOUNDS: Schon auf der vorhergehenden LP „Keule“ ist deutlich geworden, daß die mittlerweile nicht mehr ganz so Neue Deutsche Welle nicht spurlos an dir vorübergegangen ist. Es dominiert ein etwas monotoner, verhallter Schlagzeug-Sound.

UDO: „Der Sound ist anders, ich experimentiere gern. Wir haben bis auf einen Song alle Schlagzeugsachen mit Computer gemacht, mit dem Linn-Drum-II-Computer. Es war sehr interessant, damit zu arbeiten. Da kriegst du Grooves ‚raus, die du mit einem Original-Schlagzeug so nicht hinkriegst.“

ME/SOUNDS: Das verwundert em bißchen – du hast selbst als Schlagzeuger angefangen, früher war dem Schlagzeug-Sound ausgetüftelt, sehr gut abgemischt, während er heufe mechanischer, maschinell klingt.

UDO: „So eine Maschine muß man nehmen wie em Instrument, man muß damit spielen. Ich finde, daß wir das ganz gut hingekriegt haben – Kristian Schulze, Dave King und ich haben den Computer gemeinsam programmiert. Man kann damit sehr dynamisch musizieren. Aber ich werde jetzt nicht sagen; Künftig nur noch Computer-Trommler wie Gustav Gnadenlos oder Kraach in de Kist, wie er bei uns heißt. Es ist einfach wieder eine von vielen Farben. So wie ich auf der letzten Scheibe mal Heavy Metal ausprobiert habe, mit einer Ami-Band.

Und auf der nächsten Platte ist das alles wahrscheinlich schon wieder ganz anders. Dieses Abenteuer, diese Spielerei brauche ich auch, sonst war‘ das ziemlich langweilig, immer mit derselben Besetzung, immer mit dem Sound, den man sowieso schon immer hatte.“

ME/SOUNDS: Welche Musik hörst du denn im Moment „privat“ ?

UDO: „Ja, was gibt’s denn so … Ich habe jetzt drei Monate lang praktisch fast nichts mehr gehört, weil ich hauptsächlich mit der Platte beschäftigt war. Dann war ich gerade wieder ein bißchen in New York und hab 1 da em paar Sachen gehört, aber die amerikanischen Charts haben mich auch nicht so umgeschmissen. Obwohl – die neue Donna-Summer-Platte zum Beispiel hat einen tierischen Sound. Bruce Springsteen spielt da mit, von dem mag ich einige Lieder, von der LP „Nebraska“. Der macht auch solche Sachen: Plötzlich stellt der einen Vierspur-Cassettenrecorder zuhause auf und nimmt eine Platte damit auf.“

ME/SOUNDS: Ist so etwas bei Udo Lmdenberg denkbar, eine Heimproduktion am Klavier 7

UDO: „Ja, irgendwo im Keller, in der Garage, oder mal ’ne Unterwasser-Platte machen, das ist alles denkbar. Oder vielleicht eine erotische Platte im Bett, daran habe ich auch schon ein paarmal gedacht; daß ich mal ein Mikrofon ins Bett ‚reinstelle, und draußen steht das rollende Studio. Das haben wir echt schon mal erwogen, bei dem „Sandmännchen“-Lied, was ja viel mit Bett, mit ‚Rumliegen und Nicht-Schlafen-Können zu tun hat,“

ME/SOUNDS: Da sind wir beim Thema „Zwischenmenschliche Beziehungen“. Auf der neuen LP gibt es dazu einen Song („Du knallst m mein Leben“), und auch früher hast du häufig öffentlich nachgedacht über deine Probleme als unruhiger „Flipper“, wie em anderes Stück heißt.

UDO: „Ja klar, ich hab‘ da Schwierigkeiten, das haben die meisten. Viele laue Geschichten, Psychoterror – für mich ist das einfach nichts. Ich habe die Erfahrung ein paarmal gemacht und gemerkt, daß das tödlich ist, wenn ich Tourneen oder Platten mache. Mir fällt dann nichts mehr ein. Kann nicht mehr pennen, Magendrehen, Kotzen – der Sizilianer. Ich finde Freundschaften sehr wichtig, und ab und zu Romanzen, aber eben ohne die Damen, wenn’s geht.“

ME/SOUNDS: Das wünscht sich wahrscheinlich jeder. Aber du sagst ja heute selbst, daß du deine schlimmste Problemphase Ende der 70er Jahre hattest, als der ganz große Erfolg da war und du kein Privatmensch mehr warst, sondern nur noch Musiker.

UDO: „Nicht nur Musiker, sondern Manager. Damals wurde ständig gemanagt, da habe ich ja auch in so einem Büro gewohnt, mit Sekretärin, Da war nur Management, und dann kam auch noch die Füm-Arie („Panische Zeiten“). Da rutschte der ganz private Udo wirklich in den Keller weg, und er hat sich ab und zu beklagt. Ich habe gesagt: „Halt’s Maul“, den Whisky ‚rein und fertig.“

ME/SOUNDS: Heute gibt es in deinen Songs wieder eher lockere Sprüche über den Alkohol, mit Honecker ein Fläschchen Cognac schlürfen…

UDO: „Ein Schlückchen Cognac macht ja nichts, aber das war ja bei mir damals richtig Heavy-Alkoholismus. Jetzt trinke ich überhaupt nichts mehr – also, manchmal tippe ich den kleinen Finger ins Glas und leck‘ da mal oder nippe mal kurz, das geht schon. Ich kann auch gelegentlich eine Cognacbohne zu mir nehmen; es ist nicht so, daß ich dann sofort wegrutsche.

Aber sonst trinke ich noch nicht mal ein Glas Bier. Ich hab‘ das Thema durch, endgültig, und will damit nichts mehr zu tun haben. Vielleicht fang 1 ich irgendwann mal wieder an, das weiß ich nicht, aber jedenfalls nie wieder in dem Ausmaß. Das hat was Mörderisches – Krankenhaus, Tropf, Notärzte; das habe ich hinter mir.“

ME/SOUNDS: Glaubst du, daß du heute das richtige Verhältnis zwischen Job und Privatleben gefunden hast ?

UDO: „Ja, das glaube ich. Mir sind Freundschaften am wichtigsten, und Freundschaften sollten auch – wenn’s geht – totale Zuwendung, Zärtlichkeit und auch Erotik mit einbeziehen; so mache ich das jedenfalls meistens.

Weißt du, diese eine Partnerin oder diesen einen Partner brauche ich nicht. Ich komme mit mir selber gut klar, das halte ich auch für wichtig, nicht narzißtisch, aber so’n gesundes Selbstbewußtsein.

Ich glaube, viele haben das nicht so und klammern sich auch deswegen so sehr an einen Partner – damit der Partner sagt: , Du bist so toll, so sexy und was alles‘. Und die liefern sich oft auch so einem Partner aus. Wenn das dann nicht mehr läuft, dann brechen die zusammen.“

ME/SOUNDS: Was ist denn, wenn dir irgendwann mal deine „Märchenfee“ erscheint?

UDO: „Über die Zukunft kann ich nichts Genaues sagen, außer, daß ich nie heiraten würde. Und daß ich glaube, daß es sowieso mehrere Feen gibt, nicht nur die eine. Es ist sowieso alles Zufall, welche Leute man trifft. Das habe ich auch schon einmal gesungen, in „Das kann man ja auch mal so seh’n“. Die Feen sitzen und liegen überall.“

ME/SOUNDS: Man munkelt, daß der liberale Udo Lindenberg in Wirklichkeit in manchen Beziehungen ein „Chauvi“ ist, der von seiner Freundin absolute Treue verlangt, während er das für sich selbst nicht so eng sieht.

UDO: „Das wird oft mißverstanden. Verlangen würde ich Treue sowieso nie, eine verlangte Treue ist was ganz Billiges. Das muß ganz freiwillig kommen und jeden Tag neu. Wenn ich mich allerdings mit einer Frau liieren würde, also richtig klassisch-sizilianisch, hochheilig, dann könnte ich schon so’n bißchen konservativ sein; ich meine, ich praktiziere das ja nicht.

„Ich finde Freundschaften sehr wichtig – und ab und zu Romanzen, aber eben ohne die Damen, wenn’s geht.“

Aber wenn dann mal die Fee aus den Wolken herabsteigen würde, dann gäbe es wohl diese alten, urkatholischen Restbestände, die ich irgendwie in mir hab.

Wie ich da ‚rangekommen bin, weiß ich auch nicht. Ich bin überhaupt nicht so aufgewachsen; die Gegend war zwar so, aber von zuhause aus wurden wir nicht in die Kirche gepeitscht.

Aber ich glaube, die meisten Typen sind sowieso so. Wenn nicht, dann machen sie sich etwas vor, wenn die sagen: „Wir sind ja so progressiv, wir sind so liberal, gleiches Recht für alle! Wenn ich ‚rummache, kann die Frau auch ‚rummachen!“ Aber die meisten Typen kommen einfach nicht damit klar.

Ich würde zum Beispiel auch nicht damit klarkommen. Wenn ich mit ’ner Frau richtig zusammen wäre, so richtig klassisch, dann würde ich sagen – so wie das einst in Sizilien üblich war: , Wir sind jetzt über die Ewigkeit hinaus zusammen, mit Kindern und allem‘. Dann ist das für mich eine Bedingung, daß die Frau sich entscheidet für diesen einen Typen.“

ME/SOUNDS: Gilt das wirklich auch für dich selbst?

UDO: „Ich würde mich nur mit ’ner Frau zusammentun, die anders ist als ich, die in dieser Hinsicht anders ist.

Viele Männer sind, was Partnerschaft betrifft, flexibler; sie sind äußerlicher, flüchtiger. Sie bumsen so’n bißchen rum, das betrifft dann aber wirklich nur die untere Etage. Bei Frauen spielt sich jedoch oft mehr ab. Das geht nur, wenn die jemand wirklich Spitze findet und den Typen auch liebt. Es läuft bei Frauen auf mehreren Ebenen ab.“

ME/SOUNDS: Wo wir schon bei den verschiedenen Ebenen sind: Wie autobiographisch ist der Song „Na Und?“, in dem es um eine Romanze zwischen Männern geht?

UDO: „Der ist autobiographisch. Das hängt auch mit der ganzen Erziehung zusammen, 50er Jahre, Anfang der 60er Jahre in der Kleinstadt Gronau; da galt Homosexualität als total entartet. Mit so einem Quatsch bin ich, wie die meisten anderen ja auch, aufgewachsen.

Dann habe ich mir irgendwann gedacht: „Was soll das Ganze?“ und habe so meine Anregungen entgegengenommen: David Bowies „Ziggy Stardust“ zum Beispiel, der hat ja ein paar Bi-Songs gemacht. Das war meine „Commg-Out“-Zeil ziemlich spät.

Ja, da habe ich mir gedacht, was soll diese ausschließliche Hetero-Abteilung. Ich bin doch von den Flexibel-Betneben, und ich kann doch auch vielleicht Jungs ganz gut finden, daß ich die mal in den Arm nehmen und auch Zärtlichkeiten austauschen kann…“

ME/SOUNDS: … nicht nur in Songs, also auch privat?

UDO: „Ja, das gibt s bei mir auch. Das gibt’s zwar ziemlich selten, aber das kommt vor. Und das finde ich auch völlig natürlich. Alles andere halte ich für Erziehungsquatsch, Restbestände von Katholen- und Nazikram.

Menschen können und sollten Menschen lieben, unabhängig davon, ob da nun ein U-Boot oder ein Fjord in der Hose ist.“

Maiius und Ideal, das sind kurzfristige Sachen. Die tanzen mal einen Som- mer lang. Bei Maffay vermisse ich die Tiefe. Er ist für mich der ,Marlboro- Man‘ – Aussteigerwunsche und Abenteurer-Sehnsüchte, das wird von Maffay voll bedient.

ME/SOUNDS: Bleiben wir bei der Seefahrt, darum geht es auch bei deiner Tournee, die Ende Februar beginnt. Motto „Odyssee“, mit Themen deiner gleichnamigen LP.

UDO: „Wir werden ein Riesenschiff auf der Bühne haben, einen „Oceanhner“, und auf dem Dampfer befinden sich ’ne Menge Leute. Die wollen alle irgendwo hin. die Kapitäne blicken jedoch nicht mehr so richtig durch. Und da gibt’s an Bord die Paranoia-Emigranten, die wollen nach Australien, und andere wollen wieder ins „Gelobte Land“, wo auch immer das sein mag; die stehen für die Sekten. Dann haben wir ein Bordkino, da laufen die Killerfilme; es gibt die Deserteure vom Bund, die das alles nicht mehr einsehen. Als musikalische Gäste sind Gianna Nannini und ihre italienische Band dabei.“

ME/SOUNDS: Da gibt es keine Berührungsängste?

UDO: „Als Eric Burdon oder Helen Schneider mit mir auf Tournee waren – und die sind ja auch ziemlich heavy – da war gelegentlich zu hören, daß die mich in Grund und Boden gesungen hätten. Aber darum geht’s ja gar nicht, wir sind einfach zu verschieden Eric Burdon hat nun mal die Morderstimme, er ist außerdem ein richtiger Sänger. Ich bin ja eigentlich mehr so’n Geschichtenerzähler, ich habe nicht unbedingt die Gigantenstimme Ich hab‘ dafür ne Stimme, die hat kein anderer, weltweit! – Wie Eric singt auch Gianna ganz anders als ich.“

ME/SOUNDS: Nochmal zur Show, du hast die Sekten erwähnt, die dem Song „Heyooh Guru“ behandelt. Wie wird das dargestellt?

UDO: „Die Sektenjünger, das sind wir alle Auf der anderen Seite gibt es einen Guru, der für mehrere verschiedene Dinge steht. Gurus können okay sein Manchen Leuten bringt das auch was, die kommen auf einen anderen Trip und erhalten neue Anregungen, Meditation zum Beispiel ist nicht verkehrt, finde ich Mein Song richtet sich gegen jede Form von blinder Gefolgschaft. Und ein Guru bin ich zum Beispiel für viele auch Jeder, der irgendwie auf der Bühne oder auf einem Thron, wo auch immer, sitzt, sollte ständig sehr kritisch überprüft werden. Ich hatte eine Textzeile: „Der Weihrauch steigt mir in die Nase/von Louides bis Cronau, Gartenstraße “ Den habe ich nur aus Platzgründen nicht mehr im Song unterbringen können.“

ME/SOUNDS: Wenn du die Leute aufforderst, sich ihre eigenen Gedanken zu machen, dann ist das doch schon ein wenig m den Plattengeschäften geschehen. Leute wie Manus Müller-Westernhagen, Ideal oder Peter Maffay, denen du vielleicht mit deinen Ideen den Weg bereitet hast, verkaufen heute mehr als du.

UDO: „Das sind kurzfristige Sachen, Manus und Ideal Manus geht schon wieder so (Handbewegung nach unten), Ideal ebenso. Die tanzen mal einen Sommer lang, jeder hat eine Saison oder zwei, und das ist auch in Ordnung so.“

ME/SOUNDS: Du glaubst nicht, daß diese Gruppen so lang wie du durchhalten 7 UDO: „Nee. keiner von denen.“ ME/SOUNDS: Wie sieht’s mit Peter Maffay aus. bei dem seit einigen Jahren Musiker des „Panikorchesters“ mitspielen?

UDO: „Das ist Schlager, und ich habe es auch nicht besonders gern gesehen, daß die Jungs aus dem „Panikorchester“ diese scheinheilige Arie unterstützen, diese scheinengagierten Geschichten. Das ist so ein Rundumverfahren: in einer Zeile die Friedensbewegung, m der anderen Zeile. Jedem Krüppel steht sein Rollstuhl zu“, und so.

Mit der Oberflächlichkeit ist das nicht zu machen, und dann vermisse ich bei Maffay eben auch die Tiefe. Die ist höchstens bei seinen Liebeshedern vorhanden. Diese Rock- und Heavy-Attitüde nehmen ihm ja viele nicht ab. Für mich ist Maffay mehr so der „Marlboro-Man“ – Aussteigerwünsche und Abenteurersehnsüchte, das wird von Maffay ziemlich voll bedient.“

ME/SOUNDS: Wie laufen denn die Gespräche m eurer Band zu diesem Thema ab?

UDO: „Die Jungs kommen manchmal auch ins Grübeln. Bei der ZDF-Hitparade zum Beispiel, daß sie plötzlich in dieser Affenschau ‚rumstehen, sich allerdings tarnen und maskieren mit großen Hüten und so. Da war ich also auch beleidigt – was heißt beleidigt, das ist für mich eben Prostitution. Ich hab‘ gesagt. „Jahrelang singen wir, und ihr singt’s doch irgendwie mit. das ist doch eine solidarische Geschichte. „

Auf jeden Fall sind sie da ziemlich ins Grübeln gekommen, und wir haben jetzt beschlossen, noch eine Weile weiterzuarbeiten und die Entwicklung abzuwarten.“

ME/SOUNDS: Ihr geht jetzt, wie gesagt, erstmal wieder zusammen auf Tournee man kann euch jedoch schon vorher live hören.

UDO: „Vor der Tournee läuft die „Grüne Raupe“. Das ist ein Zug, der kreuz und quer durch die Bundesrepublik fährt, mit ganz

„Ich unterstütze die Grünen – ich bin den Grünen sehr grün.“

vielen Leuten an Bord. Da werden Filme gezeigt, da wird diskutiert und informiert, wie die Programmatik der Grünen aussieht und was die Grünen im Bundestag machen werden. Ich unterstütze die Grünen – ich bin den Grünen sehr grün – und mache da schon seit einiger Zeit mit.

Bei der „Grünen Raupe“ sind viele Bands dabei, von BAP über Spliff bis Zeitgeist, und natürlich die Liedermacher: Konstantin Wecker, Ludwig Hirsch – und auch aus anderen Kulturbereichen, Heinrich Böll und Andre Heller zum Beispiel. Der Zug fährt durch die Gegend, ab und zu steigen wir aus und machen Festivals. Die „Raupe“ beginnt am 10. Februar, und ich bin viermal dabei.“

ME/SOUNDS: Als du angefangen hast, dich um Politik zu kümmern, klang das mehr wie ein Gag. Du hast getönt, du wolltest Bundeskanzler werden, und seitdem gibt es viele, die sagen, daß dem Engagement eher eine clevere Marketing-Strategie als ein echtes Bedürfnis sei.

UDO: „Das sind nur Leute, die nicht durchblicken. Ich bin ja jetzt schon seit Jahren bei dieser Bewegung dabei, und eigentlich bin ich ja auch einer der Initiatoren, wenn ich das auch in einer eher parodistischen Form eingeführt habe. Damals habe ich immer von der „Panik-Partei“ geredet, und daß man in die Politik eine andere Stilistik, eine andere Sprache einführen müßte. Ungefähr zu der Zeit haben sich ja auch die Grünen formiert.“

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ME/SOUNDS: Daß die Grünen ein Produkt der „Deutschen Panik-Partei“ sein sollen, ist vielleicht doch ein wenig hochgestochen.

UDO: „So habe ich das nicht gesagt. Ich habe nur gesagt, daß das gleichzeitig losging, und ich will damit nur ausdrücken, daß ich da nicht erst, als die Sache schon lief, als Trend-Stratege draufgesprungen bin. Das wird mir immer wieder vorgeworfen. „Lindenberg steigt auf jeden Zug auf, der gerade vorbeifährt.“ Das kann man so nicht sagen, weil ich von Anfang an dabeigewesen bin.

Auch früher habe ich schon politische Lieder gemacht, wenn auch nicht ganz so betont – zum Beispiel „Mädchen aus Ost-Berlin“, das war 1973 auf der LP ANDREA DORIA drauf. Später, als die Zeiten dann politischer wurden, als es wichtiger wurde, politisch einzugreifen, habe ich dann mehr Polit-Songs gemacht.“

ME/SOUNDS: Aber insgesamt tauchen doch in deinen Songs vor allem Sprüche auf, nehmen wir zum Beispiel “ Wozu sind Kriege da“ mit dem zehnjährigen Pascal. Da hat es viel Kritik gegeben, ein Song^aus der Nicole-Ecke, der Druck auf die Tränendrüse.

UDO: „Trauer kann einen ja echt überkommen – und Wut – wenn man sich überlegt, daß jeden Tag zigtausend Menschen sterben, weil nichts zu essen da ist. Auf der anderen Seite werden Billionen in die Rüstung ‚reingeballert, das ist eine solche Schizo-Welt.

Und davon sind nicht nur Erwachsene betroffen, sondern Kinder kriegen das auch mit. „Wozu sind Kriege da?“, das sind Fragen, die Kinder ihren Eltern echt stellen, Und ich habe das für wichtig gehalten, daß man aus dieser Thematik Kinder nicht heraushält, so wie mir das manche Leute empfohlen haben. Die Kinder können morgen über den Jordan gehen; man sollte sie sehr früh in das Boot ‚reinziehen, in dem wir alle sitzen.“

ME/SOUNDS: Die alte Frage. Was sollen solche Songs genau bewirken? In diesen Drei-Minuten-Stücken tauchen doch nur Slogans auf, die man schon seit Jahren von dir kennt.

UDO: „Ich glaube, es gibt einige Sachen und Aufrüstung gehört dazu – die kann man immer wieder wiederholen, die Leute immer wieder drauf hinweisen. Viele Leute verdrängen das, die sind zu sehr mit Ego-Geschichten beschäftigt.

Und die sagen, so ein Thema inflationiert sich auch mal. Aber das Problem bleibt, es wird sogar jeden Tag größer und immer bedrohlicher. Ich kann natürlich in den Songs nicht alle Informationen ‚rüberbnngen, ich kann diese ganzen Themen nur antippen.

Eine ganz andere Geschichte: Es gibt schon Millionen Liebessongs, aber ich singe auch immer mal wieder Liebeslieder. Da können auch neue Aspekte auftauchen.“

ME/SOUNDS: Versteckt sich der Mensch Udo Lindenberg vor allem in den Polit-Songs nicht manchmal hinter sprachlichen Schablonen? Ist es nicht wichtiger, von persönlichen Erfahrungen zu berichten als gereimte Flugblätter zu vertonen?

UDO: „Einige Sänger und Journalisten sagen, du solltest eigentlich nur über das singen, was dich selber betrifft, über deine ganz intimen Geschichten. Und ab und zu sind bei mir auch mal solche Songs dabei die hauptsächlich mit meiner Situation zu tun haben, „Mr. Nobody“ zum Beispiel. Aber sowas dosiere ich sehr sparsam, weil ich es nicht so interessant finde, die Bühne zur Couch zu machen, das Publikum zum Analytiker zu erklären.“

IVnySOUNDS: Willst du eigentlich noch immer Kanzler werden?

UDO: „Klar, logo! Man muß da nur immer so früh aufstehen, habe ich gehört. Kultur-Attache – das könnte ich mir ganz gut vorstellen.“

ME/SOUNDS: Wie ernst meinst du solche Sprüche? Du könntest dich ja auch bei den Grünen als Bundestagskandidat aufstellen lassen.

UDO: „Durchaus denkbar, daß ich demnächst mal konkreter in politische Arbeit einsteige, und zwar im Rahmen meiner Möglichkeiten. Es gibt Leute, die haben natürlich wesentlich genauere politische Informationen als ich, ich bin da nicht so ein Detail-Freak, Aber ich könnte mir vorstellen, ab und zu mal so’n bißchen Musik im Bundestag…“

ME/SOUNDS: Das klingt ganz schön naiv.

UDO: „Es klingt auch naiv, wenn wir sagen: „Die Rüstung muß auf der Stelle weg!“ Ich meine, das sind zwar alles Utopien, aber die sind zum Vorverlegen da.“

ME/SOUNDS: Du hast vor einem halben Jahr einen neuen Plattenvertrag mit der „Deutschen Grammophon Gesellschaft“ abgeschlossen, dessen Garantiesumme nicht veröffentlicht wurde, aber es gibt da so Gerüchte von fünf bis sechs Millionen. Fühlst du dich unter Erfolgsdruck, ist das für dich eine Last, wenn du diesen Betrag wieder hereinholen sollst 7 UDO: „Das muß ich ja nicht. Die müssen das nur bezahlen. Wenn diese meine Zauberstimme fünf Jahre irgendwo verpflichtet wird, exklusiv, das ist ja auch so’n bißchen Prestige für die Firma. Ein ordentlicher Prolo, frisch vom Acker – was macht der, wenn er mit der Industrie irgendeinen Deal machen kann‘ Er nimmt die reichliche Asche entgegen, das würde jeder so machen.

Ich habe also keine Verpflichtung, diese Asche wieder ‚reinzufahren. Ich bin nur verpflichtet, und zwar hauptsächlich mir selbst gegenüber, vernünftige Platten zu machen.“

ME/SOUNDS: Einige von den sogenannten „Lockersongs“ auf deiner neuen LP sind nicht mehr so witzig, so unverkrampft wie früher. Gibt’s da nicht doch vertragliche Zwänge?

UDO: „Ich kann machen, was ich will. Das ist mir auch immer ganz wichtig gewesen. In den Verträgen stand immer drin: Was ich für Songs ‚rausbnnge, das entscheide ganz allein ich.“

ME/SOUNDS: Existieren , abgesehen von der Kanzlerschaft, noch andere „Udopien“?

UDO: „Papst. – Nee. Ich weiß nicht. Es soll auf jeden Fall abenteuerlich bleiben. Ich würde mich gern um Kulturgeschichten zwischen DDR und Bundesrepublik etwas genauer kümmern. Ich will da auch gern mit „Honny“, Erich Honecker, mal drüber reden. Und wenn er keinen Cognac mag, dann trinken wir halt was anderes. Es kann auch ein Glas Buttermilch sein.“