Udo Lindenberg
In Lindenberg s Rock-Zirkus ist mal wieder reichlich action. Anfang Dezember ging seine „Dröhnland Symphonie“ tierisch los, und im Januar fährt Udo’s Rock Revue fürchterlich ab: live in Deutschlands größten Hallen. Außerdem dealt der Erfinder des deutschen Rocksongs gerade noch mit so’n paar Ideen rum. Denn auch im nächsten Jahr will Udo sein Ding voll durchziehen….
Wder Herr Kapellmeister nachmittags zum vereinbarten Termin aufkreuzt, kann es sein, daß es für ihn noch früh am Morgen ist. Dafür hat er einen Haufen ausgeschlafener Ideen für seine bevorstehende Tournee dabei und als Muntermacher die neue LP: „Dröhnland Symphonie“. Sechs Wochen lang hat Udo mit der Band daran im Hamburger Teldec Studio gearbeitet; Texten und Komponieren inbegriffen. Daß Udo nicht endlos über dem neuen Material gebrütet hat, merkt man der LP an: Sie geht ganz gut los (siehe auch Longplayers).
Am 19. Januar startet Lindenbergs „Rock Revue ’79“ mit diversen Überraschungen und Gästen. Drei Stunden soll das Spektakel dauern. Wenn alles nach Wunsch verläuft, werde sich sogar Peter Zadek an der Inszenierung beteiligen, verrät Udo. Zumindest habe er lebhaftes Interesse bekundet. Außerdem wartet man noch auf die Zusage Eric Burdon’s. Da Udo außer neuen Titeln natürlich auch einen Teil seiner Rock Revue-LP auf die Bühne bringen will, soll Eric in diesem Showblock sein „We’ve Gotta Get Out Of This Place“ als Original von „Verdammt, wir müssen raus aus dem Dreck“ singen. Und vielleicht kann er ja auch noch was mit Inga Rumpf gemeinsam bringen. Die habe, so Udo, nämlich auch nichts dagegen, mitzureisen. Ulla Meinecke wird mit Sicherheit dabeisein. Außerdem wird der harte Kern des Panik-Orchesters durch zwei Musiker verstärkt: den Perkussionisten Nippy Noya und den Saxophonisten Gebhard Gloning. Möglicherweise läßt Udo diesmal außer den üblichen Puppen sogar ein richtiges Ballett tanzen. Die Musik gab er bei einem Spezialisten in Auftrag: bei Uwe Wegner, Dozent an der Hamburger Musikhochschule. Im Lindenberg-Jargon ein klassischer Pianeur, der sonst eher für Hermann Prey in die Tasten greift.
Vor allem: volksfestartig soll die Konzertatmosphäre sein. „Die Leute sollen nicht in ihren Kultursesseln angeschraubt sitzen wie im Hamburger C’ongress Centrum. Wenn einer mal aufsteht, kommt da gleich der Gestapo-Ordner und prügelt auf die Kids ein.“ Um diese sterile Konfrontation zwischen Bühne und Publikum zu vermeiden, wird keine der 16 Konzerthallen bestuhlt sein. Um die miserable Akustik der ungemütlichen Hamburger Ernst-Merck-Halle abzufangen, bemüht Udo sich darum, daß man zum Beispiel die Wände zuhängt und daß der Boden mit künstlichem Rasen ausgelegt wird. Darauf hätte schließlich langst jemand kommen können: Immerhin zahlt sich diese Investition im Laufe der Zeit aus, da die Halle bei jedem größeren Konzert wieder so hergerichtet werden kann. „Viele Riesenacts kommen doch erst gar nicht nach Hamburg, weil wir hier keine vernünftige große Halle haben.“ Udo ist in seinem Element: „Es ist doch ein Trauerspiel, wenn man bedenkt, daß der Senat 65 Millionen ‚raustut für die traditionellen Häuser und für das, was man Pop-Kultur nennt, ganze 1,5 Millionen. Da stimmt doch ‚was nicht.“
Udo, der Engagierte. Seinen Fans, so sagt er, fühle er sich immer stärker verpflichtet. „Ich habe jetzt ja viel mehr Möglichkeiten als früher. Wenn man so eine Art Sprachrohr für die Jugendlichen ist, so eine Art Orientierungsperson, entwickeln sich daraus auch Aufgaben. Die hat man dann einfach. Es wäre schlimm, wenn man sich den Dingen verschliessen und sich sagen würde, Hauptsache ich mache meine Karriere und meine Kohlen, alles andere ist mir egal.“
Gerade das aber warf ihm unlängst das Jugendmagazin Elan vor, Initiator des „Rock gegen Rechts“-Festivals, das Ende November in der Essener Grugahalle stattfand. Nach anfänglicher Begeisterung für die Sache habe Udo sich mit der Begründung, daß er mit seinem großen Namen nicht allein dastehen wolle, um die 8000 Leute in die Halle zu ziehen, aus der Angelegenheit herausgewunden, stand jetzt in Elan nachzulesen. Udo dagegen wirft Elan Unprofessionalität in der Organisation sowie ungeduldiges Drängen auf Unterzeichnung des Vertrages vor.
„Mit dem Panik-Orchester hätte ich sowieso nicht auftreten können,“ erklärt er, „weil die einzelnen Musiker andere Verpflichtungen hatten.“ Deswegen wäre er gern als Schlagzeuger in irgendeine Session eingestiegen. Außerdem habe er vermeiden wollen, daß der Name Lindenberg auf den Plakaten Verwirrung hervorrufe, da er in absehbarer Zeit ja eine eigene Tournee macht. Deshalb sollte auch sein Veranstalter Fritz Rau für die Vertragsunterzeichnung noch zu Rate gezogen werden. Kurz: nach Udos Darstellung hat den Elan-Leuten alles zu lange gedauert. Laut Elan kann man jetzt über Udo Lindenberg „politisch ein Ei schlagen“.
Nun gut. Udo allerdings erklärt sich grundsätzlich und jederzeit bereit, an Veranstaltungen jener Art teilzunehmen, soweit er es einrichten kann, denn: „Jedes Arschloch, das mit einem Hakenkreuz herumläuft, ist zuviel!“ Vor einigen Wochen hatte er außerdem auch in Hamburg Benefizkonzerte für den Kinderschutzbund mitarrangiert.
Als er einst nach „Betoncity“ ging – und hier stand die Hamburger Satellitensiedlung „Mümmelmanns Berg“ für alle anderen kriminellen Betonfestungen des (un)sozialen Wohnungsbaus – war er für kurze Zeit in den trostlosen Alltag vieler seiner Fans eingetaucht. Zusammen mit Horst Königstein (der bekanntlich auch bei den Texten für die Rock Revue mitschrieb) arbeitete er am Beitrag über „Die Leute vom Mümmelmannsberg“ für das Fernsehen. Er fand dort viel Stoff für seine Texte. Mit seinem Engagement für den Jungen Freddie, dem er auf „Sister King Kong“ sogar einen Song widmete, handelte er sich allerdings Kritik ein. Wie kann ein Rockstar – auch wenn er noch so guten Willens ist – hier echte Hilfe leisten? Indem man sich ein paarmal sehen läßt, erweckt man falsche Hoffnung. Wenn man dann nicht mehr kommt, fühlen sich die Leute fallengelassen. Mit Freddie hat Udo sich ein paarmal getroffen. Doch der kam dann nicht mehr. Vielleicht hat er sich nicht getraut? „Das war‘ doch Blödsinn,“ meint Udo. Aber er sieht es selber: „Eigentlich ist es ungerecht, wenn man nur einem hilft.“ Deshalb konzentriert er sich jetzt auch lieber auf ganze Aktionen.
Auch mit den Texten bleibt Udo am Ball. Nicht etwa, daß er mit tiefschürfenden Ergüssen den Spaß am Rock’n’Roll verderben würde. Doch bis auf den Nonsense-Song vom „Bett-Männ“ einem kommerziell arrangierten Ohrwurm, hat er eigentlich immer etwas parat: Die zugeknöpfte Mentalität der Norddeutschen (nur der Norddeutschen?), das Selbstmörderleben einiger Rockstars (wie weit ist er davon entfernt?), der kurzlebige Trost aus der Whiskyflasche. Angelika, die nur mit Rockstars will und kann, der angepaßte Deutsche, der mit Travolta-Pose und vergoldeter Sicherheitsnadel nie eine gängige Marschrichtung verpaßt. Zwei der Songs liegen Udo besonders am Herzen: „Na und?!“ – was ist dabei, wenn es auchmal zwischen zwei Männern „klick“ macht – und „Bis ans Ende der Welt“ „Mein erstes positives Liebeslied“, erklärt er dazu. Aber: „Leider nur ein Traum.“
Träume hegt er genug. Einer davon ist die internationale Anerkennung. Sein erster Versuch, in England fußzufassen, war danebengegangen. Udo: „Das ist überhaupt nicht losgegangen. Wir haben ein Konzert gegeben und eine Fernsehshow gemacht, beides mit ganz gutem Erfolg, aber die Platte ist nicht losgegangen. Das hat mehrere Gründe. Ein ganz wesentlicher war, daß die Texte nicht optimal ins Englische übertragen worden waren. Außerdem war damals jeder mit New Wave beschäftigt.“
Udo gibt außerdem einigen bornierten Medienleuten die Schuld, die meinen, Rock’n‘ Roll sei eben Sache der Amis oder der Engländer. Aber aufgegeben hat er nicht. Jetzt will er es über den amerikanischen Markt versuchen – mit amerikanisierten Texten. Vielleicht schon mit einigen Titeln der neuen LP. Bassist Dave King, der auch bei der LP-Produktion dabei war, arbeitet bereits daran. „Mir macht es einfach Spaß, in anderen Sprachen zu singen,“ meint Udo. „Ich hab jetzt zum Beispiel eine holländische LP besungen.“
Lust hätte er auch schon mal, einen Film zu machen. Aber: „Weißt Du, Filmleute und Musiker halten sich hier in Deutschland ziemlich separat. Das betrifft nicht nur Filmleute und Musiker, sondern auch Theater, Ballett und Schreiberlinge und Maler… in unserer Kulturszene herrscht ja ein ziemliches Sektiererwesen. Und die Filmleute, die ich schließlich kennenlernte, hatten dann Rollen, die ich nicht gut fand.“ So lag ein Angebot für den Fernsehfilm „Die Faust im Nacken“ vor. „Das ging aber zu sehr an dem vorbei, was ich darstellen möchte. Ich will nicht, daß da irgendwelche Mißverständnisse entstehen.“ Der junge Törless oder Demian, das wären Rollen, mit denen er sich identifizieren könnte. Außerdem hat Udo jede Menge eigener Konzepte in der Schublade.
Vorerst wird es wohl bei der reinen Dokumentation bleiben; einer Dokumentation, die es allerdings in sich hat. Lindenberg will die Action seiner 78/ 79er Tournee vor und hinter den Kulissen im Film präsentieren. Im April soll die nächste Live-LP von Udo Lindenberg und dem Panik-Orchester vorliegen. Im Herbst will er wieder eine „Rock Revue“ mit eingedeutschten Rock’n’Roll-Klassikern vorlegen und Ende ’79 das nächste Studio-Album.
Außerdem plant er ein Musical, das die Panik-Crew auf einen Schlag hinaus in die internationale Popularität katapultieren soll. Auch hier ist wieder Zadek im Gespräch. „Er hat mir übrigens ein Angebot gemacht,“ verrät Udo, „im Februar im Schauspielhaus in dem Stück ,Arthur‘ mitzuspielen“. Und als Udo irgendwann mal im Flugzeug neben dem publicity-geübten Dr. Peter Krohn (Ihr wißt schon, HSV und so…) saß, spannen die beiden an Ideen für ein riesiges Fußball-Musical. Kinderplatten will er auch machen, in denen er den Gören Verständnis dafür beibringen will, daß die Eltern auch nur Menschen sind… und, und, und!
Udo Lindenberg, der schnelle Brüter. Noch im kommenden Jahr will er alles über die Bühne kriegen. „Allerdings werde ich mehr delegieren als früher,“ erklärt er. Die Arrangeure und Produzenten, die mittlerweile für seine Produktionsfirma arbeiten, nehmen ihm viel ab. Anders wär’s für ihn nicht zu schaffen. Denn: „Syndikat L“ läuft auf Hochtouren.