Ultravox
Goodnight Vienna, sagten sich die alten Ultravox-Fans, als die Band auf ihrer ersten LP nach dem Ausscheiden von John Foxx und Robert Simon mit gestyltem Edelpop aufwarteten. Der Sci-Fi-Horror wurde zu Gunsten eines konsumierfreundlichen Weichzeichners über Bord geworfen. Midge Ure, der noch immer unter seiner einstigen Mitgliedschaft bei Slick zu leiden hat und den neuen Ultravox mit guterzogener, glatter Stimme den Weg weist, scheint sich aus jahrelanger Bedeutungslosigkeit zum Katalysator gemausert zu haben.
Die Teenpop-Philosophie des einen Verlierers – Midge Ure – hat die eigenwillige experimentelle Geisteshaltung der anderen Verlierer Ultravox eingeholt. Jetzt produzieren sie Charts-Musik. Eine konventionelle Mischung aus Hingabe an den Pop und schematischen Erkennungsmelodien. Weit entfernt von einem Eno (obwohl sie als Zugabe „Kings Lead Hat“ spielen) und ebenso weit fort von jener Roboter-Ähnlichkeit, die man ihnen noch immer vorwirft. Die Musik ist längst nicht mehr so erlebnisreich wie alte Fans vielleicht erwartet haben. Das hier ist weder Magazine noch Pere Ubu. Aber es ist gut innerhalb seines engen Pop-Kontextes.
In den frühen 70ern gab es eine schottische sub-Heavy Metal Band mit Namen Salvation. Gitarre spielte ein niedlicher grüner Junge mit Namen James Ure. Sein Spitzname war Midge, wegen seiner knappen Körpergröße. Später wurde er Sänger bei der Gruppe Slick. Slick schneiderten sich ihre Musik systematisch selbst, angesiedelt zwischen Softrock und triefendem Pop. Sie trugen kurze Haare und seriöse Hosen schon zu einer Zeit, als derartige Symbole in die blinkenden Augen progressiver Rockfans noch einen Ausdruck von Horror brachten. Mit zuviel Vertrauen unterschrieben Slik den erstbesten Schallplattenvertrag. Das war der Beginn von Ures Reise durch den Pop-Bereich wo man ihn meistens nicht für voll nahm. Ein anderer Popper, Glen Matlock, war gerde damit gescheitert, den extrovertierten Howard Devoto, seinen noch im embryonalen Zustand befindlichen Rich Kids einzuverleiben. Midge Ure, so dachte er, würde eine gute zweite Wahl abgeben. Die Voyeure ergötzten sich inzwischen daran, den Verflechtungen nachzugehen, die einen ex-Pistol dazu brachten, sich mit einem ex-Slik zusammen zutun. Nichts dergleichen half Ure weiter, wie er es sich eigentlich vorgestellt hatte. Danach arbeitete er aushilfsweise drei Wochen mit Thin Lizzy in Amerika.
Es hatte den Anschein, als sei er nur im Rockgeschäft, um sich einen schönen Tag zu machen. Aber: „Überhaupt nicht. Ich wollte es nur irgendwie von alleine bringen. Solange Platten rausbringen, bis irgendjemand merkt, daß sie wirklich ganz gut sind. Wenn ich nur wegen der Rock-Karriere oder wegen des easy hie dabei wäre, wäre ich bei den Bay City Rollers oder bei den Pistols eingestiegen. Die Möglichkeiten hatte ich.“ Er schloß sich Ultravox an in Ermangelung der Tatsache, seinem Pop-Ideal nähergekommen zu sein.
In den frühen 70ern gab es eine Hardrock-Band, die sich Ultravox nannte und die Art von Songs spielte, die The Damned wenige Jahre später noch verharrschter heruntersägten. Ultravox war durch die Bowie-Ära gegangen, hatten ihre Wurzeln im Theater sowie bei Terry Riley und den Yardbirds. Und als Mitte der 70er Jahre Punk und Island Records zur Stelle waren, wirkten Ultravox wie degenerierte, abstoßende Überbleibsel des Glamour-Rock.
Sie spielten Keyboards und Violine, sangen narzißtische, nihilistische Songs, beriefen vage den Geist des exzessiven Progressiv Rock und waren wie vulgäre Schatten der Presse-Lieblinge Roxy Music. Leute wie die Stranglers nannten sie eine Horde von Sessionmusikern, die formiert worden waren, um Roxy Music abzulösen.
Damals jedenfalls fanden Ultravox es ganz natürlich, post-Bowie pre-Magazine-Material zu spielen. Sie vertrauten darauf, daß sie irgendeiner Sache auf der Spur waren. Sie entwickelten sich weiter aus den Beschränkungen des Hardrock heraus, indem sie mit dem Sound experimentierten; stärker überzeugt von Geräusch und Posen als von politischer Gesinnung. Curry…obwohl wir uns dieser Dinge bewußt waren und wir fühlten, daß wir irgendetwas damit anfangen müßten. Aber wir waren einfach nicht das, was zu jener Zeit passierte… Wir haben Dinge über Bord geworfen und interessantes Neues erarbeitet. Wir waren nur an Synthesizern und ihren Möglichkeiten interessiert, wir haben darin die Zukunft gesehen.“ Andere sahen darin noch die Vergangenheit.
„Man ist ziemlich hart mit uns umgesprungen, aber wiederum auch nicht so schlimm, daß wir das nicht überwinden konnten. Was uns durchgezogen hat, war, daß wir viel spielten, eine wirklich eingeschworene Gefolgschaft besaßen und wußten, daß sich die Dinge zu unseren Gunsten entwickeln würden.“ Ultravox mit John Foxx (Gesang, Frontmann), Billy Curry (keyb, viol.), Warren Cann (dr), Chris Cross (bg) und Robert Simon (g, jetzt bei Magazine, wo er Steve Shears ersetzt) machten drei LPs für Island. Die erste, ULTRAVOX!, wurde von Eno produziert. Die zweite, HA! HA! HA!, und die dritte, SY-STEMS OF ROMANCE, produzierte Conny Planck.
Trotz dieser zwei allerseits respektierten Katalysatoren blieben Ultravox weiterhin im Abseits. „Ich mochte sie überhaupt nicht,“ erinnert sich Ure. Ende 1978 bereitete Island sich darauf vor, die Band fallenzulassen. Sie hatten beschlossen, daß die Gruppe wohl nie verkaufen werde, bis auf SYSTEMS…, das in den Charts immerhin auf Nummer 32 kam. Am 31. Dezember trennten sich Label und Band. Die ging ins Studio, erarbeitete neue Songs wie „He’s A Liquid“ und „Touch And Go“, lieh sich Geld und ging nach Amerika. Ihre ehemalige Vertragsfirma in England wunderte sich, daß sie dort drüben schon bei kurzer Vorankündigung für ausverkaufte Clubs sorgten. Zum Ende der Tour stieg lohn Foxx aus. Currie behauptet, er habe Grund dafür gegeben. „Ich bin ziemlich halsstarrig. Wir sind zusammengerasselt. Er wollte seine minimalistische Idee verfolgen, was überraschend ist, wenn man betrachtet, was er seitdem gemacht hat. Und ich wollte mehr entwickeln, wollte alles mehr öffnen. Mir gefiel nicht, daß er Ultravox als seine Band betrachtete.“
Simon ging ebenfalls, aber Ultravox waren immer noch nicht geschlagen. Ure kam dazu und in Ermangelung anderer Dinge wurden sie zur Popgruppe, die sie schon immer hätten sein sollen.
Am Schwanzende der Foxx-Ultravox noch hatte Cann begonnen, mit Zaine Griff zu arbeiten und Currie mit Visage. Und durch Visage traf Ure mit den Ultravox-Leuten zusammen. »Ich hatte entschieden, mich keiner anderen Gruppe mehr anzuschließen. Ich hatte es satt, zu versuchen, meine musikalischen Ideen an den Mann zu bringen und auch die verdammte Einstellung der Leute. Die Mauer, du warst bei Slik, das ist es. Ich dachte, zum Teufel damit, ich gehe in ein Studio und mache selbst etwas. Aber dann fing ich mit dieser Visage-Geschichte an, mit Rusty und den Jungs von Magazine und Billy. Ultravox waren gerade aus Amerika zurückgekommen. Ich konnte es nicht glauben, daß diese Band jemanden suchte, der singen und spielen konnte.“ Currie: „Damals fand ich den Gedanken, daß Ure sich der Band anschließen könnte, nicht so gut. Aber die Proben entwickelten sich gut. Und er war in einem Stadium, in dem er sich weiterentwickeln wollte und es gab keine Möglichkeit für ihn, seiner Vergangenheit nachzuhängen. Wir brauchten seine Solidität. Ich kam nie auf den Gedanken, daß er schnell wieder aussteigen könnte. Ich habe das sichere Gefühl, daß dies nicht etwas ist, was er nur anrührt und sich dann wieder verpißt. Vielleicht langweilt er sich in kurzer Zeit, aber ich gehe ihm nicht das Gefühl, daß ich ihn festhalten will. Wenn er will, kann er morgen gehen. Aber er ist definitiv ein Band-Mitglied.“
Ultravox hatten immer angestrebt, ihre Einflüsse zu etwas ähnlich Provokativen zu vermischen wie die frühen Roxy oder zu etwas, das ebenso herausfordernd ist wie die frühen Floyd. Sie bemühten sich so sehr, mehr zu sein, als nur eine Popgruppe. Ure hat ihren Anspruch auf eine realistische Ebene gebracht. Ure war niemals richtig da, Ultravox waren niemals richtig da und zusammen machen sie zwar unbedeutenden, aber gestylten synergetischen Pop.
VIENNA ist ihr viertes Album und vermittelt das Gefühl eines ersten und hat für Ultravox eine ungewöhnliche Konsistenz. Es ist die hörbarste LP, die sowohl Ure als auch Ultravox je gemacht haben. Etwas Sanftes, nachdem du dich durch Cabaret Voltaire geschwitzt hast und ein paar Magazine durchblättern willst.
Auf gewisse Weise sind Ultravox experimentelle Tendenzen durch Ure weggebügelt worden. Aber die Band behauptet, daß der unerwartete Erfolg der Platte ihnen ermöglichen wird, einen völlig anderen Weg einzuschlagen und nicht als quasi-synthetisches europäisches Equivalent zum amerikanischen post-Punk Pop zu enden.
Billy Currie: „Wir haben ein wirklich gutes Gefühl, daß wir’s schließlich so gemacht haben. Es macht es einfacher für uns zu experimentieren und nicht umgekehrt.“