Uncool ist das neue Cool
Kaum ein Album wurde 2007 so sehnsüchtig erwartet wie das zweite von LCD Soundsystem, SOUND OF SILVER. Projektchef James Murphy erklärte uns im gleichen Jahr den Sinn und Unsinn von Coolnessmechanismen und weshalb die Fusion von Rock und Dance eigentlich scheiße ist.
Ziemlich unpassend wäre es wohl, James Murphy als einen „fetten, alten Mann“ zu bezeichnen. Nicht nur, weil es unhöflich ist, jemanden wegen seines Übergewichts zu diffamieren, sondern auch weil es eine Frage der eigenen Position auf der Alterspyramide ist, ob einer, der 1970 geboren wurde, „alt“ ist. James Murphy, einziges Mitglied von LCD Soundsystem, sitzt in einem schmucklosen Konferenzräumchen in Paris. Das Büro gehört dem multinationalen Konzern, der die Platten von Murphys Label DFA in Europa vertreibt. Murphy nippt an einer Tasse Tee und sagt: „Sieh ihn dir an, diesen fetten, alten Mann.“ Koketterie? Ja, aber vielleicht auch ein bisschen Stolz, weil Murphy ganz genau weiß, dass seine Mitbewerber im Popbetrieb an den Plattentellern, im Studio, auf den Clubbühnen und auf den Titelseiten der Musikmagazine im Durchschnitt 15 Jahre jünger sind als er und im Durchschnitt so aussehen, als hätten sie seit vier Wochen von ihren Müttern nichts mehr zu essen bekommen. Murphy wirkt wie ein zerzauster Teddybär mit seiner strubbeligen Antifrisur und dem Dreitagebart. Er ist müde, weil er tags zuvor aus New York eingeflogen ist, wo er das Video zur neuen Single „North American Scum“ gedreht hat. Und er ist hier, weil es darum geht, die frohe Botschaft vom zweiten Album von LCD Soundsystem in die Welt zu tragen – SOUND OF SILVER, das vielleicht sehnsüchtigst erwartete Album des Jahres außerhalb von Indie-Land.
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Von Anfang an. James Murphy wächst in Princeton Junction auf, einer Kleinstadt in New Jersey. Ein idealer Ort für Entscheidungen. Falsche und richtige. Während die Jugendlichen ihre Freizeit mit dem exzessiven Konsum von Alkohol gestalten, träumen die Erwachsenen ihren Traum vom Einfamilienhaus, vom Neuwagen und vom sicheren Job. Murphy will weder das eine noch das andere. Er wählt den klassischen Weg des Andersseins in der Provinz und jagt obskuren Vinylplatten hinterher, taucht unter in seiner Plattensammlung. Der Plattenladen „Princeton Record Exchange“ hat „vermutlich mein Leben gerettet“. Von 1988 bis 1997 spielt er in den mehr oder weniger erfolgreichen (Punk-)Bands Falling Man, Pony und Speedking. Angewidert von den Machtspielchen und Coolness-Regeln der Szene, lässt er Bands Bands sein, zieht 1998 nach New York und arbeitet als Tontechniker. Bei den Aufnahmen zum Album BOW DOWN TO THE EXIT SIGN von David Holmes lernt er 1999 Tim Goldsworthy kennen. Der Brite hatte in den 90ern zusammen mit James Lavelle das Dance-Label „Mo‘ Wax“ gegründet und spielte zusammen mit Lavelle im Projekt U.N.K.L.E. Murphy und Goldsworthy gründen das Label „Death From Above“ und richten sich ein Studio in New York ein. „Vorher war ich ein serious punk rock lad. Ich habe meine Platten in Plastikhüllen aufbewahrt – Neu!, The Fall, Can, Killing Joke, Minutemen, das ganze ernste Zeug. Es hat keinen Spaß gemacht, vor allem wenn du merkst, dass du nur mit Jungs befreundet bist und nicht mit Mädchen. Ich begann dann mit Leuten zu arbeiten, die Dancemusic machten. Dann habe ich Ecstasy genommen, getanzt und das für lustig befunden. Ich war ein glücklicher Mensch, als ich zum ersten Mal Ecstasy genommen habe. Es war unglaublich. Es war eine super Party. Vorher hörte ich keine Dancemusic. Wenn ich getanzt habe, dann zu The Stooges und zu Can – zu meiner Musik. Das bin ich. Das ist nicht die Droge. ICH tanze. ICH mag es. Es macht Spaß. Ich habe angefangen, Spaß zu haben. Das war’s. Ich habe gelernt, Spaß zu haben. Relativ schnell, nicht langsam.“Weiter auf der nächsten Seite…