Uncool ist das neue Cool
Kaum ein Album wurde 2007 so sehnsüchtig erwartet wie das zweite von LCD Soundsystem, SOUND OF SILVER. Projektchef James Murphy erklärte uns im gleichen Jahr den Sinn und Unsinn von Coolnessmechanismen und weshalb die Fusion von Rock und Dance eigentlich scheiße ist.
Nach dem 11. September 2001 firmieren Label und Produzententeam aus gegebenem Anlass nicht mehr als „Death From Above“, sondern unter der Abkürzung DFA. Mit der Produktion der Maxisingle „House Of Jealous Lovers“ von The Rapture 2002, einem Hybriden aus Dance-Trash und punkinfiziertem Rock, werden DFA zum ersten Mal wahrgenommen. Im selben Jahr arbeitet Murphy an ersten Tracks seines Projekts LCD Soundsystem. Am 8. Juli 2002 wird die Single „Losing My Edge“ veröffentlicht. Ein Song, der die Coolness-Mechanismen im Pop entmystifiziert, indem er die Ängste eines Musikbesessenen, den Anschluss an aktuelle Entwicklungen zu verlieren, formuliert und ironisiert. Dem Ich-Erzähler, der Zeuge von allen wichtigen Ereignissen der Popgeschichte war – das erste Can-Konzert in Köln, die ersten Proben von Suicide in New York, die DJ-Sets von Larry Levan in der „Paradise Garage“ in New York, der „Summer Of Love“ 1988 auf Ibiza – ist eine neue Generation von „Internet-Kids“ auf den Fersen. He ’s losing his edge, er verliert die Fähigkeit, den anderen immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Dabei gibt Murphy mit einer Stimme, die an die von Mark E. Smith (The Fall) erinnert, zu Acid-getränkten Beats einen Vortrag über 40 Jahre Musikgeschichte anhand der Namen, die er fallen lässt: Can, Captain Beefheart, This Heat, Pere Ubu, Todd Terry, PIL, The Human League, Lou Reed, Scott Walker, Sun Ra, Gil Scott-Heron, The Slits, The Outsiders, Faust, Pharoah Sanders, The Sonics. „Losing My Edge“ wird zum Geheimtipp in einer Szene, die den Anderen immer eine Nasenlänge voraus sein will, und LCD Soundsystem das große, neue Ding in dieser Szene. Man wird diese Musik nach ihren Einflüssen benennen: „Dance Punk“ oder „Disco Punk“.
Fragt man Murphy nach der Fusion von Rock und Dance, antwortet er mit einer rhetorischen Gegenfrage: „Es ist nicht unbedingt immer gut, oder? Jesus Jones hat uns das bewiesen. Meiner Meinung nach sind Genres sinnlose Kategorien. Die Fusion von Dance und Rock ist normalerweise richtig schlecht. Bei „House Of Jealous Lovers“ haben die Leute registriert: Das ist Dancemusic, aber sie wird von einer Punkband gespielt. Darüber konnten sie schreiben. Aber es ist ein guter Song. Wir haben wirklich sehr hart daran gearbeitet, ihn gut zu produzieren.Wenn du den Song auf einer fetten Anlage zusammen mit Technoplatten spielst, kann er mithalten. Es gibt viele Dinge, die hineinspielen ins Songmachen. Egal ob Rock oder Dance – der Song muss gut sein.“ Die Songs von LCD Soundsystem sind gut – sie funktionieren als Songs und als Tracks. Was zur Verwirrung in der kategorisierungssüchtigen Zielgruppe sorgt. LCD Soundsystem schwebt zwischen den Genrewelten. Für die Hardcore-Elektroniker ist es Rock, für die Indie-Kids ist es Elektronik. Murphy muss lachen. „Das ist das Ziel. Für mich ist es Popmusik. Wenn mich die Leute fragen, sage ich: Ich mache Popmusik. Wenn ich ein Album mache, ist es Albummusik. Wenn ich 12-Inches mache, ist es 12-Inch-Musik. Eine 12-Inch ist ein bisschen anders als ein Album. Die Singles vom Album sind anders als die Tracks vom Album. Die Hauptsache ist: Ich versuche, gute Musik zu machen. Ich möchte Musik machen, die von keinem anderen sein könnte – wenn es anders wäre, gäbe es keinen Grund, es zu tun. Ich glaube, dass sich die meisten Bands nicht sehr oft fragen, ob ihre Musik nicht auch von jemand anderem stammen könnte. Die Antwort darauf ist gewöhnlich: Manchmal ist ein Song besser oder schlechter, aber im Grunde könnte er von jeder Band sein. Und das langweilt mich. Ich wollte die Leute ein bisschen verwirren. Es ist ein leichter, wenn du nicht Verwirrung stiftest – dann kannst du mehr Platten verkaufen.“
Berlin, 19. Februar 2005: James Murphy steht auf der Bühne des „Magnet“ mit der Livebesetzung von LCD Soundsystem – Bassist Tyler Pope, Gitarrist Phil Mossman, Keyboarderin Nancy Whang und Schlagzeuger Pat Mahoney. Soundcheck. Bei anderen Bands dauert die Prozedur, bei der die Lautstärke der Instrumente aufeinander abgestimmt wird, vielleicht 20 Minuten, bei LCD Soundsystem sind es heute eineinhalb Stunden. Murphy ist schlecht gelaunt, weil ihm eine Halsentzündung zu schaffen macht. Trotzdem spielt sich die Band beim Soundcheck durch eine Reihe von kompletten Songs. Das Szenario wirkt wie die Generalprobe für den ganz großen Auftritt. Ein paar Stunden später werden die Leute Schlange stehen vor dem „Magnet“ und nicht hineinkommen, weil das Konzert seit Wochen ausverkauft ist. Zu diesem Zeitpunkt ist das Debüt LCD SOUNDSYSTEM knapp vier Wochen auf dem Markt. Wie bei vielen großen Platten der Musikgeschichte äußert sich ihre Bedeutung nicht in Verkaufszahlen, sondern durch den Wind, der darum gemacht wird. Und es wird viel Wind darum gemacht. Dabei ist Murphy Szenenpolitik und kalkulierte Coolness ein Gräuel.
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