Van Morrison
Seit 35 Jahren läßt der Mann aus Belfast seine Musik für sich sprechen - nun redet er selbst.
Ist es wahr, daß Sie nicht gern über Musik sprechen?
(lacht) Ehrlich gesagt, ja. Es ist sehr schwierig, die Entstehung eines Songs zu analysieren-schließlich ist er im irrationalen Teil des Gehirns entstanden. Deshalb ist es auch von vornherein sinnlos, einen Song analysieren zu wollen.
Sie glauben also, daß Ihre Musik zu sehr analysiert wird?
Ich denke, daß dem Ganzen zu viel Bedeutung beigemessen wird. Ich vermute stark, daß sich die Verfechter der Analyse in erster Linie selbst darstellen oder besonders intellektuell wirken wollen. Früher wurde Dylan ständig analysiert. Aber inzwischen läßt man ihn offenbar in Ruhe.
Die Leute versuchen immer wieder, Ihre Songs anhand der Anspielungen in den Texten zu interpretieren.
Kürzlich habe ich in einem neuen Buch über mich geblättert. Der Autor schreibt da über ein paar Stücke, als ob er genau wüßte, worum es darin geht. Dabei sind die Texte reine Fiktion. Sie haben absolut nichts mit meinem Leben zu tun. Es ist einfach lächerlich zu behaupten, daß die Song alle von mir handeln. In manchen Liedern steckt vielleicht ein Teil von mir, etwa zehn Prozent basieren auf persönlichen Erfahrungen. Doch der Rest ist rein fiktiv. Ich kann nicht verstehen, wie jemand auf solche Ideen kommt.
Es ist sicher ärgerlich, wenn die Leute etwas in ein Stück hineininterpretieren. Es muß auf der anderen Seite doch aber auch befriedigend sein, wenn Ihre Musik etwas in den Köpfen des Publikums auslöst…
Das stimmt schon. Es ist nur diese Neigung zum Analysieren, die nichts bringt. Die Musik kommt nun mal aus dem nicht-analytischen Teil des Gehirns. Man nennt das Kreativität.
Lassen Sie uns über Ihr aktuelles Album „The Healing Game“ reden. Das Thema „Heilen“ kommt in Ihren Songs immer wieder vor. Welche Bedeutung hat es für Sie?
Das ergibt sich aus dem Song. Hör dir doch einfach den Text an.
Diese Vorstellung, daß Musik heilen kann…
„The Healing Game erzählt von einer Zeit, als die Leute noch an Straßenecken sangen, in den späten Fünfzigern und frühen 5echzigern. Das Phänomen stammt aus Amerika, wo es damals die Doo-Wop Gruppen gab, von denen ich persönlich allerdings wenig mitbekommen habe. Doch auch dort, wo ich herkomme, sangen die Leute auf der Straße. Das ist der Grundgedanke des Songs. Außerdem geht es darum, daß man dorthin zurückkehrt, wo man im Grunde immer schon war. Eigentlich habe ich mich nie von diesem Punkt wegbewegt. Trotz aller Umwege bleibt man immer an derselben Ecke stehen.
War es früher in Belfast etwas Besonderes, auf der Straße zu singen?
Ich würde nicht sagen, daß es eine große Sache war. Ich habe zwar gehört, daß es in anderen Gegenden der Stadt absolut nicht üblich war. In unserem Viertel aber war das wirklich nichts Besonderes. Alle meine Bekannten machten Musik. Da ist heute offensichtlich eine ganze Gesangstradition von der Bildfläche verschwunden.
Hat damals auch die Kirchenmusik Ihr Interesse geweckt?
Mich interessierte in erster Linie die Musik, die mein Vater auf dem Plattenspieler abspielte, Mahalia Jackson und so. Für die Musik aus der Sonntagsschule hatte ich wenig übrig.
Sie haben „The Healing Game kürzlich auch für John Lee Hookers Album aufgenommen. Hooker hat ein Album mit dem Titel „The Healer“ herausgebracht. Hat er intuitiv erfaßt, worum es Ihnen geht?
Richtig. Ich würde gern häufiger mit ihm arbeiten. Aber er geht nicht mehr oft ins Studio. Er hat etwa zweihundert LPs aufgenommen, aber ich glaube nicht, daß da noch viel kommt. Er hat eben keine Lust mehr, im Studio zu arbeiten.
Gehört er zu den Leuten, die Sie zur Musik brachten?
Ja. Sind seither Musiker aufgetaucht, die Ihnen ähnlich viel bedeuten?
Nein. Es ist lange her, daß ich Musik gehört habe, die mich dermaßen inspiriert hat. Ich glaube, daß es seit den Siebzigern in keinem Bereich der Musik große Neuerungen mehr gegeben hat – das gilt auch für den Jazz. Deshalb muß ich immer wieder zu den Ursprüngen zurückkehren, um Inspirationen zu finden.
Wohin genau?
Meistens lande ich wieder beim Blues.
Was am Blues zieht Sie immer noch immer so sehr an?
Keine Ahnung. Das hat wirklich recht wenig mit dem Intellekt zu tun. Der Blues bringt eine Saite in mir zum Klingen, das ist meine einzige Erklärung. Man nennt das wohl Soul.
Sie haben oft gesagt, Ihre Arbeit sei im Grunde nur ein Job wie jeder andere.
Richtig. Früher ging es mir womöglich mehr um bestimmte Aufnahmen – aber ich glaube, heute spielen die Auftritte eine wesentlich größere Rolle für mich. Vielleicht war das schon immer so, und es war mir nur nicht bewußt. Vielleicht ist das ja die Bedeutung von „Healing Game“.
Was gefällt Ihnen besonders? Mit einer Band zu spie- len, die Reaktionen des Publikums?
In erster Linie ist es wohl das Zusammenspiel mit den Musikern.
Und das Publikum? Brauchen Sie kein Feedback?
Ich gehöre nicht zu dieser Art von Künstler. Was ich tue, erfordert eine Menge Konzentration. Wenn man im Publikum sitzt, sieht vermutlich alles ganz einfach aus-als ob ich zwischendurch mal ein paar Witze erzählen könnte. Dabei ist das, was sich auf der Bühne abspielt, sehr komplex. Sobald jemand einen Fehler macht und die Konzentration dahin ist… Es dreht sich alles um Konzentration. Da bleibt keine Zeit, sich um andere Dinge Gedanken zu machen. Andere Musiker mögen das anders sehen. Ich bringe Musik rüber, und das ist sehr intensiv. So bin ich nun mal. Ich glaube zu wissen, was du meinst. Man nennt das wohl „mit dem Publikum spielen“ oder so. Dafür habe ich keine Zeit. Für mich zählt nur, was für das Publikum dabei herauskommt.
Identifizieren Sie sich mit jedem Song, oder ist da ein gewisses Maß an Schauspielerei dabei?
Ein Song ist nicht das wirkliche Leben. Die meisten Menschen wollen das nicht einsehen, egal was man ihnen sagt. Auftritte sind keine Realität, man nennt das Performance. Was ich auf der Bühne mache, hat nichts mit meinem Leben zu tun. Ich vermittle nur die Songs, ähnlich wie ein Schauspieler.
Vielleicht liegt es an Ihrer Stimme, daß die Leute glauben, jedes Wort sei ernstgemeint.
Ich habe Bluessänger gesehen und gedacht: Gott, die müssen wirklich fertig sein. Im nächsten Moment kommen sie grinsend von der Bühne. Gerade haben sie noch „I don’t have any money“ oder „My woman left me“ gejammert, und auf einmal ist alles wieder in Butter. Jeder Auftritt ist Schauspielerei.
Ihre Auftritte sind sehr emotionsgeladen. Wenn man Sie so sieht, könnte man meinen, daß Sie auch privat ständig William Blake zitieren.
(lacht) Ich glaube, das wurde etwas übertrieben dargestellt. Nur weil ich ein paar Bücher von Blake gelesen und das mal in einem Interview erwähnt habe, wurde gleich wieder eine große Sache daraus gemacht. Diese Geschichte wurde wie immer völlig übertrieben.
Wenn Sie früher gewußt hätten, was Sie heute wissen: Wären Sie trotzdem Musiker geworden?
Ich denke schon. Mich stört nur, daß ich keine Ahnung habe, warum ich berühmt geworden bin. Es ist einfach so passiert. Auf einmal gab es kein Zurück mehr. Es steckte keine Absicht dahinter, und ich habe es auch nie ganz verstanden. Dabei gibt es genügend Leute, die unbedingt berühmt werden wollen und es nicht schaffen – ich dagegen hatte nie den Wunsch. Darin liegt wohl eine gewisse Ironie.
In den sechziger Jahren entwickelte sich eine Gegenkultur, von der Sie nach anfänglicher Begeisterung ziemlich schnell enttäuscht waren. Haben Sie damals wirklich geglaubt, am Anfang einer neuen Welt zu stehen?
Nicht wirklich. Für mich ist immer alles schwierig gewesen, also konnte ich mit diesen abgehobenen Ideen recht wenig anfangen. Mir ist nichts leicht gefallen, und so bin ich auf den ganzen Blödsinn nie reingefallen.
Empfinden Sie Ihre Arbeit als mühsam?
Auf keinen Fall. Ich bin sowieso ein Workaholic. Die Musik ist mein Job. Und das ist gut so, denn es gibt eine Menge Leute, die nicht die Möglichkeit haben, das zu tun, was sie gern tun würden. Zu Beginn meiner Karriere war es ziemlich mühsam, denn damals wurden die Musiker abgezockt. Man konnte nur versuchen, von Woche zu Woche zu überleben. Das hat sich Gott sei Dank geändert.
Ist es ein typischer Zug, oder hatten Sie einfach mehr Pech als andere?
Was mir passierte, war repräsentativ. Manche gaben auf, aber ich ließ mich nicht unterkriegen. Ich wollte Musik machen und mich von diesen Leuten nicht unterkriegen lassen. Damals wurde der Musikindustrie noch nicht soviel Bedeutung beigemessen. Von einer Industrie konnte sowieso keine Rede sein, sie bestand ja nur aus einer Handvoll Leuten. Das änderte sich in den Siebzigern. Auf einmal sprach man von „Rock“, früher hieß es Rock’n’Roll. Als ich anfing, nannte man diese Musik noch Rhythm’n’Blues, und noch ein paar Platten später waren wir auf einmal eine Pop-Band.
Sie haben einmal gesagt, daß Musik Menschen in einen meditativen Zustand versetzen kann.
Mit solchen Aussagen bin ich vorsichtig geworden, das ist wie mit William Blake: völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Man liest ein Zitat zehn Jahre später und stellt fest, daß da mal wieder aus einer Mücke ein Elefant gemacht wurde. Deshalb bin ich in Sachen Meditation und dergleichen sehr vorsichtig geworden. Das sind nur Worte, die ihre Bedeutung verlieren, wenn man sie aus dem Zusammenhang reißt. Damit habe ich nichts mehr im Sinn. Musik ist im Grunde nur etwas, das man sich anhört.
Glauben Sie, daß sich das Publikum in den Siebzigern an Musikern orientierte, um Antworten auf eigene Probleme zu finden?
Ja, das habe ich allerdings damals nicht erkannt. Diese Einstellung wurde lange gefördert. Ich konnte allerdings noch nie verstehen, wie man von Musikern erwarten kann, daß sie die Probleme dieser Welt lösen. Du vielleicht? (lacht) Das ist absurd. Wenn die Politiker das nicht können, wie sollen es dann bitte die Musiker schaffen?
Musik wird oft als eine Art Rätsel betrachtet, das ein Geheimnis in sich birgt und erklärt werden kann.
Ich glaube, da muß man in die Sechziger zurückgehen. In den Sechzigern fingen die Leute an, sich den Kopf zuzurauchen: Auf einmal haben sie Dinge gehört und wahrgenommen, die eigentlich gar nicht da waren. Damals entstand dieser Blödsinn. Ich nehme an, daß es bei den Journalisten nicht anders war. Das ist noch so ein Mythos.-„Was bedeutet das?“ Man kann alle möglichen Dinge sehen, wenn man den Kopf voll Drogen hat. Da glaubt man auf einmal, die unglaublichsten Dinge zu entdecken.
Sie verwenden in Ihrer Musik Elemente aus der Vergangenheit und übertragen sie in die Gegenwart, zum Beispiel bei Stücken wie „Hyndford Street“ und „Take Me Back“.
In Kopf und Seele habe ich meine alte Umgebung nie verlassen. Im Grunde stehe ich dort immer noch mit den Jungs an der Ecke. Um meine Person und auch um andere aus der Branche hat sich nun mal ein Mythos entwickelt, den ich gern ein für allemal beilegen würde. Manchmal allerdings scheint er unmöglich zu durchbrechen.
Empfinden Sie Ruhm als lästige Begleiterscheinung Ihres Berufs?
Ich komme damit überhaupt nicht zurecht. Ich bin noch nie damit zurechtgekommen und werde es auch nie. Manchmal bilde ich mir ein, daß es ein Patentrezept dagegen gibt, aber bisher hat das noch nie lange funktioniert. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden. Ich will mich nicht abfeiern lassen. Ich will nur Musik machen. Ruhm ist ein großes Wort, das keineswegs hält, was es verspricht.
Wie meinen Sie das?
Eine Berühmtheit ist jemand, der bekannt ist. Dabei kann Ruhm heute alles mögliche bedeuten. Als berühmt gilt häufig schon jemand, der einen kennt, welcher seinerseits wieder jemanden kennt, der tatsächlich berühmt ist. Der Begriff sagt überhaupt nichts aus. Ich habe immer gesagt, daß ich nicht berühmt sein will, und das trifft auch heute noch zu. Ich mache weiter Musik, und damit hat sich die Sache.
Haben Sie sich jemals ein anderes künstlerisches Ventil gewünscht?
Ich würde gern ein paar meiner Ideen in einem Essay oder einem Buch veröffentlichen. Zum Beispiel die Dinge, über die wir hier sprechen. Aber abgesehen davon kann ich mir kein anderes Medium vorstellen.
Erzählen Sie uns von Ihrem Album „Philosophers Stone .
Es wurde im letzten Jahr aufgenommen. Ich gehe davon aus, daß es Ende des Jahres veröffentlicht wird. Es besteht aus alten Sachen, alten Aufnahmen, unveröffentlichtem Material aus den frühen Siebzigern bis hin zu den Achtzigern. Rückblickend ist es nicht immer ganz einfach herauszufinden, warum damals etwas nicht erschienen ist. Vermutlich hatte ich das Gefühl, daß es irgendwie nicht paßte oder ich schon genügend Songs für ein Album hatte.
Was empfinden Sie, wenn Sie sich heute Ihr altes Material anhören?
Heute finde ich es nur noch interessant, ein Teil des Gesamtbildes.
Gibt es Bereiche Ihrer Arbeit, zu denen Sie heute noch eine besonders starke Beziehung haben?
Eigentlich gibt es sehr wenig, zu dem ich keine Beziehung habe. Neulich habe ich zum Beispiel „Astral Weeks“ gehört. Da mußte ich richtig aufhorchen. Ich dachte min Stimmt, okay, ich war damals wirklich anders drauf. Offensichtlich gingen da eine Menge abgefahrener Sachen ab, und das war gut so. Aber ich habe zu fast allem eine Beziehung.
Sie haben mal gesagt, daß Sie nicht auf der Suche nach einer Erklärung sind, sondern Suchen und Fragen an sich schon ein Ziel darstellen der Weg ist das Ziel?
Das haben viele Leute gesagt. Das Ende ist der Anfang. Es gibt kein Entkommen, denn alles passiert jetzt. Man lebt in dieser Sekunde.