Van Morrison: Der stille Star bricht sein Schweigen
Man sieht es ihm an: Van Morrison ist keiner von der einfachen Sorte. Er hasst Interviews, und noch mehr ist ihm zuwider, seine Musik zu erklären. Trotzdem wird Van the Man von Fans und Kritikern verehrt wie kaum ein anderer Musiker.
Die Musik wird leiser, immer leiser. Der kleine, dickliche Mann auf der Bühne krampft eine Hand ums Mikro, mit der anderen gestikuliert er: zu laut, immer noch zu laut. Die Musiker berühren kaum ihre Instrumente, das Publikum hält den Atem an, fast meint man, das Merz des Sängers schlagen zu hören. „Can you feel the silence“, knurrt der, „can you feel it?“ Lind sagt dann jenen legendären Satz: „If you’re asking yourself, what I am doing here, performing in a Rock’n’Roll event, well, I’m wondering the same thing.“ Das saß. In der Nacht zum 4. April 1982 vor lausenden in der Essener Grugahalle und Millionen in halb Europa an den TV-Geräten – Rockpalast-Time! – ist Van Morrison ganz er selbst: kompromisslos, knorrig, querköpfig. Der „Belfast Cowboy“, wie ihn Richard Manuel (The Band) einst getauft hatte, ging stets stur und unbeirrt seinen Weg, wortkarg, eigenbrötlerisch. Misstrauisch bis hart an die Grenze zur Paranoia verachtete er Presse und Promoter, mied Protz und Partys. „Ich glaube“, hat er mal gesagt, „dass ein Künstler nicht der Öffentlichkeit gehört, sondern nur sich selbst. Wenn ein Arbeiter am Freitag nach I lause kommt, geht das, was er am Samstag macht, nur ihn etwas an.“ Van the Man (55) spricht nicht oft. Aber wenn, dann redet er Klartext. Meistens.
Ihr Vater besaß eine außergewöhnlich große Plattensammlung und interessierte sich vor allem für Jazz und Rythm’n’Blues.
Er liebte Jazz und kaufte sich Scheiben von Kid Ory, Louis Armstrong und solchen lauten. Ich war noch ein Kind, aber ich erinnere mich daran, wie der Typ in dem Plattenladen fragte: „Hast du das schon gehört?“ Und das war dann ein Stück von Leadbelly. Blues, Folk, Gospel: Alles kam aus der Jazz-Szene.
Erinnern Sie sich noch an den allerersten Song, den Sie vor Publikum gesungen haben?
„Midnight Special“ von Leadbelly, bei einem Weihnachtskonzert mit meiner Skiffle-Gruppe während des letzten Schuljahres in Orangefield. Ein großer Erfolg, wenn ich mich recht entsinne.
Wann begannen Sie, sich für Rhythm’n’Blues zu interessieren?
Die ganze R n B-Geschichte lief an, während ich in der „Manhattan Showband“ spielte. Wir hatten zu der Zeit ein Engagement im „Camden Palace“ in London. Wir spielten da an den Wochenenden, und ein Typ aus unserer Band und ich gingen in einen Club in Soho, „Studio 51“, und sahen diese Gruppe (The Downliners Sect; Anm. d. Red.), die Stücke von Jimmy Reed und Bo Diddley spielte. Ich hörte diese Musik schon lange, und doch war es fast ein Schock zu hören, dass es Leute gab, die so etwas tatsächlich spielten. Ich ging zurück nach Belfast und startete einen Club, das „Maritime“. Keiner halte daran gedacht, hier einen Blues-Club aufzumachen. Ich war wohl der erste.
Die erste Showband, bei der Sie spielten, waren die Monarchs. Hatten Sie auch Kontakte zu anderen Gruppen?
Klar, denn das war der einzige Weg, wie man als Profi-Musiker Arbeit bekam. Ich kannte niemanden, der nicht in einer Showband gewesen wäre. So wusstest du immer, dass du schon irgendwo einen Job bekommen würdest. Bei Showbands rollte der Rubel, für andere Gruppen gab es da nichts zu erben, ja, es gab noch nicht mal andere Gruppen, die professionell arbeiteten.
Und diese Showbands spielten nur die Hits anderer Leute nach, oder?
Nicht unbedingt. Einige Showbands besaßen einen ungeheuer hohen musikalischen Standard. Sie boten alles: Comedy, Top- 10-Hits, Jazz, Parodien, es waren sehr professionelle Shows. Das waren nicht nur ein paar Typen, die zwei Tanzschritte draufhatten und Anzüge trugen.
Da war es wohl eine ziemliche Umstellung, als Sie später Them gründeten.
Das kam ja nicht über Nacht. Nach dem Split der Showband bekam Gitarrist Herbie Armstrong einen Job beim Brian Rossi Orchester angeboten. Ich stand neben Herbie in der Telefonzelle und flüsterte: „Sag‘ ihm, dass ich Saxofon spiele.“ So kam ich zu einem Job bei einer richtigen Big Band. Them gründete ich später mit Herbie Armstrong. Doch Herbie sagte: „Ich weiß nicht so recht. Bei Rossi bekomm‘ ich 40 Pfund die Woche“. Was damals eine Menge Geld war, wesentlich mehr, als man fürs Rhythm’n’Blues-Spielen bekommen hat. Also musste ich andere Leute zusammentrommeln, um in dem Club zu spielen. Es endete damit, dass ich mit Leuten arbeitete, die ich nicht richtig kannte, weil alles auf den letzten Drücker passierte.
Aber als Them dann mal ins Laufen kam, ging s doch relativ schnell mit den Hits.
Von wegen. Die erste Single („One Two Brown Eyes“/“Don’t Start Crying Now“, veröffentlicht im September 1964; Anm. d. Red.) soff völlig ab. Zwei Stück verkauft, oder so. Es war nicht, wie sie in den Rock’n’Roll-Geschichtsbücher immer behaupten. Mit der zweiten Single („Baby Please Don’t Go“/“Gloria“, November 1964; Anm. d. Red.), die – reines Glück, wirklich – in der Sendung „Ready, Steady, Go“ gespielt wurde, ging es los. Irgendwer mochte sie wohl und hat sie gespielt, und die Leute haben sie gehört, und das Ding landete schließlich in den unteren Chart-Regionen.
Wie war es, als Sie zum ersten Mal Bob Dylan hörten?
Ich glaube, es war „Freewheelin Bob Dylan“ (Dylans zweites Album, erschienen 1963; Anm. d. Red.), in einem Plattenladen in Belfast. Und ich dachte: Unglaublich, dass der Typ nicht von „Moon In June“ singt und damit auch noch durchkommt. Das war kein Pop-Zeug, da taten sich neue Wege auf. Du musstest nicht länger Sachen wie „I found my thrill on Blueberry Hill“ schreiben, alles schien möglich. Leadbelly hat das schon früher getan, klar, Woody Guthrie ebenso. Nur wusste das zu jener Zeit kaum einer. Dank Dylan war das plötzlich Mainstream.
Sie haben mit dem New Yorker Produzenten Bert Berns gearbeitet, und „Here Comes The Night“, ein Ergebnis dieses Teamworks, wurde ein Hit für Them. Später gab es mächtig Ärger.
Als Bert Berns Them produzierte, das heißt einige Tracks des ersten Albums („The Angry Young Them“; Anm. d. Red.), war er ein sehr lockerer Typ. „Tut, was immer ihr wollt, und ich nehm’s auf“, so die Art. Ein paar Jahre später hatte ich ein Angebot von Philips Fontana vorliegen, als ich einen Anruf von Berns erhielt. „Wir sollten uns treffen, blahblahblah.“ Am Ende unterschrieb ich bei seinem Label, Bang. Aber er war ganz anders als früher wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
Dennoch zogen Sie nach New York, um mit ihm zu arbeiten?
Ja, und er hatte alles unter Kontrolle. Alles musste so gemacht werden, wie er es haben wollte. Sehr extrem, kein bisschen flexibel. Ich spielte die Songs allein auf der Gitarre, dann ging ich zu den Aufnahmesessions, und da saßen 20 Gestalten herum: drei Gitarristen, drei Bassisten, drei Drummer, zehn Background-Sänger. Und ich dachte: Moment, was passiert hier eigentlich? Ich hatte keine Ahnung, worauf Berns hinauswollte. Ich fühlte mich eingeengt und hatte bald die Nase voll. So was nennt man vermutlich künstlerische Unstimmigkeiten.
Sie haben einige Aufnahmen für Bang gemacht, unter anderem auch „Brown-Eyed Girl“.
An einem Tag hab‘ ich acht Songs für vier Singles aufgenommen, und sie haben diese vier Singles als Album veröffentlicht. Zu dem Zeitpunkt wusste ich gar nichts von einer LP. Und das war noch nicht das Schlimmste. Es wurde noch übler, bis die Lage schließlich völlig verfahren war.
Hatten Sie bei der Arbeit an „Astral Weeks“ (dem Album nach der Bang-Phase; Anm. d. Red.) das Gefühl, dass am Ende genau das herauskommen würde, was Sie sich vorgestellt hatten?
Nun, ich wollte einfach wegkommen von dieser durchstrukturierten Herangehensweise. Ich hatte ja keine Ahnung, dass all diese Platten, die ich damals hörte, Sachen von Aretha Franklin, Wilson Pickett, der ganze Rhythm’n’Blues derart straff arrangiert und strukturiert war. Ich wollte einfach zurückkehren zum Spielen und Singen, alles andere beiseite lassen und noch einmal von vorne anfangen. Es waren nur die Gitarre, die Stimme und die Songs. „Astral Weeks“ entstand aus dieser Sehnsucht heraus, die Ketten zu sprengen, Grenzen zu überschreiten und über den sturen Viervierteltakt hinaus- zugehen. Darum ging’s.
Wussten Sie, dass einige der Musiker, mit denen sie auf „Astral Weeks“ arbeiteten, zur Riege der Top-Jazzer zählten?
Nein. Nach all diesen Problemen mit Bang spielte ich die Songs zunächst live. Die Typen bei Bang waren Manager, Agenten, Verlag, Plattenfirma, alles in einem. Ich konnte nichts tun, außer: rausgehen, auftreten und so ein wenig Geld verdienen. Ich spielte in einem Laden in New York, „The Scene“, und bekam 75 Dollar pro Nacht. 75 Dollar, von denen ich auch noch die Band bezahlen musste und das Taxi. Für zwei Sets pro Nacht. Jedenfalls begann ich da, diese Sache ins Laufen zu bringen. Als es dann ins Studio ging, wollten sie meine Band nicht dabeihaben. Sie wissen ja, wie das geht: „Wir wollen deine Band nicht, wir setzen lieber die Leute ein, die wir haben wollen.“ Tatsächlich hat also der Produzent die Musiker verpflichtet. Ich kannte die gar nicht.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Ihren Songs aus jenen frühen Tagen, zu einigen Songs, die Sie ja heute noch singen?
Ich bewege mich einfach vorwärts, ich habe mit der Vergangenheit nichts am Hut. Man tut etwas, dann geht man weiter. Bevor ich „Astral Weeks“ aufnahm, war ich mit einem Kontrabassisten und einem Flötenspieler unterwegs. Das war meine Band. Ich spielte die Musik, ehe ich die Platte aufnahm, und als die dann herauskam, war ich schon wieder woanders. Ich war damit beschäftigt zu überlegen, wo ich die nächste warme Mahlzeit herbekomme. Ich erhielt kein Geld, „Astral Weeks“ hat sich nicht verkauft. Also musste ich etwas tun, was sie im Radio spielen würden. Diese Leute zockten mich ab. Ich bekam keine Tantiemen, nichts. So blieben außer Auftritten Radioeinsätze das einzige, bei dem sie mich nicht ablinken konnten, weil das Geld direkt von der BMI zum Künstler kam (Broadcast Music Inc., die US-Urheberrechtsgeselkchaft; Anm. d. Red.). Aber es ging ums Überleben, beim nächsten Album („Moondance“; Anm. d. Red.) ging’s ums Überleben.
Aber es enthielt einige großartige Songs: das Titelstück zum Beispiel.
Mag sein, kein Ahnung. Ich denke, meine wirklich großartigen Songs habe ich eben erst geschrieben, auf den letzten paar Alben. Das sind meine besten Songs. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Die Siebziger waren keine gute Zeit für Rock-Musik.
Für mich war das ohne Bedeutung, ich hab einfach mein Ding gemacht. Ich habe mich nie für Rock-Musik interessiert. Als ich angefangen habe, hat mich Rock’n’Roll interessiert, Leute wie Little Richard, Jerry Lee Lewis, Fats Domino, Carl Perkins. Aber das war Rock’n’Roll. Was Rock eigentlich sein soll, wusste ich nie. Und das weiß ich auch heute noch nicht. Ich weiß, was Rock’n’Roll ist. Aber Rockmusik? Keine Ahnung. Nichts für mich.
Sie kamen Ende der Siebziger aus den USA zurück und wohnten fortan in England. Eine Art Rückkehr in Ihre spirituelle Heimat?
Zunächst einmal hatte ich die Nase voll von den USA. Henry Miller spricht nicht umsonst vom „klimatisierten Alptraum“. Ich hatte einfach genug. Ich wollte da weg. Das war’s.
Wie wichtig sind Konzerte für Sie?
Es ist das, was wirklich zählt All diese Leute, die ich am Anfang meiner Karriere bewundert habe, sind andauernd aufgetreten. Jimmy Witherspoon, John Lee Hooker – immer unterwegs. In all den Jahren bin ich durch die verschiedensten Phasen gegangen, aber ich denke, ich kehre so allmählich zum Anfang zurück, zum Blues und zu denen, die ihn gespielt haben. Einfach nur gespielt.
Es gibt Momente, in denen ein Konzert eine spirituelle Erfahrung sein kann. Ist es das, wonach Sie suchen?
Manchmal ist es eine spirituelle Erfahrung, meistens aber nicht. Meistens ist es einfach nur ein Gig. Man spielt und singt seine Songs. Das war’s.
Sind Sie glücklich auf der Bühne, macht Ihnen das Spaß?
Nicht wirklich. Sehen Sie, die Typen, die ich bewundert habe, sind aufgetreten, weil sie mussten. Es ging nicht darum: Bist du glücklich mit dem, was du tust, bist du dies, bist du jenes? Du tust einfach, was du tust. Ich denke, ich befinde mich auch in diesem Stadium. Es geht nur noch um eines: Du stehst da oben und singst. Du kannst nicht mal sagen, was es ist. Es ist, was es ist: einfach Konzerte geben.
Was halten Sie von der Idee, dass ein Künstler einfach ein Medium für etwas ist?
Was das Schreiben angeht, sicher. Aber Schreiben und Auftreten sind zwei verschiedene Dinge. Wenn man einen Song wieder und wieder singt, verliert er seine Wirkung. Wenn du den Song schreibst, ist er frisch. Dann nimmt man ihn auf, da hat er noch eine Bedeutung. Aber wenn man ihn Jahr um Jahr singt, kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem er überhaupt nichts mehr bedeutet, an dem er nur noch ein Vehikel für Gesang ist. Am Ende hat man nur noch ein Skelett.
Ist für Sie die Aussage eines Songs wichtig?
Am Anfang ja. Aber es gibt eben diesen Unterschied zwischen dem Schreiben und der Aufnahme eines Songs und dem, was dann daraus wird. Einige meiner Songs habe ich tausend Mal gesungen, so dass sie ihre ursprüngliche Bedeutung völlig verloren haben. Deswegen kommt es auch nicht so sehr auf die Worte an, sondern wie man sie vorträgt, was man reinsteckt. Die Texte werden ab einem bestimmten Zeitpunkt irrelevant. Man spielt mit ihnen. Ich habe einige meiner Songs förmlich auf den Kopf gestellt. Wenn man auftritt, muss man das für sich selbst so interessant wie möglich machen, sonst haut’s nicht hin.
Mit „Gloria“ (eingespielt 1964 von Them; Anm. d. Red.) haben Sie einen Song geschrieben, den jeder kennt, der jemals in einer Rock’n’Roll-Band gespielt hat.
Dabei war das nicht mal einer meiner besten Songs, mehr so ein Abfallprodukt. Ähnlich wie „Brown Eyed Girl‘ (Morrisons Top-10-Hit aus dem Jahr 1967; Anm. d. Red.). „Gloria“ wurde aufgenommen, weil ich Geld brauchte. Damals ging’s ums Überleben. Heute nicht mehr.
Gab es einen Punkt, an dem Sie sich bewusst entschieden haben, die Rechte an Ihrem eigenen Material zu behalten?
Ich konnte nur bei Null anfangen, damals Ende der Siebziger. Das ältere Material bekam ich nicht zurück. Seit den Achtzigern gehört mir das, was ich tue. Das bedeutet, dass keiner irgendwelchen Unsinn damit machen kann. Nehmen Sie „Brown-Eyed Girl“: Sony hat den ursprünglichen Besitzern die Rechte abgekauft, und seither bringen sie das Zeug (die sogenannten „Bang-Recordings“; Anm. d. Red.) zweimal im Jahr auf diversen Labels heraus. Wenn ich könnte, würde ich die Bänder verbrennen, weil sie weder für mich stehen noch für das, was ich tue. Einige Leute kommen zu meinen Konzerten und glauben, diese uralten Aufnahmen wären Van Morrison. Stimmt nicht. Das war nicht ich, das bin nicht ich, das hat nichts zu tun mit dem, was ich mache. Alles Betrug. Denn dadurch, dass sie das Material alle fünf Minuten wiederveröffentlichen, vermasseln sie mir auch meine aktuelle Arbeit.
Der Titel Ihres letztjährigen Albums – „Back On Top“ klingt wie ein durchaus absichtsvolles Statement.
Es gibt kein Oben. Selbst wenn man dieses Level erreicht hat, macht man einfach weiter sein Ding. Darum geht’s in dem Song. Du tust, was du tust. Es gibt kein Oben, kein Unten, keine Mitte. Alles ist, wie es ist. Verstehen Sie?