violent femmes – Charmante Anarchisten
Daß sie einst als Straßenmusiker ihre trockenen Brötchen hart verdienten, haben die kauzigen Drei aus Milwaukee bis heute nicht vergessen. Spontaneität, Spielfreude und Publikumsnähe sind nach wie vor ihre Visitenkarte. Und daß sie mit naivem Charme die heiligen Kühe der Popmusik schlachten, macht sie nur noch sympathischer. Ein Insider-Joke für Intellektuelle aber wollen sie dennoch nicht sein: „Keine Frage, die Violent Femmes sind eine Popband.“
‚Es war immer eine Faustregel dieser Band, sich nicht selbst unnötigerweise einschränken zu wollen. Nie haben wir gesagt, irgendetwas läge außerhalb unserer Möglichkeiten.“ Sagt Brian Ritchie, Bassist der Violent Femmes.
Über den Satz lohnt es sich nachzudenken … Der befreiende Knall des Punk war nämlich letztlich auch nur eine neue Zwangsjacke. Punk bestand durch und durch aus Regeln und Verboten: Musiker zu sein, war sowieso suspekt; Soli waren streng verboten; eine Melodie scheute man wie der Teufel das Weihwasser; Balladen waren out – und jeder Song, der länger war als drei Minuten, wurde als Hippie-Relikt belächelt.
Obwohl der Punk-Frühling nun sieben Jahre zurückliegt, wachen jene Journalisten und Plattenfirmen, die mit der New Wave großwurden, mit Argusaugen über die Einhaltung der Regeln. Die violent Femmes, die (in Amerika) für das „Punk“-Label Slash arbeiten, mußten sich ihre Freiheit gegen die Hierarchie des neugewellten Plattenbusiness‘ geradezu erkämpfen. Slash wollte das Femmes-Album HALLOWED GROUND nicht veröffentlichen, da es zu unkommerziell, zu unverdaulich sei und – da kann man nur lachen – weil es so viele Stile umfasse, daß die Musik beinah … anarchistisch sei!
„Wir haben nie gesagt: ,uh, mein Gott, du kannst unmöglich diese Raga–Tonleiter bringen, das ist zu far out für Rock‘. Oder ‚Uh-oh, das klingt zu sehr nach Country Music. Wir bleiben besser beim Pop.‘ Für uns war das Besondere eben immer, in einer Band zu sein, die absolut alles spielen kann. Wir spielen Gospel, Country, Folk, Blues, Jazz, Rock, Funk, freie Improvisation, sogar Musik aus dem Mittleren Osten… aber alles in einen Pop-Kontext integriert, mit den Strukturen und Textinhalten der Popmusik.“
Ritchie denkt ein paar Sekunden über seine letzte Äußerung nach und lacht: „Pop-Textinhalte? Ja, ja, da gehören wir wohl zu – wenn auch zu einer ausgeklinkten Sorte. Keine Frage, die Violent Femmes sind eine Popband. „
Aber was für eine Popband! Für mich waren die beiden Auftritte der Gruppe in Münchens Alabamahalle (Februar und Oktober ’84) die musikalischen Hightlights des Jahres. Sie erinnerten mich an all die Gründe, aus denen ich mich ursprünglich zur Musik hingezogen fühlte. (Und das vergißt man leicht, wenn im Pop-Journalismus meist zwischen den Zeilen steht: „Tia, x, y und z können zwar kaum spielen, aber sie sind schrecklich nette Kerle.“) Die Femmes in action stecken wirklich voller Überraschungen. Und das Publikum – verschont vom üblichen Pawlowschen do-ya-feel-allright-Humbug – mag all die fliegenden Stimmungswechsel und die gewagten, dynamischen Stil-Kombinationen. Teils, weil sich die Gruppe ihren Sinn für Humor bewahrt hat (man kann geradezu fühlen, wieviel Spaß es ihnen auf der Bühne macht), aber hauptsächlich, weil das Publikum, traut man ihm erstmal Intelligenz zu, auch intelligent reagiert.
Inzwischen versuchen einige Journalisten, die Femmes als Country-Punk-Fusion zu verkaufen. Peinlich. Die Band kann da bloß gähnen. „Das ist typisch für die Engländer. Kaum vergehen 20 Minuten ohne neuen Trend, geraten sie in Panik.“
In Wirklichkeit sind sie die Speerspitze all jener Bands, denen lebendige Musik und Live-Auftritte mehr bedeuten als Playback und Video. Die Kluft zwischen beiden Lagern wird sich in Zukunft sicher noch verbreitern – und so gesehen, haben die Violent Femmes mit Ornette Coleman ebensoviel zu tun wie mit Jason And The Scorchers. Konkrete musikalische Gemeinsamkeiten gibt es da kaum, sicher, aber immerhin befinden sie sich alle auf derselben Seite des Zauns.
Nachdem die Femmes mit ihren Alben und der EP „Ugly“ schon mehrfach an der Spitze der deutschen Independent Charts standen, im Fernsehen zu sehen waren und gar in der „Zeit“ vorgestellt wurden, nehme ich an, daß die meisten Leser mit ihrer Geschichte zumindest ansatzweise vertraut sind. Trotzdem schnell die obligatorische Zusammenfassung für die Desinformierten unter uns.
Es gibt drei Femmes („Femme“ übrigens ist nicht französisch, sondern US-Slang für „Muttersöhnchen“), sie kommen aus Milwaukee, der größten Bier-Stadt der Staaten. Zur Gruppe gehören: Gordon Gano (klein und lieb), spielt Gitarre, schreibt alle Songs, singt sie und ist 21 Jahre alt; Victor De Lorenzo (höflich und freundlich), spielt das kleinste Schlagzeug der Welt (im Stehen!) und ist 29 Jahre alt; schließlich Brian Ritchie (groß und blond), elektrische und akustische Baß-Gitarren, 24.
Gano ist der einzige, der aus einer musikalischen Familie stammt; sein Urgroßvater war Arrangeur von George M. Cohan (dem Komponisten von „Yankee Doodle Dandy“ und „Give My Regards To Broadway“) und außerdem der erste, der in Amerika mit einem kompletten Orchester auf Tournee ging.
De Lorenzo und Ritchie haben, wie unschwer zu hören ist, beide Jazz-Erfahrung, ersterer startete auch eine Karriere als Schauspieler. In dieser Eigenschaft traf er den Manager, Produzenten und gelegentlichen Keyboarder der Femmes, Mark van Hecke, der damals die Musik zu einem Theaterstück schrieb. Seine fundierten musikalischen Kenntnisse, kombiniert mit ihren Talenten, sind Quellen, aus denen die Femmes mit vollen Händen schöpfen.
Als ich sie zum ersten Mal traf, konnten sie sich für die Musik sämtlicher folgenden Gruppen begeistern: die Byrds, John Coltrane, Albert Ayler, die Thirteenth Floor Elevators, Johnny Cash, Howling‘ Wolf, das Art Ensemble Of Chicago, Nina Hagen, Tom Waits, Tom Verlaine, Duke Ellington, John Zorn, Bob Dylan und Billie Holiday … nicht der schlechteste Geschmack, wenn ihr mich fragt.
Vic und Brian entwickelten, nachdem sie einen Milwaukeer Tramp namens Doorway Dave begleitet hatten, eine Vorliebe für Straßenmusik (daher auch das winzige Schlagzeug und der akustische Baß). Und als die Femmes gegründet wurden, war die Straße das naheliegendste Testfeld für die Musik. Die meisten Passanten allerdings zischten nur: “ Warum besorgt ihr euch keinen Job?“ (Gordon: „Ein bißchen Geld haben wir nur dann verdient, als ich und Brian alleine spielten. Wenn die Leute Victor sahen, dachten sie automatisch, daß der keine Unterstützung braucht. Er war immer zu gut angezogen.“) Eines Tages – die Geschichte kann die Gruppe schon nicht mehr hören – hörte Chrissie Hynde die Femmes und lud sie ein, an diesem Abend beim Pretenders-Konzert als Vorprogramm einzuspringen. Innerhalb von wenigen Stunden machten sie so den Sprung von der Straße auf die Bühne großer Hallen.
Seitdem waren sie rund um die Welt unterwegs – und hatten dabei die größten Erfolge in Deutschland und, merkwürdigerweise, Neuseeland. Wenn alles nach Plan läuft, werden sie ihr nächstes Album wahrscheinlich in Neuseeland aufnehmen.
Sie hoffen zudem, diesmal länger im Studio bleiben zu können: Bis jetzt konnten sie es sich nicht leisten, mal nicht unterwegs zu sein. Drei Jahre lang sind sie ständig auf Tour gewesen.
Können sie sich da überhaupt noch gegenseitig überraschen?
De Lorenzo: „Und ob! Da gibt’s jede Menge Überraschungen!“
Ritchie: „Uns geht auch manchmal was völlig in den Arsch. Letztes Mal in Hamburg, ich glaub da war’s, haben wir einen Song vollkommen in den Sand gesetzt. Zuerst hat Vic den Beat völlig verloren; weiß der Teufel, woran er gerade gedacht hat. Und dann hab ich versucht, eine passende Baß-Linie zu finden. Unmöglich. Wir mußten es aufgeben und nochmal von vorn anfangen. „
Allzu oft allerdings passiert das nicht. De Lorenzo: „Die Musik ist sehr leicht veränderbar, verstehst du; das richtet sich sehr nach unseren jeweiligen Stimmungen. Es scheint tatsächlich unmöglich zu sein, unsere Persönlichkeiten und Gefühle aus der Musik herauszuhalten. Irgendwie hat die Musik jeden Abend eine andere Farbe. Manchmal ist das eine Blödel-Show, manchmal ist die Musik sehr hart. Manchmal wird es ziemlich laut und elektrisch, ein anderes Mal ist es fast ganz und gar akustisch. Manchmal sind wir ziemlich glatt und professionell‘ und spielen unsere Songs sehr straight, ein andermal ist es sehr rauh oder sehr experimentell. „
Um die angespannte Unsicherheit, die ein Femmes-Konzert zu einem unvorhersehbaren Erlebnis machen kann, noch zu verstärken, hat die Gruppe keine Playlist der Stükke; keiner von ihnen kann die Nummern überhaupt aufzählen.
Und dann sind da noch die „Horns Of Dilemma“, der wechselnde und unendlich variable Stamm von Musikern, die die Gruppe begleiten. Bei den letzten Gigs hatten sie Steve Mackay an den Saxophonen im Schlepptau, früher bei Iggy Pops besten Stooges. Praktisch jeder Musiker, der nichtsahnend vorbeikommt, kann sich plötzlich engagiert finden. Anfang des Jahres heuerte Ritchie in Köln einen schottischen Dudelsackspieler an, den er draußen vorm Dom fand und sofort zur Show der Gruppe schleppte.
Auf was führen die Violent Femmes eigentlich ihren Erfolg zurück?
Ritchie: „Auf die Stray Cats. „
Wie war das?
„Wirklich. Musikalisch waren sie ein Rückschritt, aber sie machten den Minimal-Aufwand soweit akzeptabel, daß wir es leichter hatten. Die Tatsache, daß sie schon Erfolg hatten, brachte es mit sich, daß wir nicht mehr unsere Instrumentierung rechtfertigen mußten oder automatisch als Witz abgetan wurden. „
De Lorenzo: „Aber ich glaube nicht, daß wir schon erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben. Wir müssen jede Menge lernen.“
Ritchie: „Und noch viel mehr Länder besuchen. Ich hätte das alles nicht gesehen, wenn ich nicht die Gelegenheit beim Schopf ergriffen und meinen Job in der Stadtbücherei von Milwaukee aufgegeben hätte.“