Von Disko zu Disko


Unser Mann für Clubkultur hat ein neues Buch geschrieben: Diesmal bewegt sich Alleskönner Hans Nieswandt zwischen Diskoroman und Sitcom, zwischen bildungsbürgerlicher Betrachtung des Clubs und tanzendem Reisebericht.

Gerade ist Hans Nieswandt aus Asien zurückgekehrt. „Da wussten viele Leute nicht mehr, dass auf meinen schwarzen Scheiben Musik drauf ist. Während des Sets haben sie mir ständig die Nadel runtergewischt.“ Auch von Kuriositäten wie diesen erzählt sein gerade erschienenes Buch DJ Dionysos – Geschichten aus der Diskowelt, das, genau wie seine vorhergeh-enden Erinnerungen plus minus acht und Disko Ramallah, durch die globalisierte Partywelt führt. Nieswandt war in Hanois Techno-Hallen, auf Vuvuzela-WM-Parties in Johannesburg, zum Chill-Out im Abteil der Transsibirischen Eisenbahn, wo er sich mit einer Boombox die Zeit vertrieb. Und in Peking hat Nieswandt beim Pre-Opening von Dimitri Hegemanns „Tresor“-Dependance aufgelegt.

Hans Nieswandt ist ständiger Tourist. Zwar hat er eine kleine Privat-Residency im Kölner „Café Franck“, und seine einstündige Nacht-Radiosendung läuft jeden Mittwoch beim Kölner WDR-Sender 1LIVE, in der übrigen Zeit reist er jedoch mit dem Goethe-Institut durch die Welt, legt im Namen des großen Dichters Platten auf – um mit „Geschichten aus der Diskowelt“ heimzukehren.

Als Vorbereitung auf sein neues Buch hat Hans Nieswandt allerdings auch eine Menge gelesen, zum Beispiel „Love saves the Day“ von Tim Lawrence, „der die Discogeschichte mit der sozialen Freiheitsbewegung im Amerika der späten 60er-Jahre verknüpft“, dazu kamen etliche Texte des dionysischen Philosophen Friedrich Nietzsche, denn: „Mir war gar nicht bewusst, wie viel Nietzsche zum Thema Tanzen geschrieben hat.“

Das neue Buch, eine bunte Aneinanderreihung durchfeierter Nächte, ist deshalb vollgepackt mit – unmarkierten – Nietzsche-Zitaten. Es geht bei Nieswandt, anders als bei Blogger Airen („Strobo“) oder Berghain-Poet Anton Waldt („Auf die Zwölf“) um mehr als um die rauschhafte Abschrift verschwitzter Partynächte. „Mich interessiert die gesamte Kulturgeschichte des Spaßhabens“, sagt Hans Nieswandt. „Und da stößt man unweigerlich auf den griechischen Gott Dionysos, der so etwas wie der Schutzpatron des ekstatischen Rituals und eben kein Fruchtbarkeitsgott ist. Diese ganze Tanzerei und die Discokultur dient, Dionysos folgend, eben nicht der Fortpflanzung. Es geht darum, sich einer Gemeinschaft zu versichern.“ Hans Nieswandt sieht den Ursprung „unserer ganzen DJ- und Trackkultur“ im tanzenden Aufstand von Schwarzen, Schwulen, Hippies, der gesamten Anti-Vietnam-Bewegung in den Sechzigern. „Ich mag die Idee der Discokultur als Fortsetzung dieser erfolgreichen Befreiungsbewegungen.“

Das ist selbstverständlich bildungsbürgerlich, aber eben weil es so bildungsbürgerlich daherkommt auch ein großer Spaß. DJ Dionysos ist kein Tagebuch, es ist „eine Sitcom auf zwei Ebenen“. Auf der einen Ebene, oder dem realen Haupt-Handlungsstrang, erzählt Nieswand von eigenen DJ-Erlebnissen und davon, wie er versucht, seinen groß angelegten Clubroman zu verfassen, aber durch verschiedene Widrigkeiten daran gehindert wird. „Und dann gibt es eine Sitcom auf der fiktiven Ebene, das ist die Geschichte von DJ Dionysos aus der Provinz, der in der großen Stadt seinen Obi-Wan Kenobi trifft, der ihn in eine Menge Wissen einweiht, gegen den er sich aber auch auflehnt.“ Der reale, mit schwarzen Vinylplatten auflegende Hans Nieswandt steht dem fiktiven, am Laptop performenden Nachwuchs gegenüber. Für den alt gedienten DJ sind neue Vinyl-Emulatoren wie „Serato“ oder „Final Scratch“ ein Gräuel. Auch von diesen beiden Glaubensrichtungen erzählt das sehr romantische DJ Dionysos, eine Geschichte aus der Jetzt-Zeit, die sich nach den guten Dingen von Gestern sehnt, ohne den Vinyl-Analphabeten und den in die Nadeln greifenden Asiaten etwas nachzutragen.

Hans Nieswandt: „DJ Dionysos – Geschichten aus der Diskowelt“ mit Illustrationen von Felix Reidenbach KiWi, 202 Seiten, 8,95 Euro