Kolumne

Von Studio Ghibli in KI-Form zu Kanye: Wie Zynismus unsere Zeit regiert

Seit zwei Wochen ghibli-fizieren sich alle im Internet. Aida fragt sich in ihrer Kolumne: Was steckt dahinter?


Musikexpress Badge
Empfehlungen der Redaktion

Vor ein paar Tagen hat mir meine Mama eine illustrierte Version eines gemeinsamen Bildes geschickt – mit ChatGPT erstellt, im Stil vom Trickfilmregisseur Hayao Miyazaki und seinem Studio Ghibli. Das gleiche Studio Ghibli, deren Filme „Mein Nachbar Totoro“, „Die letzten Glühwürmchen“, „Prinzessin Mononoke“ und natürlich „Chihiros Reise ins Zauberland“ mich innerhalb von Minuten garantiert zum Heulen bringen. Jetzt eben Mama und ich im Ghibli-Stil, von einer Maschine erstellt.

Mit ihrer Begeisterung für die neue Bilderstellungsfunktion der KI war meine Mutter nicht alleine: In den letzten zwei Wochen wurde das Internet geflutet mit ghibli-fied Versionen historischer Bilder, von Memes und Momenten aus der Zeitgeschichte. Der Tod von JFK, die Horrorbilder aus dem Foltergefängnis Abu Ghraib im Irak, Hitler – alle in den so charakteristischen, nostalgisch-niedlichen Stil von Studio Ghibli getaucht. Und weil vollständiger Zynismus gerade das Gebot der Stunde ist, machten auch fröhlich Regierungen mit. Der X-Account des Weißen Hauses postete die Ghibli-Version der Festnahme einer weinenden Frau durch einen Beamten der Behörde ICE, die unter anderem für Grenzkontrolle zuständig ist. Auch Streitkräfte wie die israelische IDF wollten bei der allgemeinen Ghibli-fizierung nicht außen vor sein. Und zahlreiche Politiker:innen – auch aus dem rechten Spektrum. Schließlich lieben die irreführende KI-Bilder ja sowieso besonders doll.

„Gibt Wichtigeres“, könnte man da natürlich sagen. Und na klar, wir werden gerade jeden Tag überrollt mit neuem Wahnsinn (die Renaissance des Handelskriegs mit Zöllen? Die Proteste in der Türkei? Erschossene Sanitäter in Gaza? AfD gleichauf mit der CDU?) und da wirkt es erst einmal bizarr, sich über die neuen Funktionen von GPT-4o aufzuregen. Aber: Es hilft ja nichts, KI gräbt sich im Guten wie im Schlechten immer tiefer in unsere Leben ein. Und manchmal ist es beides gleichzeitig, das Gute und das Schlechte. Wie hier.

Denn natürlich hat es durchaus etwas für sich, wenn Menschen ihre eigenen Ideen in Bilder fassen können. Den Stil berühmter Trickfilme nachzueifern, das haben Menschen schon immer gemacht, lange musste man halt dafür irgendwie selbst zeichnen können oder jemanden kennen, der wirklich gut zeichnen kann. Jetzt ist es prinzipiell jedem zugänglich. Aber: Geht damit nicht auch der Ansporn, selbst zeichnen zu lernen, verloren? Und damit ein Skill, eine Fingerfertigkeit, ein Zugang, um eigene Kreativität zu üben?

Hayao Miyazaki hat sich bislang noch nicht selbst zum Thema geäußert, allerdings ging ein fast zehn Jahre alter Ausschnitt aus einer Doku über den Filmemacher und sein Studio viral. In dem Clip von 2016 zeigen ihm einige Mitarbeiter, wie man mit KI Figuren animieren könnte, statt jede Bewegung – wie bei Miyazakis Filmen üblich – einzeln zu zeichnen. Er putzt die Kollegen runter und nennt KI eine „Beleidigung an das Leben selbst“. Ob er heute noch dieser Ansicht ist? Unklar. Zwischenzeitlich veröffentlichte sein Sohn unter dem Banner von Studio Ghibli seinen ersten Film, der im Gegensatz zu den Arbeiten des Vaters komplett CGI-animiert ist (und leider gar nicht mal so gut ist). Und ganz davon abgesehen, geht es bei den Filmen aus dem Studio im Allgemeinen und Miyazakis eigenen Filmen im besonderen oft um Themen wie Unabhängigkeit, Identitätsfindung, Ökologie, Natur und ihr Schutz, Antimilitarismus und Pazifismus. Mit dem Trend, besonders brutale Momente der Geschichte und der Gegenwart im Ghibli-Look zu präsentieren und Militarismus zu feiern wirkt das nicht sonderlich vereinbar.

Ganz davon abgesehen, dass eine ganze Reihe von Fragen zu Copyright und Co. unbeantwortet bleiben: Haben Studio Ghibli und die Macher der Simpsons und vieler weiter stilbildender Ästhetiken den Programmierern von OpenAI erlaubt, ihre Arbeiten zu verwenden? Es sieht nicht so aus – und Sam Altman, der Chef von OpenAI, sagt ja offen: Wenn ihnen nicht erlaubt wird, einfach so Inhalte zu benutzen wie es ihnen beliebt, ist Schicht im Schacht. Und so machen es eigentlich alle KI-Firmen. Meta zum Beispiel, die Mutterfirma von Facebook und Instagram, hat seine KI einfach direkt mit einer Datenbank von raubkopierten Büchern gefüttert und trainiert. In England protestierten deswegen kürzlich viele Autor:innen friedlich vor der UK-Zentrale von Meta. Aber dem Unternehmen kann’s egal sein, Frechheit siegt – ganz zynisch wissen Meta und seine Anwälte, dass sie unter den aktuellen politischen Bedingungen die Überhand haben. Und die wütenden Autor:innen viel zu nett und höflich sind, um in ihrem Protest radikaler zu werden.

Maximaler Zynismus, das ist ja sowieso der Trend der Stunde: Am Freitag, den 3. April, veröffentlichte the artist formerly known as Kanye West ein neues Album, dessen Sound er, Achtung, selbst als „antisemitisch“ bezeichnet. Wie sich das genau zeigt? Nun, es heißt „WW3“, was mit größter Wahrscheinlichkeit für „World War 3“ steht, und hält eine Menge Nazi-Referenzen bereit, wenn er nicht gerade zugibt, seine Ex-Partnerin Bianca Censori zu stalken oder über seinen toten ehemaligen Mitarbeiter und Weggefährten Virgil Abloh lästert. Meine Kolleg:innen hier beim Musikexpress haben sich die Tracklist in ihrer ekelerregenden Gänze schon genauer angeschaut.

Verwundert ist darüber vermutlich niemand. Vor kurzem verkaufte er T-Shirts mit einem Hakenkreuz darauf, nannte sich stolz einen Antisemiten und so weiter und so fort. Mindestens seit seiner Trennung von Kim Kardashian, aber eigentlich schon seit dem Tod seiner Mutter hat Kanye jegliche Schranken fallen lassen und sich weiter und weiter in eine weirde, rechtsradikale, hasserfüllte und vor allem zutiefst zynische eigene Welt radikalisiert, in der die wichtigste Währung maximale Aufmerksamkeit und maximaler Bruch vermeintlicher Tabus ist.

Damit ist er in guter schlechter Gesellschaft, denn diese Strategien verfolgen ja weltweit aktuell sogar Politiker:innen. Und kommen damit auch noch durch. Maximaler Tabubruch, maximaler Ekel, Kanye ist damit ganz nah an seinen Vorbildern Trump und Musk. Und auch bei der AfD und Alice Weidel, die mit maximalem Zynismus mittlerweile die CDU in Umfragen eingeholt hat. Ich mache mich schon mal bereit für Kanyes Auftritt beim nächsten Parteitag.