Von wegen Phänomen: Was es mit dem angeblichen Nazi-Hipster „Nipster“ auf sich hat
Neonazis mit Jutebeuteln? Der sogenannte „Nipster“ ist leider mehr als nur ein weiteres Mode-Phänomen.
Ein Nürnberger Online-Magazin fühlt sich korrumpiert. Seit zwei Jahren schreiben Natalie Sevostianov, Sham Jaff und Hanzh Chang als „dreiköpfiges Multi-Kulti-Team“ ins Internet, damals gründeten sie Nipster – ein Neologismus aus Nürnberg und Hipster –, als Gegenreaktion darauf, dass „auch Nürnberg die Hipster-Epidemie erreicht“ hatte. „Wir brauchen neue Menschen, die sich losgelöst von jedem Zwang ihren wahren Leidenschaften hingeben. Wir brauchen Menschen, die ihre Hobbys zu ihrem Beruf gemacht haben; Menschen, die genug Motivation und Mut haben, sich gegen das Etikett der Coolen zu wehren und ihr eigenes Ding machen. Menschen, die sich nicht einordnen wollen“, schrieben sie in ihrem Eröffnungsartikel. Heute, zwei Jahre später, gibt es ihr Online-Magazin nicht mehr. Die Schuld daran geben die Nipster-Macher anderen Medien, die aus ihnen, so der direkte Vorwurf, Neonazis gemacht hätten.
Wer im Jahr 2014 „Nipster“ in die Suchmaschine seiner Wahl eintippt, landete bis vor Kurzem zwar schnell auf Nipster.net, hat aber in der Regel nie zuvor von zitiertem Nürnberger Online-Magazin gehört. Der Begriff „Nipster“ geistert nämlich seit Monaten durch die Medien, um dem angeblichen Phänomen der „Nazi Hipster“ einen Namen zu geben. Gemeint sind Neonazis, die sich durch ihr modisches Äußeres (Lonsdale-Jacken, New-Balance-Turnschuhe, you name it) nicht mehr als solche zu erkennen geben, sondern andere Subkulturen unterlaufen, in dem sie sich deren Dresscodes anpassen und ihre Ideologie somit nicht mehr mit dem winkenden Zaunpfahl an Mann und Frau bringen. Irgendwie muss der Nachwuchs ja rekrutiert werden, notfalls eben mit subtileren Mitteln als offenkundigem Fremdenhass und platten Parolen.
Was einen solchen Nazi-Hipster nun konkret ausmache? Auf dem Blog Netz gegen Nazis heißt es, er oder sie vertrete innerlich „natürlich den gleichen Schmu aus Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, Deutschtümelei und Meinungsfreiheitsgeschwurbel wie alle Rechtsextremen“. Es sei vielmehr die Verpackung, „die sich der Nipster bei der Jugendkultur der Hipster leiht. Er reichert die Nazi-Ideologie an mit Rebellion, jugendlicher Nachdenklichkeit, Selfie-Schnappschüssen und alternativkulturellen Versatzstücken wie veganer Ernährung und Containern.“ Und plötzlich sieht man eben Jutebeutel auf Neonazi-Aufmärschen und Tumblr-Blogs mit Holocaust-Verleugnungen.
Es ist mittlerweile hip geworden, über den Nipster zu berichten. „Heil Hipster: The Young Neo-Nazis Trying to Put a Stylish Face on Hate“, betitelte etwa der US-amerikanische Rolling Stone eine Geschichte über den bayerischen „Nazi Hipster“ und NPD-Funktionär Patrick Schröder. Die taz listete ach so ironisch zehn Dinge auf, die ein Neonazi tun müsse, um cool und hip und also ein Nipster zu werden. Einen eigenen englischen Wikipedia-Eintrag hat der „Nipster“ ebenfalls.
Das vermeintliche Phänomen ist längst im Fernsehen angekommen. Der NDR hat eine ebenfalls sehr ironisch gemeinte und nur teilweise entlarvende Vor-Ort-Reportage gedreht, die wiederum seit ein paar Tagen durchs Internet gereicht wird. Reporter Michel Abdollahi reist darin nach Bad Nenndorf, um bei einem Nazi-Aufmarsch zu überprüfen, was denn nun dran sei am Phänomen „Nipster“. Gefunden hat er neben den üblichen glatzköpfigen Verdächtigen ein paar junge Menschen, die unverdächtige Tattoos am Körper und Tunnel im Ohr tragen sowie einen Kerl namens Matthias, der sich mit markigen Blut-und-Boden-Sprüchen erst am Mikrofon vor seinem Publikum als der wortstarke Ober-„Nipster“ entpuppt, der er offenbar ist.
So weit, so hip. Am Ende aber ist alles noch perverser als ohnehin. Ja, angeblich kleiden sich Nazis jetzt als Hipster, um nicht gleich aufzufallen und die Subkulturen von innen zu manipulieren. Mit der aus Nürnberg geklauten Wortschöpfung aber, finden die Macher des eingestellten Magazins nipster.net, das nun unter nuernberg-und-so.de weiterläuft, habe man „dem Hässlichen einen schönen Namen gegeben“. Mehr noch: „Mit dem Namen habt ihr ‘Nazi Hipstern’ sogar die Möglichkeit gegeben, sich noch hipstriger zu fühlen als eigentliche Hipster. Somit habt ihr das höchste Ziel des Hipsters – so vollkommen anders und besonders sein zu wollen, dass man so oft wie möglich nachgeahmt wird – den Nazis gegeben“, schreibt Sham Jaff weiter. Und an diesem Vorwurf ist leider etwas dran: Schon durch die Tatsache, dass dieser Begriff geschöpft wurde und die Medien – einschließlich uns an dieser Stelle – darüber berichten, bekommen Neonazis und ihre dumpfe Gesinnung einmal mehr das, was sie am wenigsten verdient haben: Aufmerksamkeit.
Verschweigen aber ist bekanntlich auch nicht die beste Option.