Von Zugezogen Maskulin bis Thomas Gottschalk: Volkmanns Floskel-Kolumne im Relotius-Style
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Paula Irmschler die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler*in, welche Platte, welcher „Wetten dass...?“-Moderator lohnt sich (nicht) – und was war sonst noch los? In der neuen Folge zur KW 21/2020 geht es um die „Tired Women“-Akademie, Gottschalks Geburtstag, um die Steuer von Zugezogen Maskulin und den schweren Abschied vom Homeoffice. Legt Eure Masken ab und schießt in die Luft – die neue Popwoche ist da.
LOGBUCH KALENDERWOCHE 21/2020
Wem geht es auch so? Der Post-Shutdown ist echt schwierig zu gestalten. Als es im März nur noch darum ging, sich effektiv einzuigeln, war alles genauso bedrohlich wie klar. Jetzt muss man wieder selbst denken: Welches Risiko gehe ich ein, wo möchte ich hin, wen will ich sehen und was wurde eigentlich aus meinem Arbeitsplatz, bin ich möglicherweise längst gekündigt, ohne es gemerkt zu haben? Immerhin ist sogar schon wieder Bundesliga in Deutschland – wenngleich in einer dermaßen ätzenden Form, dagegen war ja der 30-jährige Krieg noch mehr Fun für die Betroffenen. Ich habe jedenfalls diese Woche von meinen 9.000-Euro-Soloselbständigen-Begrüßungsgeld eine Flasche Batida de Coco gekauft – und eine Ananas. Danke, Merkel.
GOODBYE DER WOCHE: HOME OFFICE
Man hat sich schon so daran gewöhnt, oder? Doch der Traktorstrahl der Arbeitsplätze gewinnt an Intensität und es wird nicht lange dauern, da steht man wieder mit allen zusammen in der Teeküche rum – und träumt heimlich von der nächsten todbringenden Pandemie …
Adieu Homeoffice – 7 Dinge, die wir vermissen werden
- In den muffigsten Lumpen am Schreibtisch sitzen natürlich.
- Bierfahne beim 15-Uhr-Team-Meeting auf Zoom.
- Aus Langeweile die Haustiere rausputzen und dann auf Kehle dressieren.
- Schoki-Break alle 10 Minuten.
- Noch schneller wunderlich werden als eh schon.
- Excel-Listen befüllen, während auf zehn der „Walkürenritt“ von Wagner läuft.
- Endlich mal das über Jahre in der Firma geklaute Büromaterial verwenden.
BONUS-MEME DER WOCHE: SORRY 3000
Die neue Lieblingsband von Paula Irmschler sowie allen sensiblen Halbirren mit Studi- und Alk-Mische-Background hat mir ein eigenes Meme gewidmet. Wie kann ich diesen frechen Popmusiker*innen nur danken?
VIDEO DER WOCHE: ZUGEZOGEN MASKULIN
In den 90er-Jahren gaben Smudo und Thomas D ein Interview in einer damaligen SAT-1-Jugendsendung. Eine „kecke“ Frage lautete, was die Band denn jetzt mit dem ganzen Geld machen würde. Smudo, ganz der dröge Verwaltungsfachangestellte, verwies darauf, dass allein die Steuer viel von jenem vermeintlichen Reichtum auffressen würde. Thomas D unterbricht ihn leicht peinlich berührt und sagt: „Ja, die Scheiß-Reichen klagen immer über die Steuer!“ So ähnlich klingt es, wenn Grim187 (richtige Nummer gerade nicht vor Augen) sich auf dem ersten Teaser-Track („EXIT“) hin zum neuen Album über das Dilemma des Musikers auslässt, der seine neue Platte zu inszenieren hat. „Ich les‘ ein altes Interview / dort lach‘ ich über Rapper / die sich über ihren Job beschweren: ‚Ja, hört doch einfach auf!‘ / Heute bin ich selber einer dieser Rapper / ach, Du scheiße, ja, so wollt ich niemals sein.“ Zugezogen Maskulin melken den eigenen Burn- und Bore-Out? Why not! Denn dieser erste Track klingt gerade deshalb sehr unterhaltsam:
HAPPY BIRTHDAY DER WOCHE: THOMAS GOTTSCHALK
In der Stuckrad-Barre-Bio „Panikherz“ bin ich ihm erstmals abseits seiner alles überstrahlenden Bühnenpersona begegnet. Kurz darauf trennte er sich von Frau Thea für eine andere: Thomas Gottschalk soll also auch ein regulärer Mensch sein? Was denn noch alles? Nein, für mich bleibt er bitte für immer die Papagei-eske BRD-Moderationsblaupause mit Boomer-Charme. Dieses Boomer-Ding pflegte er übrigens bereits in den 90ern (!), als er den damaligen Kids Techno vermiesen wollte mit einer Eloge an Rockmusik: Thomas Gottschalk & Die besorgten Väter „What happened to Rock’n’Roll?“ Na, nichts mehr, Alter, aber alles Gute zum 70.
WTF DER WOCHE: SPREADSHIRT
Sich sein eigenes Shirt drucken lassen und es dann gleich auf einer angeschlossenen Plattform verticken können – klingt ziemlich easy, oder? In Wahrheit ist es das dann aber doch nicht. Diverse User erzählen, wie ihnen Motive vor Veröffentlichung gesperrt wurden – vor allem wegen Urheberrechtsbedenken seitens des Anbieters Spreadshirt. Fair enough? Spreadshirt kann immerhin für Motive haftbar gemacht werden, die unter ihrem Banner vertrieben werden und kontrolliert deshalb. Umso erstaunlicher, wie viel rechter Merch dann immer noch durchzurutschen scheint. Diese Woche sah das so aus: Voll verblödete Spinner, die sich ausdauernd einen Impfzwang herbeihalluzinieren, beflocken für Gleichgesinnte Shirts mit einem Judenstern. Darin steht „Nicht geimpft“. Diese Gleichsetzung mit den Opfern des Nationalsozialismus bescherte Spreadshirt einen Shitstorm, denn sie gelangten über unterschiedliche Produzenten via Spreadshirt in den Verkauf. Die Firma reagierte nun auf die Empörung, mittlerweile sind diese konkreten Produkte gelöscht. Na, dann … bis zum nächsten Mal?
DAS KLEINSTE INTERVIEW DER WOCHE: BIANCA JANKOVSKA
Bianca Jankovska ist mein Krafttier im hiesigen Journalismus. Zumindest stellt die in Berlin lebende Wienerin für mich einen virtuellen Publizistik-Rockstar dar. Sie ist in diversen Journo-Feldern aktiv und stieß dort – wer aus der Branche kennt es nicht? – an die Grenzen von verhindernden Redaktionen, verblödeten Strukturen und ökonomischen Zwängen. Doch statt sich an die Spielregeln anzupassen, hat sie stets ihr eigenes Ding gemacht. Ihre Ansprache auf Instagram ist der Kontrast zu allen Feel-Good-Writer-Influencern. Wahrhaftig und ungeschönt. Mit Julia Feller hat sie gerade ein neues Buch veröffentlicht. „Dear Girlboss, we are done“.
Liebe Bianca, nur drei Fragen an jemanden, der so eine Palette an Projekten aufweist, das ist eigentlich per se zum Scheitern verurteilt. Ich versuche es trotzdem: Also, wie geht es Dir gerade?
BIANCA JANKOVSKA: Danke der Nachfrage, ich hatte tatsächlich viel Glück mit meiner Jahresplanung. Schon vor der Pandemie stand fest, dass ich dieses Jahr als Dozentin komplett auf Online-Unterricht umsteige. Meinen Podcast („Tired Women“) produziere ich zuhause und auch Bücher schreiben sich idealerweise an einem Schreibtisch, der in einem ruhigen Zimmer steht. That boring author’s life hat mich also bis zum Sommer gut beschäftigt. Neu war für mich nur, dass andere mein Leben als Quarantäne bezeichnen, haha.
Du hast mit Julia Feller gerade das Buch „Dear Girlboss, we are done“ veröffentlicht. Kannst Du uns kurz sagen, was dahinter steckt?
Die Grenzen zwischen beruflich und privat verschwimmen zunehmend und Instagrams Einfluss auf den Berufsalltag ist allgegenwärtig. Auf der Plattform tummeln sich Kurse zur perfekten Selbstinszenierung, den richtigen Captions, Filtern oder Blickwinkeln – Ruhm und Reichweite scheinen heute für jeden schnell erreichbar zu sein. Die Realität hingegen offenbart uns seit zwei Jahren ein Auffangbecken für allerlei Kurzzeit-Experimente, in denen Frauen versuchen ihren Vorbildern so nahe wie möglich zu kommen, bis sie letztlich doch an Reichweite, Finanziellem und Authentizität scheitern. Als Medienwissenschaftlerin und Essayistin wollte ich das Thema „Girlboss-Hustle“ einerseits aus persönlicher Perspektive reflektieren, andererseits auf eine Meta-Ebene bringen. Das ist mir mit meiner großartigen Illustratorin Julia Feller, denke ich, ganz gut gelungen.
Du hast dir viele neue Skills draufgeschafft, u.a. unterrichtest Du heute an Akademien, hast sogar eine eigene gegründet. Wer Dich noch nicht kennt: Was kann man bei Dir lernen?
In Journalismus-Schulen lernt man, floskelige Reportagen im Relotius-Style zu schreiben und den oder die Leser*in für „dumm“ zu verkaufen. Von publizistischer Selbstbestimmung, Feedback auf Augenhöhe, fairen Nutzungsrechten oder dem, was wir als Schreibende wirklich wollen? War nie die Rede. Das Motto lautet: Einreihen, still bleiben und den Status Quo um Himmels willen nicht herausfordern. Deshalb die „Tired Women“-Academy. Um aufzuzeigen, welche Strukturen das System Journalismus stützen und vor „Eindringlingen“ schützen. Um Alternativen zu erarbeiten, selbstbestimmt zu jenen Themen zu publizieren, die einem am Herzen liegen und so zu einer diverseren Gesellschaft beizutragen. Und, nicht zuletzt: eine realistischere Auseinandersetzung mit einem Berufsfeld zu ermöglichen und die Motivation zu stärken, selbst tätig zu werden.
Bonusfrage: Man sieht auf Instagram, Du lernst gerade das Klavierspielen. Träumst Du beim Üben schon von dem ersten Jankovska-Album oder ist das etwas, das Du Dir gönnst, ohne dass es im öffentlichen Portfolio eine Rolle spielen soll?
Tatsächlich war meine erste Berührung mit Kunst die Musik. Dann verlor sich mein Interesse. Ich habe lieber gefeiert und in Wiener Clubs zu Berliner Bookings getanzt als Noten zu lernen. Das hole ich jetzt nach. Karriereambitionen als Musikerin habe ich keine. Das ist super angenehm.
MEME DER WOCHE
Guilty oder Pleasure? (90s-Edition Pt. 6)
Die Sache ist ganz einfach: Ein verhaltensauffälliger Act aus dem Trash-Kanon der 90er wird noch mal abgecheckt. Geil or fail? Urteilt selbst!
FOLGE 6:
Dolls United
HERKUNFT: Frankfurt
DISKOGRAPHIE: 1 Album, 5 Singles
ERFOLGE: „Eine Insel mit zwei Bergen“ erreichte Platin-Verkäufe
TRIVIA: Der Sänger gehörte in seit den 70er-Jahren auch zu der Band Hob Goblin.
PRO
Kindheitsmelodien (#AugsburgerPuppenkiste) werden in einen zeitgeistigen Sound überführt. Hoffnungslos sympathischer Retro-Kult.
CONTRA
Ausbeutung von debiler Nostalgie als Geschäftsprinzip. Und das in dem ohnehin schon komplett korrupten Eurotrash-Genre. Unsympathischer geht es kaum.
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.