Meinung

Warum Madlib der aufregendste HipHop-Producer aller Zeiten ist


Madlib veröffentlicht unter vielen Pseudonymen. Er bleibt seinen Wurzeln treu und entwickelt sich weiter. Diese und weitere Eigenschaften machen ihn so aufregend.

Was verleitet uns Musik-Begeisterte dazu, die selben Künstler:innen über Jahre, teilweise über Jahrzehnte zu verfolgen? Wie schaffen es unsere Lieblingsartists, uns mit jedem Projekt aufs Neue zu begeistern? Die Kunst könnte darin liegen, die perfekte Balance zwischen Neuerfindung und Kontinuität zu finden. Künstler:innen, die den Test der Zeit bestehen, entwickeln sich stetig weiter, ohne dabei aber den Kern ihres Schaffens aus den Augen zu verlieren. Otis Jackson Jr. – besser bekannt als Madlib – gelingt dieser Spagat seit Beginn seiner Karriere. Anscheinend mühelos.

Madlib – Ein Künstler mit vielen Gesichtern

Es ist kein allzu großes Wagnis, zu behaupten, dass es weltweit nur sehr wenige Künstler:innen geben dürfte, die unter mehr Pseudonymen als Otis Jackson Jr. auftreten: Als Madlib baut er seit Mitte der 90er-Jahre HipHop-Beats, unter dem Namen DJ Rels spielt er Live-Sets, als Quasimoto rappt er seit den 2000ern mit gepitchter Stimme. Diese Liste könnte noch sehr lange so weitergeführt werden. Jacksons Pseudonyme sind der Grund dafür, dass sich seine Musik seit nahezu 30 Jahren so verzweigen konnte, wie sie es eben tat. So unterschiedlich die verschiedenen Projekte auf den ersten Blick auch sein mögen, sie durchzieht der immer gleiche rote Faden. Und der heißt Madlib.

Otis Jackson Jr. wuchs in Oxnard, Kalifornien als Sohn eines Soul-Sängers und Schallplatten-Liebhabers auf. Mit elf Jahren schnappte er sich das erste Mal eine Vinyl aus der Sammlung seines Vaters – DOING IT TO DEATH (1973) von The J.B.’s – und bastelte seinen ersten Sample-basierten Beat.

1990 schloss sich Madlib mit den Oxnarder Artists Wildchild und DJ Romes zusammen, um das Trio Lootpack zu formen. Der damals erst 23-Jährige produzierte die Debüt-EP PSYCHE MOVE, die die Gruppe 1996 veröffentlichte. Die Platte kam in der Underground-HipHop-Szene gut an, wodurch das Label „Stones Throw Records“ aus Los Angeles auf die drei Freunde aufmerksam wurde und sie schließlich unter Vertrag nahm. 1999 releasten Lootpack ihr Debüt-Album SOUNDPIECES: DA ANTITODE. Bis 2010, als Madlib sein eigenes Label „Madlib Invazion“ gründete, veröffentlichte er all seine Werke bei „Stones Throw“.

Was macht Madlibs Sound aus?

SOUNDPIECES beinhaltete bereits Elemente, die später bezeichnend für Madlibs wegweisenden Sound wurden. Die Samples, die er aus den Untiefen der Plattenkisten ausgrub, sind so unkonventionell, dass die Beats eigentlich gar nicht funktionieren dürften. Durch die Selbstverständlichkeit, mit der der „Beat Konducta“ sie über seine knisternden Drumbreaks legt, taten sie es dennoch. Die ganze Platte hat einen Sound, der an den der 70er-Jahre erinnert. Dieser kommt – damals wie heute – davon, wie Madlib seine Tracks abmischt. Er verzichtet gänzlich auf sogenannte digitale Audio-Workstations und verwendet stattdessen altmodische Sampler, wie zum Beispiel den E-mu SP-1200. Auf SOUNDPIECES tauchte auch bereits sein erstes Alter Ego auf: Quasimoto. Hier als „Feature-Gast“ auf dem Song „Answers“.

2000 folgte Quasimotos Debüt-Album THE UNSEEN. Die Beats wurden im Vergleich zu SOUNDPIECES noch durchdachter und vor allem jazziger – Madlib verarbeitete Samples von Wes Montgomery, Don Cherry und weiteren. Sie blieben aber genauso unverwechselbar. Auf dem Track „Return of the Loop Digga“ rappt Madlib mit seiner eigenen Stimme über seine Abneigung gegenüber Producern, die mit ihren Instrumentals nur auf kommerziellen Erfolg aus sind. Er und seine Crew hingegen seien bemüht, „ganz anderen Scheiß zu erschaffen, den du noch nicht gehört hast.“ Der Beat zu „Low Class Conspiracy“ ist ein Musterbeispiel hierfür. Das Haupt-Riff von „Mellow Mood“ von Jimmy Smith und Wes Montgomery aus dem Jahre 1969 funktionierte der Produzent vom sanften Jazz-Stück zu einem Kopfnicken-veranlassenden Boom-Bap-Instrumental um.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Jacksons Beats strotzen vor einem nahezu unerschöpflichen Wissen und Verständnis von Musik. Unkonventionelle Samples auftreiben, ist die eine Sache. Daraus neue Hits zu basteln, ist eine Kunst, die nur die allerwenigsten beherrschen. Madlib ist einer von ihnen. Das liegt unter anderem daran, dass er kein Interesse daran hat, Beats rein für kommerziellen Erfolg zu produzieren. Madlib macht die Musik, die ihm persönlich gefällt und lässt sich nichts von der Musikindustrie vorschreiben.

Quasimoto als Gegenpol zum Mainstream-HipHop

Die fiktive Figur „Lord Quas“,  die auf Quasimoto-Alben mit gepitchter Stimme über Madlib-Beats rappt, hob diese Kritik des Mainstreams auf die nächste Stufe: Sie ist eine Antithese zum populären Rap des vergangenen Millenniums und wurde zu einem Symbol des Underground-HipHop. Dies spiegelt sich immer wieder in den Lyrics des Albums THE UNSEEN wider. Ein Beispiel: Auf dem Track „Microphone Mathematics“ rappt Lord Quas: „It’s the new breed fuckin‘ up the mainstream.“ Otis Jackson Jr. interessiert sich nicht für Regeln, Genre-Grenzen oder kommerziellen Erfolg. Weder als Madlib, noch als Quasimoto, noch als ein anderes Alter Ego. Das wird in diesem frühen Stadium seiner Karriere bereits deutlich.

Unter Quasimoto veröffentlichte Jackson noch das Studio-Album THE FURTHER ADVENTURES OF LORD QUAS (2005) und die Kompilation YESSIR WHATEVER (2013). Zusätzlich taucht Lord Quas immer wieder als Feature-Gast in verschiedenen Madlib-Projekten auf. So auch auf der Zusammenarbeit mit dem „Superschurken“ des HipHop MF DOOM: MADVILLAINY (2004).

Das Opus Magnum von Madlib und MF DOOM: MADVILLAINY

Über MADVILLAINY ist sicherlich schon alles gesagt worden, was es darüber zu sagen gibt. Um es kurz zu machen: Es ist das Opus Magnum des Producers Madlib und des Rappers MF DOOM, ein Meisterwerk von Anfang bis Ende und ein Meilenstein der HipHop-Geschichte. Madlib stellte hier seine Fähigkeit, die Skills seiner Feature-Gäste zu ergänzen und hervorzuheben, eindrücklich unter Beweis und krönte sich selbst zum König der Underground-HipHop-Produzenten. Eines der vielen Highlights der Platte ist der Track „Accordion“. Für das Instrumental borgte sich Jackson den Sound von Daedelus‘ Akkordeon aus dem Track „Experiences“ und kreierte einen Beat, der in Sachen Genialität heute noch seines gleichen sucht.

Youtube Placeholder

An dieser Stelle findest du Inhalte aus Youtube
Um mit Inhalten aus Sozialen Netzwerken zu interagieren oder diese darzustellen, brauchen wir deine Zustimmung.

Madlibs Ausflüge in den Jazz

Es ist bereits angeklungen, dass Otis Jackson Jr. wenig für sogenannte Genre-Grenzen übrig hat. Dementsprechend wird es keinen Fan verwundern, wenn er beim tieferen Eintauchen in die Diskografie des DJs, Producers und MCs plötzlich auf eine Reihe Jazz-Alben stößt. Yesterday’s New Quintet, bestehend aus fünf fiktiven Jazz-Musikern, hinter denen sich Madlib verbirgt, veröffentlichte – neben zahlreicher EPs und Singles – das Studio-Album ANGELS WITHOUT EDGES (2001). Jackson entfernt sich hier von seinem Sample-basierten Ansatz und tauscht SP-1200 gegen Fender Rhodes.

2003 wurde er schließlich von „Blue Note Records“, einem Jazz-Label aus New York, eingeladen, in ihrem Archiv zu kramen und alte Platten neu zu interpretieren. Daraus entstand SHADES OF BLUE: MADLIB INVADES BLUE NOTE, eine Zusammenstellung von 16 Stücken, die er zu dieser Zeit produzierte. Die erdachten Künstler:innen aus dem Yesterday’s-New-Universe-Dunstkreis tauchen auch hier wieder auf. Für einen Hit ganz besonderer Art sorgte Madlib mit dem Track „Stepping Into Tomorrow“. Dabei handelt es sich um eine Neuinterpretation des gleichnamigen Songs von Donald Byrd mit einer Spieldauer von über sieben Minuten.

Madlib erweiterte später den Kreis der Jazz-Musiker:innen um sich – dieses Mal mit zwei „echten“ Menschen: Karriem Riggins und Ivan Conti von Azymuth. Das Ergebnis dieser mehrjährigen Phase von Jacksons Karriere ist ein ansehnlicher Katalog an Jazz-Platten, für die es keinen HipHop-Head braucht, um sie zu genießen.

Madlib besteht den Test der Zeit

Wie es sich für einen großartigen Künstler gehört, hat Madlib sich selbst und seine Musik ständig neu erfunden. Nicht nur seine alten Platten, sondern auch aktuellere Werke aus seiner Feder zeugen von schier endloser Kreativität. Beweisstücke A und B: Seine Kooperationen mit dem Rapper Freddie Gibbs PIÑATA (2014) und BANDANA (2019). Wer die beiden Alben hört, wird mit Sicherheit Madlib heraushören. Allerdings einen anderen Madlib, als 10, 15 oder 20 Jahre zuvor. Nach wie vor dreht sich in seiner HipHop-Produktion alles um die Samples, die er aus seiner Schatzkammer voller Schallplatten hervorzieht. Zur Zeit seiner Freddie-Gibbs-Features verarbeitete Madlib diese allerdings anders als er das etwa auf MADVILLAINY oder SOUNDPIECES: DA ANTIDOTE tat.

Vor allem was Arrangement und Drums angeht, wird Jackson in den frühen 2010er-Jahren moderner. Programmierte Drums aus der Maschine ersetzten – zumindest teilweise – die gesampelten Drum-Breaks, die er früher ausschließlich verwendete. Je jünger die Releases des Producers werden, umso öfter stoßen aufmerksame Hörer:innen auf Beats, bei denen Madlib überhaupt keine eigenen Drums hinzufügte.

Madlib schreibt HipHop-Geschichte

Die Liste an großartigen Alben, die Madlib veröffentlichte, ist selbstverständlich länger als die hier präsentierte. Zu nennen sind etwa seine Zusammenarbeit mit J Dilla CHAMPION SOUND (2003), sein Solo-Album SOUND ANCESTORS (2021) oder seine BEAT-KONDUCTA-Reihe.

Sicher ist jedenfalls eines: Der heute 49-jährige und in Los Angeles lebende und arbeitende Madlib wird als ewiger Innovator in die HipHop-Geschichte eingehen. Keine Platte war ihm je zu ausgefallen, um darauf nach einem Loop zu suchen. Gleichzeitig gelingt es Madlib besser als den meisten HipHop-Produzent:innen – bei all der Innovation, die ihn seit 30 Jahren ausmacht – seine Wurzeln nicht aus den Augen zu verlieren. Außerdem beweist er – etwa durch seine Jazz-Platten – eine Vielschichtigkeit, die seine Musik nie langweilig werden lässt.