Kolumne

Linus Volkmanns Popkolumne: Pumuckl, der letzte bauchlinke Anarcho-Punk?


Pumuckl-Tiefenforschung: Linus Volkmann auf den popkulturellen Spuren des bekanntesten Kobolds.

Letzte Kolumne war echt heftig. Das Thema „Pop in Zeite des Nahostkonflikts“ hatte ich schon Wochen, eigentlich Monate mit mir rumgeschleppt. Im wahrsten Sinne: richtig belastend. Diese Woche nun hätte man glatt schon wieder ein Update zum Thema schreiben können. Soviel Ungutes passiert in der Popwelt gerade – unkommentiert. Doch das hebe ich mir hier einfach mal auf. Ich meine, Musikexpress, da sagt der Name doch schon, dass es hier bitte auch mal um schöne Dinge, um tolle Sachen gehen sollte – um Popkultur halt. Dieser Aspekt möge nicht verwahrlosen am Straßenrand des unerbittlichen Doom-Scrollings.

Die Eskapismus-Regler daher heute einfach mal komplett nach rechts. Ich spreche über den Impact, den der Kobold Pumuckl auf den hiesigen Pop hatte und noch hat. Ein Thema also, das zur Abwechslung mal nicht zum Verzweifeln ist. Ein Geschenk von mir an dich.

Linus Volkmann über: Pop in Zeiten des Nahostkonflikts

Pumuckl und RTL

Der Aufhänger für die Kolumne ist schnell erklärt – wenn auch auf den ersten Blick vielleicht verwirrend: das Dschungelcamp. An dieser Stelle natürlich Gratulation an diesjährige Siegerin, Lucy Diakovska! Auch wenn sich für mich trotz 17 Tage Dauerüberwachung in Australien nicht erschlossen hat, warum eine von den noch immer aktiven wie erfolgreichen No Angels in die Situation geraten konnte, sich Kakerlaken und Häme mit TV-Has-Beens zu teilen. Okay, und natürlich mit Influencer:innen, die von TikTok ins seriösere Fach (RTL) wechseln wollen.

Anyway, Lucy hat also gewonnen – doch der Gratis-Probemonat bei RTL+ ist damit ja noch nicht um. Vielmehr eröffnet er mir die Möglichkeit, mich endlich selbst von dem zu überzeugen, was einem bisher raunend immer wieder im Internet begegnet ist: Ist das Pumuckl-TV-Serien-Reboot mit der KI-Stimme von Hans Clarin möglicherweise mal kein Fail der Öffentlich-Rechtlichen? Ach, Moment, die GEZ-Armee der Verdammten kann ja gar keine Aktien in dieser Story haben, die läuft auf RTL+. Ein Umstand, der einen nun auch nicht viel weniger skeptisch hinsichtlich eines positiven Ergebnisses macht. Aber Absender der Sendung sei, wer mag: Die Wahrheit liegt in der Schreinerei, schauen wir dort also mal rein …

Pumuckl und Pop

Jetzt gleich schon zum Aufhänger selbst kommen? Kennen wir uns? Natürlich ziehe ich vor einer solchen Klimax noch ein paar Querverweise aus dem Hut. Kolumnentaschenspielertricks sind mein Leben. Schließlich ist der Musikexpress ja auch nicht die TV Spielfilm für Retro-Opfer oder Vorschüler:innen. Der Musikexpress ist ein knallhartes Popmagazin, könnt ihr jede:n fragen!

Daher schreiten wir nun mal ein paar Milestones und Kuriositäten ab, die die Figur des Pumuckls in die hiesige Popkultur genagelt hat. Vorweg aber noch Folgendes, sehr Basales gesagt – Klaubauter-Ultras bitte diese Sätze überspringen: Der Pumuckl ist eine Figur aus dem Werk der in Stuttgart geborenen Autorin Ellis Kaut (*1920 – †2015). Vor allem in den 60er- und 70er-Jahren schrieb sie die Geschichten des kleinen Kobolds, ähnlich produktiv war sie nur noch für ihre Figur „Kater Musch“, die allerdings weit weniger im kulturellen Kanon verhaftet blieb. Den markigen Namen Pumuckl entlehnte sie übrigens einer Bezeichnung, die ihr Mann einmal verpasst hatte.

Was wir brauchen, ist ein neuer Kanon der Popmusik

Eurodance und Pumuckl

In der Rückschau scheinen die Neunziger Jahre MDMA im Blut und Dollarzeichen in den Augen gehabt zu haben – besonders wenn es um schnelle Hits und Video-Airplay ging. Die aufgekratzte Infantilisierung trug einen Namen: Eurodance. Wobei sich die ohnehin fragwürdige Qualität und Sorgfalt der dazugehörigen Tracks immer mehr ins homöopathische verabschiedete. Daher hieß das Genre bald auch eher: Eurotrash.

Der Erfolg von Dolls United („Eine Insel mit zwei Bergen“) tat das Übrige. Jener Act hatte sich mit billigen Beats und hirnerweichenden Ballaballa-Lyrics in die wohltemperierte Augsburger Puppenkiste erbrochen. Das war im Herbst 1995 – und statt dass den Macher der Prozess gemacht wurde, machten sich immer noch debilere Acts über den Kinderlieder-Kanon her.

Es folgten Schlumpfentechno-Platten sowie Songs über Ernies Quietsche-Entchen, die Fetzsteiner vom Knax-Club der Sparkasse und auch Pumuckl blieb nicht verschont.

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10 Eurodance-Hits der 90er, die es auf Platz 1 der Charts schafften

1997 widmete sich ihm ein niederländisches Projekt, dessen CD-Single unter dem Titel lief: Pumuckl „Hurra, Hurra, der Pumuckl ist da“ – das Stück kam dabei nicht ohne eine Dolls-United-Remix-Version aus. Ein Jahr später dann: Pumuckl „Ich bin ein Kobold“. Darauf findet sich neben der damals obligatorischen Karaoke-Version auch der Track „Juhu“. Ja, Musik kann manchmal eben auch wehtun – und damit ist nicht zwingend nur Deathcore oder Noise gemeint. Auch manche Melodien sind gifitg.

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Pumuckl und HipHop

Ein wenig weniger verrottet geht es dort zu, wo dem ja ohnehin selbst am Anschlag zum Grellen performenden Pumuckl entspannte Beats beigegeben werden. Auch hier ist eine KI im Spiel, wenn sie den Münchner Hinterhof der TV-Serie mit dem verstorbenen Notorious B.I.G. in dieselbe Welt setzt.

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So groß ist der Einfluss von The Notorious B.I.G. auf die deutsche HipHop-Szene

Aber bei aller Liebe (lies: Hass) für den aktuellen Hype um Künstliche Intelligenz auch im Popbetrieb ist mir dann doch dieser reale und weit konkrete Brückenschlag lieber. Er greift dabei schon vor auf die wiederbelebte RTL+-Serie. Dort taucht bereits in der zweiten Folge „Pumuckl wird verschenkt“ ein Paketbote auf – und dessen Gesicht … das hat man doch schon mal gesehen. Ist das nicht? Genau. Ekrem Bora alias Eko Fresh bekleidet eine wiederkehrende Rolle in dem aktuellen Pumuckl-Reboot. Wobei sich der ehemalige Sidekick von Kool Savas beziehungsweise einstige „König von Deutschland“ sogar zitieren lässt mit „Pumuckl war als Kind meine Lieblingsserie!“

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Pumuckl und Marius

Welchen Musiker auch eine Geschichte mit dem Pumuckl verwebt, ist Marius Müller-Westernhagen. Bitte wer? Marius Müller-Westernhagen. Fragt mal in der Familie rum. Eure Großeltern werden sich sicher noch mit Schrecken an den „frechen Schlaks“ erinnern. Apropos Pumuckl, Westernhagens Musik wirkte übrigens auch immer wie schief gelaufene Streiche. Aber vermutlich waren „Sexy“ oder „Dicke“ damals ernst gemeint.

Jener MaMüWe, wie man ihn heute sicher wegen Zeichenbegrenzung auf X nennen würde, sprach ein Gastrolle bei der WDR-Serie „Immer dieser Fizzibitz!“. Gut, jetzt fragt man sich zurecht, wo ist denn da der Bezug zu Pumuckl? Nun, es ist ganz einfach beziehungsweise nicht wirklich einfach, denn Fizzibitz führt uns zum Thema Formatentwicklung beim WDR – und die ist dort von jeher geprägt von viel Zufall und mindestens genauso viel Blödsinn. Grüße an Tom Buhrow, wenn er das hier liest.

Also … Anfang der Siebziger sollte der Erfolg des Pumuckls noch mal für den WDR nachgebaut werden. Denn das Original spielte in München – und Deutschland hat nicht ohne Grund für fast jedes Bundesland eigene Rundfunkanstalten. Der eitle Wasserkopf-Swag Geschmacksrichtung WDR wollte also einen Pumuckl, der nicht so bayrisch rüberkam. Und so erfand man Fizzibitz. Das war immer noch der Pumuckl aber mit anderem Namen und die Geschichten sollten die regionale Prägung des Rheinlands versprühen.

Überraschenderweise funktionierte das dann aber nicht und Fizzibitz blieb nur die gescheiterte kölsche Fußnote der Pumuckl-Historie. Eine Nebenrolle in der Serie bekleidete – ihr ahnt es – Marius Müller-Westernhagen.

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Paulas Popwoche: „You can’t sit with us!“

Pumuckl TV

Zefix noch mal! Pumuckl TV … Das gab es ja auch – und zwar gar nicht mal kurz: Kinderkanal 1995-2007. Aber wer zur Hölle waren Just Friends, deren eines Bandmitglied 1996 die Moderation der Show übernahm (siehe Ausriss aus einer Pop Rocky jener Zeit)? Ach, stimmt, Just Friends, das war diese Boy-Girl-Group, die über eine Residency bei GZSZ an den Markt gehoben werden sollten. Die Neunziger – ein crazy Jahrzehnt mit Pfiff!

Powermuckl und Powermetal

Das Eröffnungsthema der Serie, „Hurra, Hurra, der Kobold mit dem roten Haar“, ist dabei so bekannt, man könnte es in alle möglichen Genres überführen. Ein Musiker tat dies sehr exemplarisch und machte aus dem Klassiker eine Powerwolf-Version. Powerwolf, das sind eine erheblich erfolgreiche und auffällig symphonische Metalband aus Saarbrücken mit immerhin zwei Nummer-Eins-Alben. Aber auch ohne ihr „We Drink Your Blood“ zu kennen, macht dieses Kobold-Tutorial Spaß.

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Pumuckl und Fan-Fiction

Vom Nerd-Accessoire zum langlebigen Kult-Item … der Comiczeichner Christopher „Piwi“ Tauber trägt nicht nur Sorge für die offiziellen Drei Fragezeichen Graphic Novels, sondern hat dem Pumuckl dessen vielleicht kreativste popkulturelle Verwurstung beschwert: das bildreiche Kurzgeschichtenbuch „Motör Eder und sein Truemuckl“. Das Gespann aus Schreiner und Klabauter wird hier einfach in eine Parallelwelt übersetzt, in dem es ein Metal-Duo darstellt. Da die bekannten Zuschreibungen aus der Ellis-Kaut-Welt erhalten bleiben, passt der Shift scheinbar perfekt. Als wäre es nie anders gewesen. Der Truemuckl müht sich am Dosenpfand-Automat und es gibt Ärger wegen verschwundener Gitarren. Mehr Liebe für Metal und für diese unheilige Liaison zwischen Eder und Kobold kann es nicht geben. Das macht dieses Büchlein auch so charmant.

„Neue Geschichten vom Pumuckl“

Okay, besser als diese Hommage von „Piwi“ wird’s nicht mehr, dann schwenken wir also nun auch mal ins Hier und Jetzt ein. RTL+ hat die legendäre Serie aus den Achtziger Jahren mit Gustl Bayrhammer als Meister Eder und Hans Clarin als die Stimme des Pumuckls wiederbelebt. Dabei spricht den Kobold nun der Kabarettist Maximilian Schafroth, aber durch einen KI-Effekt soll der klingen wie das Original.

Wer bei dieser Kurzbeschreibung nicht schon emotional ausgeparkt ist, hat echt gute Nerven. Und wird letztendlich auch belohnt. Ja, kein Scheiß, denn dieser Reboot ist tatsächlich gelungen. Mit dem Schauspieler Florian Brückner zieht ein neuer Eder in die alte Werkstatt, der Neffe des Verstorbenen. Pointiert und kindgerecht, aber genauso auch sorgsam und liebevoll werden die beiden Protagonisten schon in der ersten Folge zusammengebracht – und irgendwie ist es ein match in heaven. Auch oder gerade weil es in dieser traurigen verlassenen Werkstatt stattfindet. Natürlich ist das Ganze jetzt auch eine Hipster-Geschichte, aber so freundlich inszeniert als wäre es die ultimative Hipster-Utopie: Der junge, bärtige Eder sieht sich genervt von der entfremdeten Arbeit im riesigen Baumarkt, alles unpersönlich und hart. Die hyper-analoge und vom toten Onkel geerbte Schreinerei ermöglicht ihm aber, das Menschliche in Arbeit und Alltag zurückzuerobern. Der Pumuckl ist ein Bonus. Interessant aber auch wie gleich die erste Folge („Koboldsgesetz“) die Klassenfrage stellt oder einen zumindest darauf stößt, wem die Stadt eigentlich gehört. Ein reicher Senior (altes Geld) will die Schreinerei-Immobilie als Mischung aus Gimmick und Spekulationsobjekt für seine Enkelin erwerben. Die einen können sich die Mieten in den Städten nicht mehr leisten, die anderen konzentrieren immer noch mehr Eigentum und Kapital auf sich. Für den Reboot von Pumuckl eine faszinierende und nicht total naheliegende Kulisse. Die Serie ist natürlich nicht als subversive Kapitalismuskritik für Kids angetreten, aber dennoch weiß man zu schätzen, dass hier immer mal am Käfig gerüttelt wird.

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Und wie sich der verkrachte Baumarkt-Dude und der quasi verwitwete Kobold finden und gegenseitig gut tun, tut einem auch als Zuseher:in gut. Dazu stimmen Tempo, Dialoge, Witz und Skript. Ein Vierklang der Unmöglichkeit bei deutschen Produktionen, wie man eigentlich denken würde. Und doch ist es wahr. Die Hans-Clarin-Gedächtnisstimme mit KI-Flavour irritiert erstmal mehr als dass sie fasziniert, aber auch hier wird letztlich der richtige Ton getroffen.

Die ersten 13 Storys „Neues vom Pumuckl“ aktuell bei RTL+. Ich kann’s einfach nur empfehlen.

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PS: Am liebsten hätte ich hier noch die Reise zum Pumuckl-Museum dargelegt – und warum jenes einst von Barbara von Johnson, der einflussreichen Zeichnerin des Pumuckls, verklagt wurde. Doch die Kolumne ist schon wieder voll!

Wer mich aber tatsächlich noch mehr über den prominentesten Kobold mit Punk-Attitüde reden hören möchte, sei darauf gestoßen, dass ich gemeinsam mit der Ellis-Kaut-Expertin Katharina Schmidt eine Podcast-Folge zum Thema bestritten habe: Bei „Ausnahme der Rose – der Podcast über Hörspiele“.

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Also: Versteckt euch gegenseitig die Feilen, schmeißt die Spekulanten aus dem Viertel und glaubt an Märchenwesen. Es kann nur besser werden!

Autor und Kobold (irgendein Eistee, der sich die Lizenz geleistet hat inklusive)

Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte im Überblick.

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