Wenn Träume wahr werden


In Deutschland gibt es eine recht überschaubare Anzahl von Bands, die Dank ihres Standings und ihrer Livequalitäten schier jede Halle füllen können, die man ihnen zur Verfügung stellt. Diese Bands sind jeweils Marktführer in einem bestimmten Segment, teilweise auf Lebenszeit. So flößen die Toten Hosen der gefühlten 15. Generation von pickligen Bierzelt-Punks Bommerlunder und Jägermeister ein, damit sie ja keine Mädchen ansprechen müssen. Die Ärzte bringen der 20. Generation von Teenies bei, daß man auch als Teenie zwei bis dreimal im Jahr was zu lachen hat. Jüngere Phänomene sind die Böhsen Ossis aka Rammstein und die Guten Wessis aka Tocotronic. Doch beschränken sich die großen Erfolge dieser Bands auf den deutschsprachigen Raum- außer bei Rammstein aufgrund eines im Ausland obskuren Verständnisses von deutscher Folklore.

Vor einigen Jahren nun grätschte das „mobile Reggae-Sondereinsatzkommando“ namens Seeed mit Pauken, Trompeten und Soundsystem in diese Phalanx deutschen Rock-Handwerks und erklärte den Jungs, wie man denn nun die Mädchen anspricht. Just als das tanzende Volk sich vom großen Techno-Kater erholte, plazierten Seeed ihre Version eines deutschen Dancehall-Rootsreggae-Mischmasch. Und sie groovten sowas von, daß man selbst notorische Tresensteher auf ihren Konzerten tanzen sah. Der Aufstieg der Band verlief rasant. Schon 2001 verschwand der Berliner Mauerpark unter den Menschenmassen, die zu einem Konzert mit freiem Eintritt strömten. Mittlerweile jetten Seeed für einen Showcase mal eben so um den halben Erdball. Aus der wilden Spaßtruppe ist ein expandierendes Unternehmen mitweltweiten Ambitionen geworden. Das dritte Album steht in den Läden, und wie schon von Misic Monks wird es auch eine internationale Version geben. Der stets gut gelaunte, gedreadlockte Frank Delle aka Eased erklärt die Stoßrichtung. frank: Wir haben erst mal wild um uns geschossen, nämlich nach Italien, Spanien, Slowenien, Frankreich, Schweden, Österreich. Und haben dann gemerkt, daß wir uns konzentrieren müssen auf- England. Das ist einfach das Kulturzentrum Europas. Wenn da was passiert, nehmen es auch andere Länder an. Aber es ist sauschwierig. Obwohl wir diesen Riesengig in Glastonbury hatten, wo uns auch viele von der Plattenfirma abgefeiert haben, legt noch keiner Geld auf den Tisch. Sie erkennen uns als geile Liveband an, wissen aber nicht, ob das auch Platten verkauft. Und davon leben die nun mal. Wir als Band haben die Gigs als Haupteinnahmequelle. Für die ersten beiden Alben haben wirzwar Gold bekommen. Aber wenn man bedenkt, daß wir gerade mal 24 Prozent vom Verkaufserlös erhalten, werfen unsere mittlerweile guten Livegagen in Deutschland weitaus mehr ab. Insofern besteht da ein Interessenskonflikt. Sieht aus, als müßten wirnoch etwas Live-Arbeitverrichten.

Inwieweit könnt ihr solche Entscheidungen selber beeinflussen?

Wir haben bereits zum zweiten Mal das Management gewechselt und haben jetzt das „Hammer-Power-Management“, wie wir es so schön nennen. Der Mann hat noch leuchtende Augen und sieht, was man da noch alles holen kann. Er hat natürlich auch mit dem wilden Elferhaufen zu kämpfen. Da geht nun mal nicht immer alles so einfach, wie es auf der Bühne aussieht. Aber um den nächsten Schritt ins Ausland zu machen und irgendwann den Traum zu erfüllen, daß man für ein Konzert von Berlin aus mal eben nach New York oder Australien fliegt, daß man sich eben nicht den Arsch abspielen muß weltweit, sondern noch Zeit hat für seine Familie – dazu braucht man ein gescheites Management, Booking-Agentur, Plattenfirma. Obwohl: Die sind wir vielleicht auch bald selber. Einen eigenen Verlag haben wir schon gegründet. Also alles Schritt für Schritt.

Ein Schritt war auch die Verabschiedung vom diktatorischen Prinzip. War die Band davor vor allem das Werk von Leadsänger Pierre, bildeten sich diesmal kleine Produktionsteams, die Riddims zusammenbastelten und an Melodien und Effekten rumschraubten. Mit diesem Riddim-Pool im Gepäck zogen sich die drei Sänger im März diesen Jahres zum Texten in die Berge Jamaikas zurück, auch um an Übergängen zu feilen und das Patois zu verbessern. Zurück in Berlin, mußte das Material vor dem Gremium also der Band – bestehen. Ein Vetorecht gab es nicht. Diese Wandlung zum Kollektiv tat dem neuen Album gut. Wirkte music monks teilweise etwas zusammengeschustert und ohne rechte Hits, scheint Next! mit Hingabe und Lust gemacht. Mein deutscher Lieblingsplattentitel aller Zeiten greift auch hier: Außen Tophits, innen Geschmack.

Den karibischen Markt pflegen Seeed von jeher. Es wurde wieder ein Riddim-Sampler erstellt, diesmal vom Track „Rodeo“ (Germaican/Groove Attack), auf dem solche angesagten Künstler wie Elephant Man und Sizzla ihre Versionen abliefern. Solche angesagten Hype-Riddims laufen ständig auf Dances. Die DJs juggeln die Versionen rauf und runter, das heißt, jeder Toaster bekommt ein oder zwei Strophen, dann wird rewinded und der nächste kommt dran. Auf diese Weise kann ein Song auch schon mal über acht Minuten abgefeiert werden, was dann eine ganz eigene Dynamik entwickelt. So hy pen sich die Künstler gegenseitig, und natürlich steht auf dem Samplerauch der Name Seeed.

Was sagen die jamaikanischen Größen eigentlich zu eurem Sound?

Wir haben als Deutsche so einen schlechten Ruf als Musiker. Wir können Autos bauen und Technik entwickeln – aber wir haben keinen Groove und können schon gar nicht Reggae spielen. Natürlich bekommen wir einen Exoten-Bonus, wenn wir es besonders gut machen. Ich kenne das als Mischling, wenn mir einer sagt: „Na, du kannst aber gut deutsch. „In Südafrika waren wir im Radio-Studio und der Moderator konnte das gar nicht glauben, (in Patois) „German Band. But you look like me with dreadlocks and blah.“ Genau, und bei uns glauben sie, ihr Afrikaner springt auf Bäumen rum. Wir haben mit Seeed die einmalige Gelegenheit, den schlechten Ruf deutscher Musik im Ausland zu bekämpfen. Ich bin im Alter von sechs bis zwölf in Ghana groß geworden. Bin dann nach Deutschland gekommen, habe eine Band, und werde damit vom Goethe-Institut nach Afrika geschickt, um die deutsche Kultur zu verbreiten. Das ist doch geil. Und Deutsch ist ja gerade in seinen Dialekten spannend. Ich spreche ja eher Hochdeutsch als Pierre, der mehr berlinert. Aber wenn der Flow stimmt, ist die Sprache gar nicht so wichtig.

Die Inhalte auch nicht? Da dreht man sich bei Reggae/ Dancehall doch irgendwann im Kreis.

Doch, die sind uns sehr wichtig. Vor allem authentisch müssen sie sein. Es macht für uns nun mal keinen Sinn über die Befreiung Afrikas zu singen oder über Haile Selassie. Wir machen vielleicht nicht die Texte, die viele von uns erwarten, nämlich irgendwelche politischen Botschaften zu verbreiten. Die politische Aussage von Seeed steckt schon in der Band. Da muß man nicht gegen Rechts singen oder für Multikulti – das sieht man. Dit is Berlin, und wenn man in diesen Topf reingreift, kommt eben so eine Truppe wie unsere dabei raus, die Leute von überall beinhaltet. Ich muß darüber nicht singen, ich bin das. Aber so eine Geschichte, daß man ein heißes Girl sieht und denkt: Mann, ich bin zwar verheiratet, aber die würde ich gern mal … sowas bewegt uns. Oder der Leistungsdruck, den wir alle so kennen, ob man nächstes Jahr noch genug Jobs hat, um die Miete zahlen zu können.

Kennt ihr etwa noch solche Ängste ?

Wir sind alle Freiberufler. Das heißt, in jedem Moment kann alles vorbei sein. Und zwar wenn wir uns streiten. Dann ist Seeed Geschichte. Und dann? Ich bin Toningenieur und kann zurück in den Beruf. Aber du brauchst wieder die Kontakte, mußt warten, bis dich einer anruft. Das heißt, die Angst ist immer da.

Trotzdem glaube ich, daß ich es schaffen kann, daß ich schlau genug bin. Wir sind auf der richtigen Seite geboren, on the right side of the fence. Und es ist so ein Privileg, sein Hobby zum Beruf zu machen und davon auch noch seine Miete zahlen zu können. Aber dieses Gut ist allen auch bewußt, und natürlich will man es behalten. Und deswegen geht man Kompromisse ein. Das ist mittlerweile so ein großer Dampfer, der da fährt, eine Firma, da geht nicht alles nach meiner Laune.

Kommt euch das eigentlich noch immer wie ein großer Traum vor?

Absolut. Als wir im vergangenen Jahr zum Abschluß der Tournee in der Wuhlheide gespielt haben, bin ich vor dem Konzert noch da rumgelaufen und konnte es gar nicht fassen. Wir spielen hier in meiner Heimatstadt auf dieser Riesenbühne. Mann, davon habe ich als Kind geträumt.

www.seeed.de