Der böse Mann entdeckt sein Herz. Bei der australischen Gruppe Birthday Party spielte Nick Cave den besessenen Berserker, heute singt er die Lieder seiner Väter.
Als Elvis Presley „In The Ghetto“ aufnahm und damit in die Charts gelangte, war er für viele Fans endgültig zum Schnulzenbaron degeneriert. Presley ist einer der erklärten Helden des Australiers NICK CAVE. Er nahm seine Version von „In The Ghetto“ vor zwei Jahren auf.
Seine Vorliebe für seelentiefe Folk-Balladen über gescheiterte und verfolgte Existenzen, ausgestoßene „Feinde der Gesellschaft“, sein Mut zum Schwulst und extremen Gefühlsäußerungen ist nie so deutlich geworden wie auf seiner neuen LP KICKING AGAINST THE PRICKS — einer Platte, die dem Balladen-Klischee neuen Tiefgang verleiht. Vorbei sind die Zeiten, als Nick brüllend und schreiend über die Bühne tobte, hinter sich das musikalische Inferno der Birthday Party, jener australischen Extremisten, die alle rebellischen Elemente der Rock- und Wave-Musik zu einer unerhörten, vor Adrenalin platzenden Mischung verarbeiteten.
Wer heute Songs wie „The Folksinger“ oder „The Carnival ls Over“ hört, würde dahinter nie diese ausgemergelte Gestalt mit dem ungestümen Haarschopf und den großen fragenden Augen vermuten. Doch er ist ein geborener Sänger. Und wie andere große Sänger leiht er seine von samtener Wärme zu spitzen Nadelstichen wechselnde — Stimme jenen Songs, die er für würdig hält, seinem Publikum vorzustellen. Aber ist es die Leidenschaft für diese Songs, die es ihm verbietet, modern-verpopte Cover-Versionen daraus zu machen. Nick sucht die glasklare Gefühlsäußerung — deshalb singt er „Something’s Got A Hold Of My Heart“ oder „Hey Joe“ und würde sich auch keinesfalls scheuen, Tammy Wynettes Superheuler „Stand By Your Man“ zu covern. Nicht daß ich der Aussage des Songs zustimme oder sonstwie dahinterstehe — aber ich liebe ihre Stimme. Es ist eine Aufnahme, die einfach bewegend ist. „
So ist KICKING AGAINST THE PRICKS vielleicht der beste Einblick in die Persönlichkeit dieses Sängers aus Leidenschaft. Dennoch ist diese Platte nur Zwischenstation: Ein neues Album mit eigenen Songs ist bereits so gut wie fertig und wird auf der kommenden Tour vorgestellt werden.
