Wie die US-Country-Band Little Big Town mit „Girl Crush“ einen Skandal evozierte
Schwule Mädchen! Jochen Overbeck in seiner Popkolumne „Nummer Eins“ über Platz 1 der Billboard Hot Country Songs vom 30. Mai 2015: Little Big Town - „Girl Crush“
Die nicht oft genug zu lobende Schweizer Popgruppe Die Aeronauten behauptete einmal: Mit dem Alter fängt man an, sich für Countrymusik zu interessieren. Der Autor dieser Zeilen, der langsam ein Alter erreicht, das durchaus als hoch zu bezeichnen ist, kann das prinzipiell bestätigen, möchte aber eine Fußnote setzen, die aus Gründen der Lesefreundlichkeit direkt in den Text integriert wird: Countrymusik ist dann interessant, wenn sie Brüche aufweist, wenn sie Freiheit postuliert, die auch die Freiheit des Andersdenken inkludiert und von Sehnsüchten erzählt, die nicht aus einer Vorabendserie zu stammen scheinen.
Die Musik, die die einschlägigen Radiosender in den Vereinigten Staaten ausstrahlen, ist dagegen meist kreuzlangweilig. Womit wir bei Little Big Town wären. Erfolgreiche Band. Supererfolgreiche Band. Kommen aus Alabama im Süden der USA. „Girl Crush“ ist nun seit Wochen die Nummer eins der amerikanischen Country-Charts. Musikalisch ist der Song nett bis egal. So eine 50er-Jahre-Ballade mit glockenhellem Gesang, die man sowohl beim Kinderschwimmen als auch beim Tanztee der Weltkriegsveteranen laufen lassen könnte.
Aber der Inhalt evozierte, hoho, einen Skandal. Weil in den Lyrics eine Frau eine, äh, Artgenossin küssen möchte, weigerten sich einige Sender, den Song in ihre Playlist zu nehmen. Na, Donnerwetter! Dass das amerikanische Country-Establishment nicht wie in „Brokeback Mountain“ tickt, sondern eher hetero-normativ ist, überrascht kaum. Dass „Girl Crush“ abgelehnt wird, weil es scheinbar homosexuelle Liebesbeziehungen propagiert, schon eher. Die Textzeile „I wanna taste her lips, yeah, because they taste like you“ liefert schließlich die Absolution gleich mit: Im Unterschied zu Katy Perry, die in ihrem Song „I Kissed A Girl“ immerhin das Knutschen an sich ganz dufte fand, geht es hier am Ende doch wieder nur um die übliche Junge-trifft-Mädchen-Angelegenheit. Eigentlich schade.