Kolumne

Wie Doechii mit jedem Auftritt weitere Originalitätspunkte sammelt

Julia Friese widmet sich dem Phänomen Doechii.


Drei Beobachtungen:

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Empfehlungen der Redaktion

1. self deprecating sprana-songs

In den vergangenen Monaten war vor allem ein Song aus den sozialen Medien nicht mehr wegzudenken. Von Sophie Passmann über Kylie Jenner bis hin zu Madonna nutzten alle den Refrain von „Messy“ der britischen Singer/Songwriterin Lola Young, deren Lakonik an eine Lily Allen von vor zehn Jahren („Fuck you“), oder auch an eine Soko („I’ll kill her“) von vor fünfzehn Jahren erinnert. Das Konzept sieht Teenagerzeilen vor, gesungen von einer Person, die faktisch kein Teenager mehr ist: „I get what you‘re sayin‘ / I just really don‘t wanna hear it right now / Can you shut up for like once in your life?“

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Eine „Papa Don’t Preach“-Atmosphäre, die aber nicht wie 1986 strophenpoliert ist, sondern klingt wie dahergesagt, mal reintelefoniert, also eine Sprachnachricht – kurz: Sprana – die in einen Refrain mündet, der meme-able ist, sich also leicht festsetzt, sowohl im Ohr als auch auf TikTok, und insgesamt als Apologie des Mangelhaftigseins funktioniert – für alle, also für Madonna, Kylie und auch dich.

Das Sprana-artige, selbstironische Daherreden ist auch Doechii eigen, die 2025 als erst dritte Künstlerin – nach Lauryn Hill (1997) und Cardi B (2019) – den Grammy für das „Rap-Album des Jahres“ erhielt. Ihre Single „Denial Is A River“ ist ein Selbstgespräch, inszeniert wie eine Therapiesitzung. Doechii erzählt, wie sie noch 2019 von einem Typen hinters Licht geführt wurde, dann aber erfolgreich auf TikTok wurde, wie viel Geld sie machte, und sich damit aber trotzdem nicht gut fühlte, wie dark alles wurde durch Dope und Daydrinking.

Die innere Zeitgeist-Therapeutin schlägt daraufhin Breathwork, also Atemübungen, vor, in die der Song dann endet. Allerdings sind sie nicht beruhigender Natur, sondern klingen eher nach Hyperventilation. Gegenwärtig ist also Pop, der relatable vorgibt, das Leben nicht im Griff zu haben – während die daraus entstehenden Produkte das Publikum durchaus fest im Griff halten.

2. neue theatralik

Neu an Doechii ist auch, dass sie Bühnenperformances selbst als eine Hülse begreift, der man anscheinend mühelos doch noch Elemente hinzufügen kann, die nicht überstrapaziert sind. Während andere kontemporäre Sängerinnen wie Chappell Roan, trotz ihres Auftritts als Drag Queen, dennoch auf sehr gewöhnlichen, wenn nicht sogar völlig ausgetrampelten Auftrittspfaden aus bunten, übergroßen Bühnenprops, wie beispielsweise ein pinkes Pferd, dazu Background-Tänzer:innen und Tongue-in Cheek-Sexualität, wandeln, oder wie Billie Eilish auf klassisches energetisch Auf-der-Bühne-Stehen-und-Gehen setzen in Kleidung, die sonst eher mit männlichen Rappern assoziiert wurde, zeigt Doechii bei fast jedem Auftritt eine andere, seltenere Idee.

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Sei es, ihre mit sich selbst redenden Anteile als zwei über einen Zopf mit ihr verbundene Doppelgängerinnen sichtbar zu machen, mit denen sie, wie ihre Gedanken, im Kreis läuft. Oder eine Performance mit Tänzer:innen, die anmuten wie Michael Endes Graue Herren aus „Momo“ (auch: 1986) – also, Sie wissen schon, die Zeitdiebe – die auf Doechiis Laufband dann rückwärts laufen, und sich so schön synchron nach hintenüber beugen, dass selbst dem hochkarätigen Grammy-Publikum der Mund offen blieb.

3. female nerdyness als sichtbares lifting-face-tape

Ebenfalls erntet Doechii Originalitätspunkte, indem sie sich ein noch völlig ungenutztes Rap-Accessoire zu eigen macht. Haben ihre männlichen Kollegen in der Vergangenheit von Gehstöcken über Masken, Pflaster und Zahnschmuck Etliches ausprobiert, hat Doechii sich ein Accessoire zu eigen gemacht, das seit circa fünf Jahren fast unsichtbar en vogue ist. Es handelt sich um Face-Tape, das an den Schläfen angeklebt wird und für gewöhnlich mit einem Band unter dem Haar fixiert wird, um den Effekt eine Liftings nachzuahmen. Die Gesichtshaut wird seitlich nach oben weggezogen, ein katzenartiges Auge entsteht: Lady Gaga, Charli xcx und Katy Perry nutzen es, aber eben überschminkt und versteckt. Doechii trägt das Face-Tape sichtbar wie eine Bügelzahnspange. Ist das nicht gleichsam wunderbar weiblich-nerdy – wie auch messy?

Diese Kolumne erschien zuerst in der Musikexpress-Ausgabe 4/2025.