Willy De Ville – Victory Mixture


Abgeschoben, ausgemustert, unerwünscht: Es sah nicht gut aus für Willy de Ville. Jetzt aber hat er's auf eigene Faust gepackt und ein Comeback der Extraklasse abgeliefert.

Es klingt wie ein ganz mieser Treppenwitz — und wär’s nicht so traurig-pervers, man müßte lachen: Eine der begnadetsten Rhythm & Blues-Stimmen der Gegenwart ist ohne .großen“ Plattenvertrag. Willy de Ville, der Schwierige, hat’s Beste draus gemacht: Auf einem Winz-Label, das — dem Himmel sei Dank — importiert wird, meldet er sich zurück — mit einer rundum bestechenden Klassepartie. Nicht mehr im pomadig-dramatischen Böller-Sound (wie anfangs mit Produzent Jack Nitzsche), ohne allzu glattgebügelte, megaschöne Einlullungen (wie zuletzt mit Produzent Mark .Ich spiel‘ auch gern mit“ Knopfler).

Willys Assistenz rekrutiert sich diesmal aus der absoluten Musiker-Creme von New Orleans, als da wären: Allen Toussaint, Mac Rebennack (alias Dr. John) und Mitglieder der schon legendären Meters. Alles ist pechschwarz, sämtliche elf Titel schwitzen vor Glut, die geradezu sensationelle Instrumentierung glänzt durch äußerste Sparsamkeit. Und mittendrin im Gebrodel: unser Willy, der Unverwüstliche. Die einzigartige Stimme (kein Zweiter auf diesem Globus bringt solche Töne hervor) ächzt und knarzt und gurrt und schnurrt, sie persifliert Champion Jack Dupree und verkapptes Reggae-chunko-chunka. Und wenn der Dürre vollfetten Südstaalen-Dialekt hervorquetscht, dann fliegt endgültig die Kuh, dann lugt die brennende Seele schon fast zwischen den Brilli-Schneidezähnen hervor. Und du fühlst gegen den Wind: Da gibt einer nochmal alles und trifft mit R&B-Fieber ins Schwarze. Wer auf supercoolen schottigen Sound kann, auf springlebendige Solisten-Fterfektion und auf Gesang von anderen Sternen, der muß hier ganz einfach zugreifen — bei einer Scheibe, die anfangs stellenweise sperrig und holperig wirken könnte, die sich aber nach jedem Durchlauf mehr und mehr auch dem vielleicht nur halbwegs geneigten Ohr zu erschließen beginnt.

Willy de Ville hatte den Willen, die Wut und vor allem die Qualität für eine Rückmeldung der spektakulären Art; für eine Rückmeldung, die ebenso eindrucksvoll geriet, wie die des (ebenfalls von allen Großfirmen verkannten) Graham Parker mit THE MONA LISA’S SISTER anno 1988. Möge nun Willy die mit Sicherheit jetzt antrabenden Scheckbuch-Schwenker ordentlich zappeln lassen. Sie haben es sich verdient.

WILLYS WEG

.Im 16. Jahrhundert wäre Ich gewiß besser zurecht gekommen‘, hat der Inxwischen 40ährige Willy de Ville, geboren als William Borsay, einmal geäußert. Mag sein, aber der Ober-Schlaks wurde nun mal anno 1950 in die dunkelsten Ecken New Yorks hineingeboren. Frühe Trips ins steife Britannien und ins sonnig-oberflächliche Kalifornien blieben musikalisch unergiebig — irgendwann war er also wieder in New York. Und schon bald verbreitete es sich wie ein Lauffeuer, daß da in den übelsten Kaschemmen einer auftrat, der sang wie Lou Reed und Van Morrison und über mehr „street credibilrty“ im kleinen Zeh verfügte als ein Gesamt-Sprlngsteen. Ober den schon legendären ,CBGBV-Club ging’s frischwärts: Willy’s Band, Mink de Ville, wurde zum Hit zwischen Schmacht-Hymnen der 50er und rüdem Rhythm & Blues der 60er Jahre.

Nach nur zwei Platten war ein neuer Gesangsstern entdeckt, eine brillante Integrationsfigur für die Fans aus beiden Logern, alt und neu. Doch der fällige Hype und Willys Mutation zum wandelnden Giftschrank forderten ihren Tribut: Die Band brach auseinander. Die Plattenfirma gab ihren Senf dazu, Indem sie Willys ehrgeizigstes Proekt, LE CHAT BLEU, nur widerwillig vertrieb – und ihren Künstler gleich mit. Pause, immer in der Nähe des Abgrunds.

Erste Auferstehung: 1981 bis 1983 gab es eine neue Band und zwei tolle Alben. Absturz. Zweite Auferstehung: 1985 bis 1987 nahm Willy de Ville ohne feste Band zwei weitere Platten mit vielen Top-Songs, aber auch deutlichen Ermüdungserscheinungen auf. Willy-Fan Mark Knopfler wollte helfen, bügelte aber ein wenig zu glatt. Over. Funkstille. Nichts ging mehr bei großen Componies – immer nach dem Motto: .Wer nicht maßgeschneidert und pflegeleicht, der nicht förderungswürdig.* Die alte Leier. Heute lebt Willy in New Orleans; die Koryphäen der dortigen Szene sind um ihn und haben die Qualitäten des begnadeten Sängers korrekt kanalisiert. Willy, so scheinf s, hat den richtigen Weg gefunden. Willy ist zu Haus.

WILLYS WORTE

Ober seine Idole: JdUh Hat, Blllie Holiday. Und Marlene Dietrich natürlich, die klingt wie Lou Reed. Und Lotte Lenya, die mag ich auch.‘ Über Drogen: .Ich I hatte zunächst Angst, daß ich nach meiner extremen Drogenzeit stimmlich nicht mehr in Form bin. Aber schon im Studio stellte sich alles in alter Kondition und Ausprägung wieder ein.‘ Ober Plattenfirmen: ! .Wenn die Plattenfirma nicht mehr will, dann verwandelt sich all das gönnerhafte, nasse Händeschütteln vergangener Zeiten in Typen, die ganz plötzlich erklären: Den Arsch haben wir eigentlich nie richtig gewollt. Das kann dich glatt zum Terroristen werden lassen.‘ Ober Rücktrittsabsichten: .Ist doch alles Quatsch, dann hätte ich mir ja gleich den rechten Arm abhacken lassen können.“

Über die 70er Jahre: „All die jungen Musiker konnten dieses Gitarrenlick von Eric Clapton oder Duane Allman auswendig nachspielen, und ‚ genau das hat sie gelähmt. Wie jemand, der über ein Riesenvokabular verfügt und , deshalb so spricht, daß ihn am Ende niemand mehr versteht.‘ Über seine Ursprünge: „Mit 13 hörte ich Drifters-Musik, die aus irgendwelchen Fenstern in unserer Straße dröhnte. Das war damals der angesagte Sound-Rhythm & Blues, die Ronettes, Chuck Berry, Ben C. King. All das hat mich nachhaltig geprägt.‘ Ober seine umstrittenste Plane: .Le CHAT BLEU war der Abschluß eines Zyklus, eine Mischung aus Drifters-Sound, New Yorker R&B-Gesang und klassisch arrangierten europäischen Streichern. Ich habe mein Herz, meine ganze Liebe in diese Platte gepackt.‘ Ober Louisiana: Meine Familie lebt dort unten, und dort lernte ich auch die Cajun-Musik kennen. Die Musik in dieser Region ist ungeheuer lebendig; am Mississippi pulsieren die unterschiedlichsten Sounds. New York war zum Schluß einfach zu aufregend für mich.‘