„Witzband“ macht ernst


The Horrors waren gern belächelt als lustig frisierte Psyche-Revivalisten mit Goth-Gimmick. Das wird sich mit dem unerwartet tollen zweiten Album ändern.

Ungesund dünn versinken Fans Badwan und Joshua Third in den Polstersesseln. Die Gesichter gezeichnet von der vor nicht allzu langer Zeit überstandenen Pubertät, die zarten Gliedmaßen in Schwarz gehüllt, die Haare zu kunstvoll verwirrten Bergen getürmt. Selten wohl sah eine Sensation so schmalbrüstig aus. Doch The Horrors, für die Badwan singt und Third die Gitarre spielt, sind eine Sensation – oder werden daheim in Großbritannien zumindest als potenzielle solche gehandelt. Das aber liegt nicht unbedingt nur an der Band selbst. Weder an ihrem ersten Album STRANGE HOUSE, das mit retrospektivem Garagen/Gothic-Rock 2007 gerade mal Platz 37 der UK-Charts erreichte, noch an ihrem Talent, mit zerlegten Hotelzimmern, tumultösen Auftritten und semiprominenten Gespielinnen die Klatschspalten zu füttern, auch nicht an ihrem bisherigen Image als „Witzband“ (The Guardian). Nein, dass The Horrors einmal mehr als heiß gelten, hat nicht zuletzt mit Chris Cunningham zu tun. Der Regisseur, der wegweisende Videochps für Aphex Twin und Björk inszenierte, hat erstmals Musik produziert. Und zwar zwei Songs vom zweiten Horrors-Album PBI-MARY CO1.OURS. Der mittlerweile zum Star der Kunstszene aufgestiegene Cunningham, verrät Badwan, brachte vor allem eine „kinematografische Herangehensweise“ ein. Und eine Information, die Badwan exklusiv verkünden kann: „Chris macht selber seit zehn Jahren Musik, aber ist noch nicht zufrieden genug damit, um etwas davon zu veröffentlichen.“

Für den Rest von PRIMARY COLOURS zeichnete mit Geoff Barrow ein weiterer ruhmreicher Name verantwortlich. Dass der Architekt des TripHop-Sou nds von Portishead ausgerechnet mit einer Band arbeitet, die bislang eher durch die Reproduktion von Rockklischees aus den 60ern und 80ern glänzte, findet Joshua Third gar nicht seltsam:

„Wir sind doch längst aus dem Garagen-Zeugs rausgewachsen.“ Seine Band, ergänzt Badwan, sei schon immer „auf der Suche gewesen nach anderen, beunruhigenden Sounds“.

Ähnlich eben wie Portishead, deren letztes Album THIRD nun von den Horrors mit den Mitteln des Rock quasi fortgesetzt wird: Eine düstere, drückende Atmosphäre liegt über den Stücken, in denen das Quintett aus London zwar Helden wie Birthday Party und My Bloody Valentine huldigt, aber durchaus eine eigene, moderne Sprache findet.

„Ich habe diesen Vorwurf, wir würden Popgeschichte zitieren, sowieso nie verstanden“, meint Joshua Third. „Klar sind wir eklektisch, aber das bedeutet für mich: offen sein für Ideen, eben auch solche aus der Vergangenheit.“ Tatsächlich darf man sagen: PRIMARY COLOLRS zeigt einen Weg auf, diese Vergangenheit produktiv weiterzuverwerten. Und wenn The Horrors demnächst mal was essen, kriegen sie vielleicht auch ein bisschen Fleisch auf die Knochen.

Albumkritik S. 93

www.thehorrors de