WM 2014: Die Songs zur Fußball-WM im Härtetest
Pitbull feat. Jennifer Lopez, Shakira feat. Carlinhos Brown und Mister Santos: Zahlreiche Popkünstler bekriegen sich um die diesjährige Hymne zur WM. Unser Redakteur Oliver Götz hat alle Songs für euch unter die Lupe genommen.
Noch hat in Fortaleza, Recife oder Curitiba keiner gegen den Ball getreten, aber gesungen wird schon über den Fußball, dass es eine Art hat – eine aufdringlich hitverdächtige, wenn möglich (und die Sambatrommeln nicht vergessen!). Der Musikexpress zieht sich die Schienbeinschoner drüber, geht dorthin, wo es wehtut und nimmt eine Bewertung dessen vor, was uns musikalisch in den nächsten fünf Wochen um die Ohren geballert wird.
Pitbull feat. Jennifer Lopez, Cláudia Leitte – „We Are One (Ole Ola)“
Die rasante Sambagitarre nimmt sofort eine klare Verortung vor: don’t be bräsig, be Brasilian! Doch schon kurz nach Anpfiff (der sich seuchenartig verbreitenden Tonleiter-Melodie) stampft durch „ We Are One (Ole Ola)“ die verordnete Hitparaden-House-Bassdrum wie dereinst Hans-Peter Briegel durchs Feinrhythmische, damit auch die Grobmotoriker auf der Nordhalbkugel die Hüfte dazu bewegt kriegen. Zudem fällt die Botschaft des „offiziellen 2014 FIFA World Cup Songs“ reichlich verwirrend aus: „Schwenke deine Fahne und zeig der Welt, woher du kommst – zeig der Welt, dass wir eins sind!“ Nicht nur AfD-Wähler verlangt es da nach mehr Eindeutigkeit: Entweder halten wir unseren Nationalstolz wie eine feucht gewordene Buxe in den Wind oder werfen uns alle auf einen großen, lustigen Haufen – beides gleichzeitig geht nicht!
Wann wird dieser Song eingewechselt: Vermutlich schon zur Eröffnungszeremonie.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Folgefoul!
Voraussichtliche Platzierung: Dritter
Shakira feat. Carlinhos Brown – „La La La (Brazil 2014)“
Keine Frage, Shakira ist nach ihrem weltweiten WM-Hit „Waka Waka (This Time For Africa)“ von vor vier Jahren auf den Geschmack gekommen – ungefähr genau so lange ist die Kolumbianerin ja nicht mehr nur Weltstar, sondern auch noch Spielerfrau des spanischen Nationalverteidigers Gerard Piqué. Kein Mensch nimmt ihr also übel, wenn sie ihre bislang eher leidlich erfolgreiche Single „Dare (La La La)“ (Stichwort „Tribal-House“) mal eben auf die üblichen Kicker-/Kämpfer-/Kollektiv-Gemeinplätze umdichtet und im Video frisch blondiert und barfuß wie der Frühling zwischen Lionel Messi, Neymar, ihrem Boyfriend und anderen hochdotierten Ballsportlern sowie einem reichlich morastigen Soccerground herumderwischt. Fußball-Kunststückchen kann sie auch. Dass sich in einem allerdings fast gar nichts aufbäumen mag gegen das nächste „La La La“, das einem in der Gewissheit um die Ohren gehauen wird, dass nur Säuglingssprech wahre Welthits garantiert, zeigt uns: Wir haben längst alle schon eine Dauerkarte im Stehblock des Stumpfsinns gelöst.
Wann wird dieser Song eingewechselt: Beim Warmmachen.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Gelbe Karte wegen Trikot-Ausziehens. Anschließend Gelb-Rot wegen Schuhe-Ausziehens.
Voraussichtliche Platzierung: Mindestens zwei Plätze besser als das Team aus Kolumbien – und vier als die USA.
Santana, Wyclef Jean, Avicii, Alexandre Pires – „Dar um Jeito (We Will Find The Way)“
Wenn jetzt schon Wyclef Jean und Avicii gemeinsame Sache machen, fehlt eigentlich nur noch David Guetta und die dunkle Seite der Macht hat endgültig gewonnen. Dabei glänzt hier in der Rolle des Imperators: Sepp Blatter. Denn es handelt sich bei „Dar um Jeito“ um die „offizielle 2014 Fifa WM Hymne“. Vielleicht führt das jetzt aber auch zu weit. Rockhistorisch stellt sich eher die Frage, welche Rolle Carlos Santana bei dieser Schandtat zukommt. Man mag ihn ja nicht einmal mehr als Ricky King des Latino-Rock bezeichnen, weil das inzwischen einer Beleidigung von Ricky King gleichkommt. (Wer Ricky King nicht kennt, besser nicht googlen! Wer Carlos Santana tatsächlich nur noch als E-Gitarren-Jar-Jar-Binks kennt, werfe einen YouTube-Blick auf den Auftritt seiner Band in Woodstock und staune!)
Wann wird dieser Song eingewechselt: Beim ersten diabolischen Grinsen von Sepp Blatter.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Von allen Seiten gleichzeitig in die Beine! Da geht eigentlich nur Rot … Aber Moment, ich kriege hier auf meinem Headset gerade eine Fifa-Anweisung rein.
Voraussichtliche Platzierung: Nachträgliche Disqualifizierung ca. 2018
Mister Santos – „Das dicke, dicke Ding“
Gute-Laune-HipHop und der hiesige Sommer gehören seit vorletztem Jahr zusammen wie innerstädtische Strandbars und bizarre After-Work-Alkopops, Cro und Alligatoah usw. sei Dank. Schraubt man an diesen Sound noch eine stumpfe Pokal-Eroberungs-Botschaft dran, die sich nicht groß mit feiner Reim-Behandlung aufhält, und lässt dazu ein wenig Rotes-Teppich-Personal Marke Palina Rojinksi oder Uschi Glas durchs Video purzeln (Max Herre und der besagte schwäbische Satanisten-Pandabär mischen allerdings auch mit), sollte doch der Sommerhit gebongt sein. Nein? Aber hey, sogar Franz Beckenbauer performt mit Abendsonnen-Einstrahlung knapp über der Halbglatze zum Refrain. Könnte an „Kooperationspartner“ Mercedes liegen. Tatsache: Song und Video haben einen „Kooperationspartner“. Ah, also deshalb singen sie im Refrain immer wieder „Der Stern muss her“! Dabei ist doch an dem ganzen 36,8-Zentimeter-Weltpokal: kein einziger Stern. Und in dem ganzen 2:58-Minuten-Lied: kein Moment, den man bis auf den Weg in die Duschkabine nicht schon wieder vergessen hat.
Wann wird dieser Song eingewechselt: Wenn Oliver Kahn aus der TV-Expertenbox in den Kasten be-/gerufen wird.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Abseits! Die ganze Mannschaft!
Voraussichtliche Platzierung: Vorrundenaus
Stefan Raab – „Wir kommen, um ihn zu holen“
Man mag es kaum laut denken, aber: Der mit Ukulele und seinem Reißverschlussgrinsen bewaffnete Musikclown Raab hatte vor ein paar Jahren durchaus seine Momente. Aber jetzt ist kein Fünkchen Witz mehr übrig. Zwei weitere Versionen von „Wir kommen, um ihn zu holen“ neben dem „Original“ mit dem Gartenzwerg-Video – stereotypische Samba- und Rammstein-Parodien, die sie bei jeder Sportvereins-Faschingssitzung ulkiger hinbekommen – ziehen das Elend nur in die Länge.
Wann wird dieser Song eingewechselt: Zur öde-höhnischen Spielanalyse, einen Tag später, ohne Livebilder, auf Pro 7.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Spielabbruch!
Voraussichtliche Platzierung: Torlos Letzter
Fettes Brot – „Fußballgott“
So ganz ist diesen Dreien der Wortwitz niemals auszutreiben. Und doch waren die Brote schon mal origineller, zwingender oder auch alberner. Es ist wie bei Die Ärzte: Du kannst nicht immer 17 sein! Und 27 leider auch nicht. Mal eben ein paar Fußballer-Namen reimen („Hässler, Basler, Sparwasser!“), Stammkneipen-Gegröle, ein paar Sehnsuchts-Streicher im Refrain – das können die Hamburger. Aber eben auch um einiges besser. Am Ende bleibt „Fußballgott“ trotzdem der beste Song in dieser Aufstellung. Da ist aber ja auch keine ernstzunehmende Konkurrenz weit und breit.
Wann wird dieser Song eingewechselt: Wenn es nach dem Text geht, in der Nachspielzeit, als sichere Bank von der Bank.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Im Zweifel für den Stürmer.
Voraussichtliche Platzierung: Tipp-Weltmeister
Andreas Bourani – „Auf uns“
Ist auch ohne WM schon ein Hit – und wird offiziell auch nicht als WM-Soundtrack vermarktet. Sollte die deutsche Nationalmannschaft allerdings das Tor öfter treffen als ihre Gegner, kann man sich selbst ausmalen, dass dieser salbungsvoll von Endorphin-Feuerwerken, Unsterblichkeit und Treue-Schwüren faselnde Bastard aus Coldplay, Hosen und Xavier Naidoo auf ARD und ZDF endlos rotieren wird. Unter diesen gruseligen Umständen sei folgender gewagter Gedanke erlaubt: Würden Ghana und die USA sich nicht auch mal ganz schick im Achtelfinale machen … ? (Und in diesem Moment kommt tatsächlich die Meldung rein, dass die ARD „Auf uns“ zu ihrem offiziellen „WM-Song 2014“ erkoren hat.)
Wann wird dieser Song eingewechselt: Wenn es einen Fußballgott gibt: nie.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Schwalbe!
Voraussichtliche Platzierung: Weltmeister der Hühnerherzen
Gary Barlow feat. Gary Lineker, Wadenbeißer Spice & Tiki-Taka Spice u.v.m. – „Greatest Day“
Als Akt der Verzweiflung darf dieser popmusikalische Beitrag zur WM aus dem Mutterland von beidem – Popmusik und Fußball – gesehen werden. Keiner, der einigermaßen klar bei Verstand/gut im Geschäft ist, verbrennt sich heute noch freiwillig die Finger an einer WM-Hymne, die bis zum ersten englischen Elfmeterschießen vielleicht noch einigermaßen wohlgelitten sein mag, dann aber als ewiger Makel in der Künstler-Discographie stehen bleibt. Wenigstens verschwendet Gary Barlow hierfür kein neues Stück, sondern hat einfach nur einen Take-That-Hit von 2008 neu aufgelegt und dazu ein paar legendäre Fußballer (Gary Lineker, Michael Owen, David Seaman u.a.) und teillegendäre Musiker (Katy B, Pixie Lott, Eliza Doolittle, zwei Spice Girls u.a.) eingeladen. (Nachtrag: Der Song wurde inzwischen „ zurückgezogen“, sprich: er ist tatsächlich auch nicht mehr auf iTunes oder Spotify zu finden.)
Wann wird dieser Song eingewechselt: Wenn gar nichts mehr hilft.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Übertreten!
Voraussichtliche Platzierung: Disqualifiziert
Phrasenmäher – „Unser Jahr“
Auf dem musikalischen Niveau der (allerdings zusätzlich satirischen) 80s-Deutschrocker Geier Sturzflug versucht sich die Hamburger 3.-Liga-Kapelle Phrasenmäher ein Stück vom Sportfreunde-Stiller-Kuchen zu holen. Ist da überhaupt noch was übrig? Und wenn ja, ist der doch nicht mehr gut. An Spießigkeit in Text, Vortrag und im Wohnzimmer-Party-Video nicht zu übertreffen, ist der Refrain trotzdem ein ziemlicher Killer: „Ich denk an Rudi V, Beckenbau-er und Andi Brehme / Helmut Rahn oder Müller, Bilder für ein Leben / Wir wollen wieder weiterkomen, denken dran wie´s war / Neuer, Özil, Lahm und Klose, das wird unser Jahr“. Man kriegt diesen Unsinn nicht mehr aus dem Kopf!
Wann wird dieser Song eingewechselt: Wenn in der Eckkneipe beim Stand von 2:2 zehn Minuten vor Schluss die Beamer-Birne durchbrennt.
Wie entscheidet der Schiedsrichter: Alles, nur keine Spielwiederholung!
Voraussichtliche Platzierung: Fair-Play-Pokal-Gewinner, schnarchzapfiger