Von der „Bravo“ in die „Bauernstuben“: So treffen sich Worlds Apart mit ihren treusten Fans
Die 90er sind wieder da: Die Kellys feiern ein großes Comeback mit Album und Europatournee, Take That sind erfolgreicher denn je. Worlds Apart aber treten in einem Schnitzelhaus am Rande Berlins auf. Wir waren dabei. Ein Abend mit den Überbleibseln der britischen Boyband und ihren Hardcore-Fans, Gruppenkuscheln und Gänsekeule inklusive.
Heute, 20 Jahre, diverse Mitgliederwechsel, eine Auflösung und eine Reunion später, ist aus dieser Zeit vor allen Dingen die Erinnerung übrig: Nathan Moore, in England neben Worlds Apart vor allem als ehemaliges Mitglied der 80er-Band Brother Beyond bekannt, tingelt durch Clubs und Retro-Shows im Fernsehen, singt dort mit Kim Wilde, Jason Donovan, Spandau Ballet oder Rick Astley. Er lebt bis heute von seinem Ruhm vergangener Tage. Auf seiner Homepage wirbt der Familienvater damit, ihn für „Private Parties, Weddings, Coporate Events & Fesitvals“ (sic) buchen zu können, sein Kalender ist voll, das Titelbild seiner Facebookseite zeigt ihn vor ein paar Dutzend Frauen auf einem Festival, die für ihn eine Sitzpolonaise starten. Steve Hart, das bekannteste Gesicht der Band und, sofern Worlds Apart jemals selbst schrieben, ihr Songwriter gewesen, lebt in Los Angeles, arbeitet dort als Songschreiber, Produzent und Schauspieler und bewirbt sich selbst damit, Mitte der Neunziger mehrfach zum „Sexiest Man in Europe“ gekürt worden zu sein. Aaron „Cal“ Cooper, einst World Aparts Pendant zu dem, was Mark Owen bei Take That war, ist heute 44, hat einen 20-jährigen Sohn, verkauft seit über zehn Jahren Autos in Birmingham und tritt nur auf, wenn Moore ihn anruft, weil zum Beispiel wer in Frankreich oder Deutschland sie mal wieder gebucht hat. Wie Jasmin Mewes.
Mewes hat Cooper und Moore auf einem solchen Event im Mai in der Nähe von München gesehen, auch in einer Gaststätte. Die 39-Jährige hat in den 90ern in London gelebt und für die „Bravo“ gearbeitet, seitdem hält sie Kontakt mit Worlds Apart. Ein Fan sei sie nicht gewesen, nein. Heute schmeißt sie mit ihrem Mann Alexander Beck die „Tiroler Bauernstuben“, der den Familienbetrieb von seinem Vater übernahm. Auf der Suche nach Eventmöglichkeiten stand schnell fest, dass Worlds Apart dafür infrage kommen: „Sie machen sowas eh, sind ein bisschen günstiger als andere und singen ja auch Weihnachtslieder“, erklärt die blonde Frau mit knappem schwarzem Top, auf dem „#supergeil“ steht – das Hashtag, das gleich auch Cooper und Moore etliche Male promoten werden, warum auch immer. „Ich dachte: Das passt zur Weihnachtszeit doch ganz gut.“ Steve Hart wollte Mewes lieber nicht aus den USA einfliegen lassen, zu teuer. Dafür hätte sie aber gerne mal den Gabalier und Rick Astley zu Besuch. Erst recht zu teuer.Eine Teilnahme an der Veranstaltung kostet 89 Euro, dafür gibt es Glühweinempfang, Drinks und ein Drei-Gänge-Weihnachtsmenü. Für 139 Euro gibt es außerdem einen VIP-Platz an der langen Tafel, ein Foto und ein Autogramm – als ob irgendeine der Besucherinnen beides nicht längst mehrfach hätte – sowie noch mehr Nähe zu Moore und Cooper. Platz wäre für 120 Gäste gewesen, 50 Frauen und keine Männer haben sich ein Ticket gekauft. Wegen Gage, Flügen, Personal und so weiter ein Nullgeschäft für die Veranstalter.
https://www.youtube.com/watch?v=5xSQYuHjfh4
Die Fans wollen Nähe und Nostalgie, Worlds Apart auch
Was sind das für Frauen, die rund 100 Euro plus An- und Abreise zahlen, um ihren Idolen aus Teenagerzeiten noch einmal nahe zu sein – so nahe, wie sie es ihnen seit Jahren, die „Worlds Apart Family“ kennt sich, immer wieder mal sind? Die Gänsekeule mit Klößen, Rotkohl und Birne kostet in den Bauernstuben regulär 23,90 Euro, aber für ein gutes Essen allein sind die Fans nicht hier. Sie wollen Nähe und Nostalgie, beides werden sie bekommen.
Franzi, 31, aus Dresden, hofft auf „nette Mädels und viel Schwärmerei mit Herzchen in den Augen“. Sie weiß selbst, wie albern das für Außenstehende wirkt. Früher war sie großer Worlds-Apart-Fan. Die gefielen ihr einfach, das Aussehen, die Musik, aus Prinzip wollte sie auch nicht für die größeren Backstreet Boys sein. Cal war ihr Liebling. Vor ein paar Monaten hat sie ein Kind bekommen. Ihr Freund hat ihr die Karte für diesen Abend geschenkt, damit sie das erste Mal seit langer Zeit wieder alleine ausgehen und sich, jetzt lacht sie selbst, „wieder jung fühlen“ kann. Er wartet mit dem Baby in einem Hotel in der Nähe auf sie.
Sakuko aus Yokohama ist heute erst aus Japan angereist und fliegt vier Tage später wieder zurück. Worlds Aparts „Everybody“ hörte sie zum ersten Mal 1996 auf der „Nonstop Megamix“-Compilation „Dancemania Vol. 3“ und sah sie danach in britischen TV-Sendungen. Songs ihrer neuen Lieblingsband wurden auch im Fußballstadion der Urawa Red Diamonds gespielt, seitdem reist Sakuko immer dann zu Konzerten oder Fanevents von Worlds Apart nach Europa, wenn sie es sich zeitlich und finanziell irgendwie erlauben kann. „Ich mag ihre Chemie, ihre Musik und ihre Art des Entertainments“, erklärt sie verschmitzt lächelnd, in gebrochenem Englisch und sichtlich aufgeregt.
Ivonne ist mit Mutter Regina und ihrer achtjährigen Tochter Leonie aus Wiesbaden gekommen. „Mein Mann hat mich so kennengelernt, der weiß, dass ich einen an der Klatsche habe“, sagt die unaufgeregte 35-Jährige, die ihre Band ebenfalls seit Jahren begleitet. Wenn Moore und Cooper später auch an ihren Tisch treten, wird sie Cal mit „Schätzelein“ begrüßen, von einem früheren Treffen im Maritim-Hotel in Frankfurt erzählen und daran erinnern, wie ihre Mutter damals einen Apfelgriebs von Nathan einsammelte und zuhause konservierte – eine Anekdote, die Regina sehr peinlich sein wird. Bis dahin aber nimmt der für offenbar fast alle Anwesenden ganz normale Wahnsinn seinen Lauf.
Nathan und Cals große kleine Nostalgie-Show
Es ist sehr warm in den „Bauernstuben“. Als die Show ohne Bühne um 20.20 Uhr beginnt, wird es fast schlagartig noch wärmer. Moore und Cooper begrüßen ihre Fans in gebrochenem Deutsch, scherzen, drücken auf ihrer iPad-Playlist auf „Play“. Die Karaoke-Version ihrer Single „Baby Come Back“ schallt aus den Boxen der Anlage, die Hemmungen fallen noch während des ersten Songs: Es dauert keine zwei Minuten, da sitzt Moore singend auf dem Schoß von Sakuko. Die anderen schieben ihre Stühle beiseite und klatschen, schunkeln und singen mit. Immer dann, wenn Moore und Cooper gerade nicht lächeln, schäkern, flirten und das nächste „Girl“ persönlich begrüßen, versuchen sie sich an ein paar Tanzchoreografien aus alten Tagen oder rufen das zumindest auf Twitter heute nicht trendende „Hashtag ‚supergeil’!“. Vielleicht, weil sie das Wort lustig finden. Die Frauen lachen jedes Mal darüber.
Was folgt, sind drei Stunden Entertainment und Smalltalk. Die Rollenverteilung ist eindeutig: Moore ist der ältere Gentleman, der singen kann. Cooper ist der Spaßvogel, der sich weder für frivole Witzchen noch für seinen kleinen Bauchansatz schämt. Großes „Hallo“, „nice to see you again“, Bussi hier, Bussi da, gerne auch auf den Mund, immer wieder Phrasen und Anekdoten, man kennt sich ja, Griffe in die Hüfte oder eine Handbreite tiefer, Selfies, Engtanz und so weiter. Die Frauen, die plötzlich wieder 17 sind, wollen das so, so scheint es, Moore und Cooper, Profis ohne Schmerzgrenze, geben es ihnen. Sie, die girls, wollen „Abwechslung in ihrem Leben“, sagte Moore vor diesem Spektakel. „Wir wollen bloß eine gute Zeit mit unseren Fans haben“, sagte Cooper. Dass diese vermeintliche Win-Win-Situation derart physisch wird, war wohl nur dem nicht bewusst, der heute zum ersten Mal Zeuge dieser Show wird. #Supergeil.