Wyclef Jean


Keine Frage: Der Mann hat Haltung. Wenn auch eine seltsame. Das Interview gibt Fugee Wyclef Jean in gefährlicher Schräglage. Passt aber prima. Denn auch musikalisch ist er ein Querdenker.

Der Künstler sitzt. Was ja an sich nichts Besonderes wäre: Menschen lassen sich gerne mal nieder, wenn sie miteinander reden wollen. Und doch sitzt Wyclef lean nicht einfach so da – bei ihm funktioniert dieser an sich so natürliche Vorgang eher unter dem Motto „No risk – no fun“. Die tennisbesockten Füße hat der HipHopper auf dem Tisch geparkt, der rechte Arm hängt ebenso schlaff wie muskulös über der Lehne – und der Stuhl selbst befindet sich in einer gewagten Schräglage. In einem 45-Grad-Winkel. Mindestens. Wenn nicht gar 50. Mit anderen Worten: Wyclef lean kippelt. Möglicherweise so wie früher in der Schule – und auf jeden Fall jetzt mit Augen, die laut nach Schlafzimmer schreien. „Ich bin müde“, erklärt er bestätigend, „ich hab‘ die letzten drei Nächte im Studio in Paris gearbeitet, da ist man eben durch. You know what I mean, man?“

Aber selbstverständlich. Musiker sein ist kein Zuckerschlecken. Keine Gewerkschaft, keine geregelten Arbeitszeiten, die 35-Stunden-Woche ein Traum aus anderen Sphären. Was Wyclef Jean justament allerdings nicht davon abhält, sich nach einem solchen zu sehnen: Er gähnt. Geräuschvoll, ausführlich und mit einem Gebiss, bei dem jede Zahnarztfrau schier aus dem Häuschen wäre. Ganz zu schweigen von dem Kunststückchen, das Wyclef, erneut schwer gähnend, noch immer lässig zur Aufführung bringt: Die akrobatische Sitzhaltung ist nach wie vor bestens ausbalanciert – und bei Bedarf auch in Sekundenschnelle hinfällig. Denn urplötzlich geht ein Ruck durchs Interview. Weil Wyclef lean auf dem Tisch eine deutsche lugendgazette entdeckt hat, die einem seiner Freunde eine ganze Seite widmet. „Hey, das ist ja Beenie Man. Der Typ ist gerade mein Gott, und wir hatten viel Spaß, als wir die Single „Love Me Now‘ aufgenommen haben…was heißt das da? Dancehall träfft disch wiä darr Blätz – hab ich das richtig gelesen? Ich hab läuten hören, dass Reggae und Dancehall hier bei euch immer größer werden – stimmt das denn?“

Es stimmt. Beide Male. Und nichts als die wunderbare Wahrheit ist auch, dass die arbeitsbedingte Somnolenz ob der Nacht vor dem Morgen danach wie weggeblasen ist. letzt wird geredet. Klartext.

Beenie Man sei Dank. Und erfreulicherweise nicht nur über den Dancehall-Musiker aus Jamaika und Reggae aus deutschen Landen, sondern auch über das neue Produkt aus dem Hause Wyclef Jean wird gesprochen. Das trägt den Titel „The Ecleftic – Two Sides II A Book“, ist das Soloalbum Nummer zwei im Ouevre des Wyclef lean und auf jeden Fall anders als die Debütschallplatte „The Carnival“: weniger HipPop, mehrdeepe Beats ’n‘ Rhymes.

Ich möchte mit dem Album zurück zu meinen HipHop-Wurzeln, und da musste ich eben auch in Kauf nehmen, dass man nicht gleich mitsingen kann. Aber das macht nichts: Carlos Santana hat mit seiner letzten Platte gezeigt, dass er seine Gitarre liebt – und ich zeige mit The Ecleftic‘, dass ich HipHop liebe. Und wenn ich sage, ich liebe HipHop, heißt das nichts anderes, als dass ich meinen Job liebe.“

Geschmeidige Mitsing-Lieder wie „Guantanamera“ oder Songs mit Bee-Gees-Sample fehlen also auf der neuen Platte gänzlich – was aber nicht heißt, dass Wyclef Jean seltsamen Sounds an sich abgeschworen hat. Statt südamerikanischen Volksliedern und australischen Eunuchen tönt auf „The Ecleftic“ zum Beispiel der Country-Barde Kenny Rogers. Im Original, und so lange, bis ihm HipHop-Beats in den ergrauten Bart fahren. „Ich hab ja inzwischen die Freiheit, jeden Style aufzunehmen, den ich will“, erklärt Wyclef Jean, „und natürlich ist das mit Kenny Rogers auch Spaß. Aber ich mag Country wirklich, bin auch damit groß geworden. Meine Mutter hat früher viel Johnny Cash und Merle Haggard gehört. You know what I mean, man?!“

Aber sicher. Und ebenso sicher ist, dass es jetzt höchste Zeit ist, sich mal bezüglich der Fugees zu erkundigen. Die wurden schließlich seinerzeit von U2-Sänger Bono, einem ausgewiesenen Rap-Experten, als „Lennon/McCartney des HipHop“ gelobhudelt. Zudem verflüchtigt sich das Interview-Viertelstündchen zusehends – und außerdem hat es Wyclef Jean bei den nicht ganz ungefährlichen Aktionen auf seiner Sitzgelegenheit noch immer nicht gelöffelt: Der Betonpfeiler hinter ihm gibt nach wie vor alles gegen die Gesetze der Schwerkraft. Dennoch, was uns mehr interessiert, sind die Fugees. „Was die Band angeht, so gilt immer noch, was ich schon vor ein paar Jahren gesagt habe: Man kann ein Dreieck nicht trennen. Ich find’s ja einerseits schön, dass sich die Leute noch so viele Gedanken um die Fugees machen. Aber andererseits finde ich es seltsam, dass alle Welt immer nur das eine von mir wissen will. Was immer ich mache und schreibe, da schwingt stets die künstlerische Perspektive der Fugees mit. Aber das mit dem neuen Album wird passieren. 2001, ganz sicher…“

Eine lange, aufklärerische Rede, sicherlich. Aber auch eine, die noch nicht ganz komplett ist. Und richtig: da kommt’s. Diesmal sogar in einer verbalen Variante: „You see what I mean, man?“ Also keine persönlichen Animositäten, keine Hasskappe weit und breit, auch nicht in punkto Lauryn Hill? Immerhin hat die mit ihrem Solo-Album „The Miseducation Of…“ Wyclef in Sachen kommerzieller Erfolg weit abgehängt. Was also hält die Fugees seit nunmehr vier Jahren von einer neuen Platte nach dem Megaseller „The Score“ ab?

Wyclef Jean fährt weiter auf der Aufklärungsschiene. Schonungslos und selbstverständlich und immer noch in sitzender Schräglage: „Wir kommen einfach nicht dazu. Immer kommen andere Tourneen, andere Platten, Interviews, Filme und jede Menge anderer Kram dazwischen. Lind wenn’s um Konflikte geht, denke ich einfach, dass die Leute den Fugees zuviel Aufmerksamkeit schenken. Da haben sich die Proportionen viel zu sehr verschoben, it’s big time overestimated. Weißt du, wenn ich meinen Bruder täglich sehen würde, würde ich mich auch dauernd mit ihm streiten.“

Soweit Wyclef iean als Aufklärer in eigener Mission. Fast. Ein finales Mal muss es aber noch kommen. Aus Gewohnheit. Oder als liebenswerte Eigenart. „You know what I mean?“ Ja doch! Bleibt nur noch eins zu hoffen: Dass es Wyclef Jean später am Interviewtag nicht doch noch vom Stuhl gesemmelt hat. You know what I mean, man?