Wyclef Jean: Der weiße Magier
Wyclef Jean ist längst mehr als ein arbeitsloser Fugee. In den letzten Jahren hat er Welthits produziert, Labels gegründet und Michael Jackson einen Korb gegeben. Kurz vor der Veröffentlichung seines dritten Solo-Albums hat ihn der ME im Studio in New York besucht.
Die Augen halb geöffnet, bindet sich Wyclef Jean auf dem Dach seines Studios die Dreadlocks zusammen. Langsam schlendert er durch die hektisch Filme wechselnden und stativschraubenden Modefotografen aus Frankreich und lehnt sich über die Brüstung. Für eine Weile beobachtet er die unzähligen Taxis, die weit unter ihm am frühen Nachmittag ein gelbes Mosaik auf die 46ste Straße westlich des New Yorker Times Square zeichnen. „Weißt du, ich habe mitLauryn undPras§esprochen. Zwischen uns ist alles in Ordnung die Energie ist positiv. Nur haben sich einige Dinge verändert“, sagt er ohne aufzuschauen. Er atmet tief aus. Das Thema Fugees scheint ihm auf der Seele zu lasten. Nach nunmehr sechs Jahren resignieren langsam weltweit die Millionen von Menschen, die bisher geduldig auf ein Nachfolgealbum zu dem Ausnahme werk „The Score“ warteten. Doch seit sechs Jahren erzählt Wyclef unbeirrt, dass es kommen wird. Die Fugees, sagt er auch jetzt wieder in den Interviews zu seinem dritten Solo-Album „Masquerade“, würden nie aufhören, als Gruppe zu existieren.
Diese Beharrlichkeit verwundert – nach allem, was passiert ist. Dass der „vierte Fugee“ John Forte kürzlich einen Haftstrafe angetreten hat, die nach zahlreichen Drogendelikten von einem Gericht auf 14 Jahre festgesetzt wurde, ist noch das geringste Problem. Als 1997 die gemeinsame Fugees-Tour beendet war, gingen Lauryn Hill und Wyclef Jean getrennte Wege, die sich seither selten kreuzten. Auch wenn das erfolgreiche Projekt nie offiziell aufgelöst wurde, haben sich beide doch längst zu komplett eigenständigen Künstlerpersönlichkeiten entwickelt, die mit „The Miseducarion of…“ bzw. „Carnival“ und „Ecleftic“ derart bedeutende Soloalben eingespielt haben, dass ein gemeinsames Schaffen heute schwer vorstellbar ist. „Aber die Fugees waren nie ein Ego-Ding“, insistiert Wyclef ein wenig resigniert.“ Uns verbindet das Wissen, dass wir Erfolg nicht uns, sondern einer höheren Kraft zu verdanken haben „So weit, so gut. Doch just im richtigen Moment tauchte bisher noch jedes Mal ein profaner Grund auf, der die konkrete Zusammenarbeit unmöglich machte.
Ausreden lieferte Wyclef über die jähre zuhauf, doch nun rückt er endlich mit einem höchst interessanten Detail heraus: „Ich will ehrlich sein „, sagt er und lacht leise vor sich hin. „Lauryn und ich sind eben nicht mehr zusammen. Ich schlafe nicht mehr mit dem Mädchen aus der Band. Lauryn hat einen Mann. Wird es für ihn okay sein, wenn sein Mädchen mit Wyclef im Studio arbeitet? Das ist das Problem. Was kann ich schon machen, wenn derTyp so unsicher ist?“Der neue Song „Thug Like Me“, der im Juni auf „Masquerade“ erscheint, wird die Nerven von Lauryns Geliebtem nicht unbedingt beruhigen. „Ja, ja“, nickt Wyclef und grinst über das ganze Gesicht. „Die Botschaft ist: „Sei nicht sauer auf mich, wenn du nach Hause kommst und ich mache mit deiner Freundin gerade Frühstück. Sei sauer auf dich. Denn das heißt, dass du etwas falsch gemacht hast. Und dann ist es nur normal, dass ein Gangster wie ich in deinem Haus bei deiner Frau sein wird‘.“
Als Wyclef später in seinem Studio das komplette Album-Master vorspielt, zeigt sich jedoch, dass Macho-Geprahle und auch die anderen thematischen Dauerbrenner der amerikanischen Rap-Kultur – Zuhälterei, primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale, Autos und Geld – in seinen Texten weiterhin die Ausnahme bilden. Obwohl der neunjährige Nelust Wyclef Jean mit seinen Eltern einst als mittelloser Einwanderer aus dem bitterarmen Haiti in die USA kam und seine Jugendjahre in Sozialbau-„Projects“ und Ghettos in Brooklyn und New Jersey verbrachte, scheint er von den Reichtümern, die er seit dem Platin-Erfolg der Fugees angehäuft hat, wenig beeindruckt zu sein. Das unscheinbare Haus, in dem der eifrige Produzent und neuerdings auch Label-Chef von Booga Basement (City High) und Yclef Records (Product G&.B) sein Studio eingerichtet hat, beheimatet weder einen Pförtner noch eine ordentliche Sprechanlage. Das liebevoll gekochte „Catering“ schickt seine Mutter aus New Jersey – auch wenn ihr Kommentar zum neuen Album laut Wyclef „Buäääh“ war und sie bis heute bedauert, dass ihr Sohn seine „schöne Kirchenchor-Stimme mit Rappen versaut“.
Statt Goldketten tragen seine Kumpels Neuauflagen der „Aristotelischen Ethik“ durch die Studioräume und unterhalten sich abwechselnd auf Kreolisch, Spanisch, Französisch und Englisch. „Teure Autos interessieren mich nicht, weil ich sie habe“, versucht sich Wyclef in einer Erklärung und dreht ein bisschen lauter, um das permanente Telefonklingeln zu übertönen. „Also muss ich auch nicht darüber singen. Die anderen Rapper träumen eben noch davon. Außer P. Diddy, Jay-Z, Master P., Ja Rule und mir kann sich das niemand leisten. Die Schlitten, die du beiden Kollegen siehst – das sind alles Mietwagen.“
Um sich für den Gangster-Lifestyle wirklich zu interessieren, war Wyclef vor allem aber stets zu ehrgeizig und zu gebildet. Er war kein schlechter Schüler und nutzte seine Freizeit, um mehrere Instrumente zu lernen. Da sein Vater Reverend Gesner Jean als Priester zu Hause keinen HipHop duldete, wuchs Wyclef mit Bob Dylan, Pink Floyd und Police auf, bevor er als ungehorsamer Teenager schließlich doch seinen ersten Rap-Song schrieb. Er handelte von Nelson Mandela, den er letztes Jahr bei einer Benefizveranstaltung in Spanien traf. „Für ihn war das ein kurzes Gespräch“, lächelt Wyclef versonnen, „aber für mich war es lang. Als ich seine Hand schüttelte, spürte ich eine Energie, wie ich das noch nie erlebt habe – die gleiche Kraft, als wenn ich die Hand von Gandhi oder Steve Biko geschüttelt hätte. Ich hab von dieser Begegnung sehr viel mitgenommen.“ Von dem Treffen inspiriert ist der Song „United States Of Africa“, der laut Wyclef am 17.6. auf der europäischen Version seines Albums „Masquerade“ erscheinen wird. Bei Redaktionsschluss konnte das noch nicht verifiziert werden.
Auf der US-Ausgabe war für Politsongs über Afrika jedenfalls kein Platz. Als cleverer Geschäftsmann ist sich Wyclef durchaus bewusst, dass seine HipHop-Fans verunsichert sind, seit das Durcheinander auf „Ecleftic“ mit einem Kenny-Rogers-Gastauftritt und der „Wish You Were Here „-Single die Grenzen des Black-Music-Genres deutlich überschritten hat. Die Credibility, die er in den letzten Jahren als Musiker gewann, hat er auf der Straße eingebüßt – ein Umstand, der ihn enttäuscht. „Ich habe versucht, den Hip-Hoppern die Augen zu öffnen, aber die wollen manchmal nur ihre Gully-Musik“, bedauerte er kürzlich bei der BBC. Und ergänzt im Studio: „Ich bin eben nicht vorhersehbar. Ich könnte morgen ein Country-Album aufnehmen. Wenn das nicht dein Ding ist – don’t fuck with the Country! Warte, bis wieder dein Scheiß dran ist, okay?“
Doch Geduld ist die größte Starke des Musikfans nicht. Da niemand gerne wartet, bis wieder sein Scheiß dran ist, beginnt „Masquerade“ mit einigen kompromisslosen Rap-Joints, die „Street Vibe“ verbreiten sollen. Mit „80 Bars“ steht gar ein gänzlich unkommerzieller Song ohne Refrain an vierter Stelle. Doch selbst bei schrecklich credibel betitelten Nummern wie „You Say Keep It Gangsta“ fällt es Wyclef schwer, seine Musikalität im Zaum zu halten. Gegen Ende des Songs setzt ein jazziger Bass ein, die Gitarre scheint sich mit einem herrlichen ausgedehnten Feedback einem Solo entgegenzujaulen, bevor plötzlich ausgefadet wird. „Da wollte mein Musiker wieder mit mir durchgehen „, sagt er kopfschüttelnd und grinst, bevor er den für sein Dilemma so bezeichnenden inneren Dialog mit einer kurzen Schauspiel-Einlage veranschaulicht: Aber ich hab ihm gesagt: ‚Easy, easy, warte noch‘ – ‚Yo, Clef, lass mich das Gitarren-Solo spielen‘- ‚Na, Man! Das durftest du schon auf Ecleftic, justchill, das ist jetzt ein neues Album‘. Haha!“
Zu guter Letzt hat der Musiker in ihm aber doch seinen Willen durchgesetzt. Als sich Wyclef für die zweite Albumhälfte daran machte, Themen wie Krieg und den tragischen Tod seines 60-jährigen Vaters zu verarbeiten, der bei einem noch immer polizeilich untersuchten Unfall am 3. September 2001 am Garagentor von einem Wagen zerquetscht wurde, bediente er sich intuitiv der Musik, die ihm zur Zeit am nächsten steht. „Ais Musiker gehört mein Herz dem Reggae“, gibt er zu und rollt sich auf seinem Drehstuhl vom Mischpultzum CD-Player, um von „Pussycat“ – einer hysterischen Wyclef/Tom-Jones-Neubearbeitung von „What’s New Pussycat“ – zur neuen Reggae-Version von „Knocking On Heaven’s Door“ zu skippen. „Ich nenne das ‚2002 Rebel Music‘. Eigentlich fängt der musikalische Teil des Albums schon bei dem Duett mit Claudette von City High an. Da kommt die Gitarre und spielt,la-la-la‘, und du denkst: ‚Gott sei Dank, er ist immer noch… ‚Haha“, beendet er den angefangenen Sau mit einem Lachen.
Und in der Tat, Wyclef ist immer noch. Und mehr denn je. Als sich 1994 die Fugees mit „Blunted On Reality“ erstmals der Welt präsentierten, da galt der MC auf der Straße noch als wenig talentierter Pausenclown, der den Blick auf Lauryn Hill versperrte. Als „The Score“ explodierte, kristallisierte sich Wyclef als „Mastermind der besten Coverband der Welt“ heraus, was – wie der New Yorker Journalist Toure einst bemerkte „in etwa so beeindruckend ist wie bester MC in Alaska zu sein „. Erst mit der Veröffentlichung seines brillanten Solo-Debüts „Carnival“ 1997 konnte kaum mehr jemand ignorieren, dass sich der Haitianer zu einem der wichtigsten Vertreter der schwarzen Musik entwickelt hatte. Kritik konzentriert sich bis heute primär auf die Interpretationen von „Killing Me Softly“, „No Woman No Cry“ und „Wish You Were Here“. Auch wenn gerade diese Singles finanziell äußerst lukrativ waren, wäre er gut beraten, diesmal nicht das hoffnungslos übercoverte „Knocking On Heaven’s Door“ auszukoppeln.
AlS mit dem etwas Simpel gestrickten Protestsong „War No More“ die LP endet, erklärt Wyclef, dass er ein „Peace Concert“ im Mittleren Osten plant. „Ich brauche nur noch ein Team, das keine Angst davor hat, bombardiert zu werden“, grübelt er. „Wir als Volk sind jetzt gefragt – wir können etwas verändern. Ich will den Menschen Hoffnung geben. In all dem Krieg gibt es keine Musik. Wir sollten uns die Mühe machen.“
Die Fotografen sind es, die Wyclef aus seinen Gedanken reißen, als sie ihn zu einer letzten Session nach oben bitten. Die Abendsonne taucht das Dach inzwischen in goldenes Licht. „Pliehs. Küdju luhkät mie?“, winkt ein Vertreter aus Paris. Wyclef fixiert ihn ernst. „Ju smile, maybe?“, wünscht sich der Mann hinter der Kamera. „Mein Lächeln bekommst du nicht“, enttäuscht ihn der Künstler in fließendem Französisch.
„Das hab ich an Pepsi verkauft. Auf der Werbung kannst du mich lächeln sehen. Aber die zahlen mir auch viel Geld dafür. Die zahlen Britney-Spears-Summen.“ Am allgemeinen Gelächter beteiligt sich Wyclef solange nicht, bis das letzte Objektiv abgeschraubt ist. Dann grinst er, schüttelt ein paar Hände und verschwindet singend im Treppenhaus.
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