Zahle jeden Preis!
In der Schlange Stehen immer dieselben Leute an, egal ob Metallica spielen oder Placido Domingo“, sagt ein Ticketverkäufer aus Manhattan. Dort sind gute Plätze in großen Konzert-Arenen mittlerweile nur noch auf dem Schwarzmarkt erhältlich. Auch eine beschränkte Kartenzahl pro Käufer hilft da nicht. Die geldgeilen Tickethaie karren Wagenladungen alkoholabhängiger Penner heran: Für eine Flasche Billigfusel holen sie sich ihre sechs Sinatra-Karten; der Schwarzmarkthändler steht daneben, bezahlt und kassiert die Tickets gleich ein — alles ganz legal.
„Es gehl auf keine Kuhhaut mehr“, empört sich US-Promoter John Scher. Er vermutet, daß die Hälfte aller Tickets an die unerwünschten Zwischenhändler geht: „Wenn du einen Typen, der sechs Karten für ein Sinatra-Konzert haben will, nach einem Sinatra-Song fragst und ihm gerade keiner einfällt — dann weißt du, daß irgendwas nicht stimmt!“
Dabei ist der Schwarzmarkthandel mit Konzerttickets zunächst einmal ein Beruf wie jeder andere. „Das ist wie mit Kunstwerken: Wenn der Markt es hergibt und die Leute dumm genug Find, so vielßr ein Ticket auszugeben — bitte sehr“, geben sich deutsche Konzertveranstalter wie Peter Schwenkow von Concert Concept gelassen. In den USA allerdings werden Eintrittskarten derzeit zum Warentermingeschäft: Durch die landesweit vernetzten Computer läßt sich genau beobachten, I
welche Interpreten sehr schnell viele Tickets verkaufen — und dann besorgen manche Vorverkäufer ihren „Freunden“ oder „Verwandten“ schon mal 1000 gute Plätze.
„Professioneller Schwarzhandel lohn! sich nur, wenn man die Tickets lange vor dem Konzert per Anzeige verkaufen kann“, kommentiert der Kölner BAP- und Westernhagen-Veranstalter Balou das Geschehen. „Am Konzerttag kann man nicht mehr viele Karten absetzen, weil ja eh nur Veranstaltungen in Betracht kommen, die ausverkauft sind — und zu denen kommen nicht mehr besonders viele Leute ohne Karten, weil die mit Recht vermuten, daß sie sowieso keine Chance haben. „
Zudem werden die Tickets, so Balou-Kollege Schwenkow, „unmittelbar nach Konzertbeginn weit unterhalb des regulären Preises angeboten. Man muß wirklich bloß auf die ersten Töne warten. Der Schwarzmarkt in Deutschland funktioniert nur, wenn das Konzert kurzfristig ausverkauft ist, sich das gleichzeitig aber noch nicht rumgesprochen hat“, glaubt Schwenkow. „Deshalb halte ich die Leute, die in Deutschland vor den Konzerten Karten anbieten, grundsätzlich fiir Einzeltäter, die sich ihr Taschengeld außessern wollen. „
Glückliches Deutschland. Denn wenn dem so ist, leben wir hierzulande (noch) in einer paradiesischen Oase der Ehrlichkeit. Die Enthüllungen, die derzeit die Medien in den USA und England beschäftigen, sprechen jedenfalls eine ganz andere Sprache: 50 Prozent aller Vorverkauf-Tickets, so schätzt der Sprecher des New Yorker Großveranstalters John Scher, würden von Schieber-Banden abgeschöpft. Bei den gesuchten Arena-Plätzen ohne Sichtbehinderung ist der Sachverhalt noch eklatanter: 30 Prozent dieser Top-Tickets, so ein anderer Insider, erblicken nicht mal das Licht des Vorverkaufs! Doch wenn nicht über Vorverkauf und Abendkasse — wie sonst werden die Karten an den Mann gebracht?Eine Frage, mit der sich derzeit auch Rod Stewarts Co-Manager Randy Phillips beschäftigen muß. Ihm wirft die Tageszeitung „Daily News“ vor. bei vier Stewart-Konzerten in New York insgesamt 12.000 Tickets abgezweigt — und sie über Schwarzmarkt-Agenturen mit mehrfachem Gewinn verscherbelt zu haben.
Daß sich ein Manager ein Kartenkontingent zurücklegen läßt (bei New Yorker Großkonzerten in der Regel zwischen 200 und 600 Stück), ist nichts außergewöhnliches. Doch dort, wo laut Phillips „Freunde und Geschäftspartner“ sitzen sollten, trafen die Reporter der „Daily News“ reguläre Konzertbesucher an. Die einzige Irregularität bestand darin, daß sie statt 35 Dollar bis zu 210 Dollar pro Ticket bezahlt hatten! Die Karten waren offensichtlich direkt vom Veranstalter an Ticket-Schieber gewandert. „Nichts gegen Rod Stewart“, kommentierte Veranstalter John Scher den Vorfall sarkastisch, „aber nicht einmal Mutter Thema hat 12.000 Firmenfreunde in New York.“
Ein Einzelfall? Keineswegs. Ein namhafter US-Manager wird von „Daily News“ mit der Behauptung zitiert, daß Phillips ihn und andere Kollegen dazu überreden wollte, bei der konzertierten Schiebung mitzumachen. „Er sagte mir:, Wenn schon alle Veranstalter Karten verschieben, können wir das doch auch — und gut dran verdienen.‘ Er behauptete, in allen größeren Städten Kontakte zu Schwarzmarkt-Agenturen zu besitzen. Und da überall ein Mittelsmann eingeschaltet sei, könne gar nichts ans Licht kommen “ (Phillips streitet die Unterhaltung ab, hatte aber keine plausible Erklärung dafür, wie die reservierten Tickets auf den Schwarzmarkt gelangt waren.) Bill Graham, der 1991 verstorbene Nestor der amerikanischen Konzertszene, hatte sich noch vor seinem Tod vergeblich bemüht, den Ticket-Schwarzmarkt gesetzlich verbieten zu lassen. „Denn ich weiß“, so Graham in einem früheren Interview, „daß es in diesem Land Veranstalter gibt, die ihre eigenen Tickets verschieben. Wenn der Dollar im Spiel ist, sitzt die Moral auf der Reservebank.“
Auch Aerosmith-Manager Tim Collins stieß auf wenig Resonanz, als er in der amerikanischen Musikindustrie eine konzertierte Aktion gegen den Schwarzmarkt anregen wollte: „Die Raffgier ist heute so unglaublich, daß es zum Himmel stinkt. Diejenigen Leute, die sich solcher Methoden bedienen, scheffeln so viel Geld, daß sie mit keinem Argument zu stoppen sind. Es ist ein Faustschlag ins Auge der Fans.“
Collins mußte bei einem Aerosmith-Konzert in Los Angeles erleben, daß alle Karten für die erste Reihe im Schwarzmarkt-Sumpf verschwunden waren. „Als ich die Zuschauer fragte, woher sie ihre Tickets hätten, sagten sie: vom Schwarzmarkt. Für Karten, die regulär 23 Dollar kosteten, hatten sie 250 Dollar bezahlt. Ich hätte schreien können vor Wut.“
Nicht alle Manager sind da so zimperlich. In England zog sich Nathan McGough, Manager der Happy Mondays, unlängst den Zorn seiner Branche zu, als er ungeniert zugab, Tickets seiner eigenen Konzerte zu verschieben. „Wenn Schwarzmarkthändler vor einer Halle stehen, war das ßr mich immer das Indiz, daß die Band heiß und angesagt sein muß. Zu den Touts (oder auch Scalpers — so heißen in England die Schwarzmarkthändler — Red.) habe ich stets eine Geistesverwandtschaft verspürt: Sie kommen genauso aus der Gosse wie wir.“
Den Wirbel, den seine Bemerkung ausloste, hält McGough schlichtweg für pharisäerhaft:
..Fans, die sich beeilen, bekommen ihre Karte doch am Vorverkauf. Wer das verpennt, hat halt Pech gehabt und zahlt den doppelten Preis. Das nennt man Marktwirtschaft. „
Zudem, so McGough, bliebe für die Band ohnehin nicht viel hängen. „Bei einem größeren Konzert lassen wir uns vertraglich 1000 Karten zusichern. 500 davon werden an Freunde und Anhang verschenkt. Die anderen verscherbeln wir vor der Halle und bekommen so unsere Kosten wieder rein.“
Die Happy Mondays mögen zwar die ersten gewesen sein, die diese Praktiken öffentlich zugeben — die einzigen sind sie ganz gewiß nicht. U2-Manager Paul McGuinness: „Natürlich gibt es Manager und Veranstalter, ja sogar Musiker, die Hand in Hand mit den Schiebern arbeiten. Alle wissen darüber Bescheid, doch keiner will Namen nennen. „
Dire Straits-Manager Ed Bicknell weiß zu berichten, daß er regelmäßig von Schieber-Agenturen kontaktiert wird, die ihm dunkle Deals“ anbieten. „Ich hätte meine Band unzählige Male austricksen können. Ich lasse es nie zu einem konkreten Angebot kommen, aber wenn Dire Straits etwa in der Wemblev-Arena spielen, könnte ich locker 5(X) 20-Pfund-Tickets für 40 Pfund losschlagen. Das wären mal schnell 10.000 Pfund auf die Hand. „
„Mit Tickets ist das wie mit dem Wasser in der Wüste“, sagt Harry, einer von vielen „Tikket-Touts“ vor dem Londoner Wembley. „Wenn du durstig bbt, und ein anderer hat Wasser, dann bezahbt du halt jeden Preis. Klingt doch vernünftig, oder nicht?“
Also doch: Schwarzmarkthändler als ganz legale Halsabschneider?
Beleidigter Kommentar von Harry: ¿
„Moment mal, wir kaufen unsere Karten ganz regulär, entweder an VorverkaufssteUen oder direkt vor dem Konzert — und in den allermeisten Fällen verkaufen wir Tickets sogar notgedrungen unterhalb des aufgedruckten Preises. Im Moment ist nämlich höchstens eins von 20 Konzerten ausverkauft — und nur dann ziehen natürlich die Preise an. Bei Bowie beispielsweise kosteten die Karten im Von i erkauf 11,50 Pfund; ich habe welche fiir 7,50 bekommen und sie fiir 15 Pfimd weitenerkauft. Das ist doch kein Betrug!“
Zumal sein finanzielles Risiko erschreckend groß sei: „Bands aus der zweiten Liga sind problematisch. .State 808′ z.B. waren in Manchester ein Knüller, 50 Pfund pro Ticket; hier in London war ich dagegen schon froh, wenn ich noch fünf Pfitnd bekam.“ Und wie pickt sich Harry die Konzerte aus, für die er Tickets kauft?
„Instinkt. Ich guck mir alle Musiksendungen im Fernsehen an, dann kriegt man ein ganz gutes Gefiihl dafiir, wer gerade angesagt ist. Wichtig sind auch die LP-Charts. Die Singles nicht, Singles kannst du komplett vergessen. „
In England, anders als in den Staaten, machen Schwarzmarkthändler das große Geld jedoch nicht mit Konzertkarten. Als wesentlich lukrativer erwiesen sich Sportveranstaltungen. Um den angeblich fairen Geist des Wettkampfes zu wahren, entschlossen sich die Veranstalter des Wimbledon-Tennisturniers deswegen schon 1989 zu einer ungewöhnlichen Maßnahme: Jeder Käufer mußte sich damit einverstanden erklären, daß sein Ticket nicht übertragbar — und damit nicht mehr legal weiterzuverkaufen war. Gezielte Kontrollen brachten Hinweise auf mehr als hundert Kartenhändler — die sich mit diesem Deal, erstmals in Großbritannien und anders als bei Konzerten, strafbar gemacht hatten.
Der Computer könnte den Schwarzmarkt-Dealern das Leben noch schwerer machen. Denn rein technisch wäre es kein Problem, den Namen des Käufers auf jeder Karte eindrucken zu lassen. Doch das wäre nicht nur datenschutztechnisch bedenklich. Die Erfahrung in den USA mit ihrem vollcomputerisierten Kartenverkauf hat gezeigt, daß gerade Genosse Computer auch zur Ticket-Schiebung mißbraucht werden kann: Diejenigen Angestellten, die am Monitor überregional verfolgen können, welche Konzerte in welchen Städten wie schnell verkaufen, können sich diese Kenntnis von Ticketschiebern teuer bezahlen lassen.
Was natürlich wiederum voraussetzt, daß Veranstalter und Schwarzmarkthändler unter einer Decke stecken. Deutsche Veranstalter zu einer diesbezüglichen Äußerung zu bewegen, ist ein hoffnungsloses Unterfangen. Denn so wenig wohlgesonnen sie sich untereinander auch sein mögen: Bösartige Unterstellungen gegenüber der Konkurrenz möchte niemand machen.
Daß zumindest in der Vergangenheit Gerade auch schon mal Ungerade war. gilt in der Branche als offenes Geheimnis. Mehr als einmal wollen Insider in der Dortmunder Westfalenhalle z.B. 18.000 und mehr Zuschauer gezählt haben; die offizielle Kapazität liegt um einige tausend Tickets darunter. Bei völlig unbestuhlten Ereignissen wie etwa Open-airs sind die Kontrollmöglichkeiten seitens Dritter noch eingeschränkter. Richtiger: sie waren es in der Vergangenheit.
Denn durch frühere Erfahrungen gewitzt, wird im deutschen Behördenstaat inzwischen ausgiebigst „geklickert“: Der überregionale Veranstalter stellt einen Mann seines Vertrauens vor die Tür des örtlichen Konzertes und läßt — klick, klick — die eintretenden Zuschauer mit einem Zahler erfassen. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es könnte ja sein, daß der örtliche Veranstalter auf den dummen Gedanken kam, ein paar Tickets mehr drucken zulassen …
Traut der Manager einer Band dem gesamten Veranstaltergewerbe nicht über den Weg, postiert auch er — klick, klick — einen „Counter“ vor der Halle. Und der trifft dort womöglich auf den Kollegen vom Kreisverwaltungsreferat, der — klick, klick — der gleichen Tätigkeit nachgeht. Denn aus Erfahrung wurden auch die Behörden klug und schicken inzwischen Fachleute an die Front, die sich mit den Gegebenheiten der Halle und den Gepflogenheiten des jeweiligen Veranstalters bestens auskennen. Daß ihnen kleinere Fische in kleineren Hallen durch die Lappen gehen, ist indes nicht auszuschließen. Denn dort wird nun mal nicht so beinhart kontrolliert wie bei Großveranstaltungen.
Sollte es also wirklich so sein, daß — wie der Berliner Veranstalter Schwenkow glaubt, „Schwarzmarkthändler in Deutschland nur Einzeltäler sind, die sich ihr Taschengeld aufbessern“? Gegenwärtig gibt es tatsächlich keine Anzeichen dafür, daß im großen Stil manipuliert wird. Ein 300 Millionen-Dollar-Schwarzmarkt wie in den USA existiert hierzulande jedenfalls nicht.
Dem individuellen Konzertbesucher, der zähneknirschend 150 Mark für ein Nirvana-Ticket, 180 Mark für Red Hot Chili Peppers oder 300 Mark für Genesis hinblättert, kann es allerdings letztlich egal sein, über welche Kanäle die Karte in die Hand des Ticket-Dealers kam. Sein Ärger wird sich gegen den Veranstalter richten — vielleicht sogar gegen die Band.
Insofern ist es nur verständlich, wenn Veranstalter und Manager sich gegenwärtig gemeinsam und verstärkt bemühen, den Stein des Anstoßes aus dem Weg zu räumen — bevor er sich womöglich in eine Geröll-Lawine wie in den USA verwandelt.
Dazu gehört das Buchen einer ausreichend großen Halle, dazu gehört die Terminierung eines Zusatzkonzertes, sobald der Ausverkauf des ersten Konzertes absehbar ist, dazu gehören auch gesteigerte Vorsichtsmaßnahmen beim Kartenverkauf. „Eigentlich“, so BAP-Manager Balou, „geht uns die Schwarzmarktszene ja gar nichts an, weil die Karten aus der Sicht des Veranstalters und Künstlers ja ganz normal verkauft wurden. Allerdings versuchen wir aus moralischen Gründen, es den Händlern so schwer wie möglich zu machen, an größere Mengen Tickets zu kommen, weil diese Typen sich schließlich auf eine dumme Tour mit etwas die Taschen vollstopfen, wofiir sie keine Leistung erbringen. „
U2-Manager Paul McGuinness hat aber noch andere Gründe, dem Schwarzmarkt-Sumpf energisch das Wasser abzugraben: „Wenn U2 in Amerika spielt, und wenn dort viele Tickets auf den Schwarzmarkt gingen, sitzen in den ersten Reihen versteinerte Uralt-Fürze, die zwar 700 Dollar für eine Karte zahlen konnten, mit der Musik von U2 aber nichts am Hut haben. Dann war es dieser kleine Schwarzmarkt-Wicht, der nicht nur den Fans, sondern auch der Band das Konzert verdorben hat. „
Peter Maffay ließ es sich unlängst nicht nehmen, beim Vorverkauf in Hamburg morgens um Sechs seine frierenden Verehrer mit einem Schluck Kaffee aufzuwärmen. Und ihnen zu versichern, daß bei ihm nur Fans in der ersten Reihe sitzen.