ZZ Top
Noch fünf Stunden bis zum Konzertbeginn. Dusty Hill wühlt in Montreals Shopping-Center Les Cours Mont-Royal in einem Stapel schwarzer Hemden, Stückpreis: 48 kanadische Dollar. Eine Zufallsbegegnung. „Wie läuft’s mit der Tournee?“ Bestens, antwortet Dusty mit dem Rauschebart. Aber auch anstrengend: „Heute abend ist erst unser sechstes Konzert, aber es kommt mir vor, als wären wir schon seit sechs Monaten unterwegs.“
Davon merken die 12.000 bierseligen Fans im restlos ausverkauften Forum von Montreal am Abend nichts. Der Kanadier Colin James hat im Vorprogramm die Stimmung in einem 47 Minuten kurzen, aber guten Rockfeuerwerk explodieren lassen, das so manchen Headliner zum Rohrkrepierer degradiert hätte.
Für ZZ Top, das schräge Trio aus Texas, ist James indes kein Problem. Die Obermuftis des Bigtime-Boogie kämmten sich die langen weißen Barte aus, setzten die schwarzen Sonnenbrillen auf, zogen die Schirmmützen in die Stirn und fetzten auf ihren handgefertigten weißen Gitarren saubere Blues-Riffs der schönsten Sorte. Das beseitigte den letzten Zweifel: Sie liefern noch immer das beste Rock ’n Roll-Bühnenspektakel. Ob sie im Entengewatschel „Sleeping Bag“ servieren oder sich mit tänzelnden Trampelschritten über die Bühne wursteln – sie beweisen, daß guter Rock ’n‘ Roll primär Lebensfreude ausdrückt. Und wenn die drei Texaner den Blues spielen, zollen sie dem Schwermut Respekt – beispielweise mit dem Bier-Blues-Klassiker „Jesus Just Left Chicago“ von der LP TRES HOMBRES aus dem Jahr 1973 oder mit den beiden neuen Songs „My Head’s In Mississippi“ und „2000 Blues“.
Auf der Bühne sieht alles wie zufällig arrangiert und zur schieren Freude der Fans wie im Lego-Kasten zusammengebastelt aus: Die Szene ist ein mit blechernen Wracks vollgestopfter Autofriedhof. Frank Beards Drumset sitzt auf der Ladefläche eines Sattelschleppers. Eine riesige Baggerschaufel verschluckt täuschend echt wirkende Attrappen von Billy Gibbons und Dusty Hill und transportiert sie über die gesamte Bühnenbreite hinweg zu einem riesigen Müllschlucker, der die Autowracks zusammenstampft. Aus dem Stampfapparat heraus kommen zwei Blechklumpen, aus denen die Köpfe von Gibbons und Hill ragen. Die flitzen in ihren Metallldumpen wie zwei wilde Mäuse über die Bühne, bevor der Schrott auseinanderbricht und die beiden in sattroten Maßanzügen freigibt: Sie singen „Sharp Dressed Man“ – was sonst? Anschließend räumen sechs Girls mit Stahlhelm und sehr großen Brüsten unter sehr kleinen Pullovern sowie mit sehr langen Beinen und sehr knappen Höschen den Autoschrott weg, bevor ZZ Top in den Klassiker „Legs“ einsteigt.
Nach 100 Minuten kommen die Zugaben, und das Forum de Montreal verwandelt sich in einen Hexenkessel. Die 12.000 Fans sitzen, tanzen und hüpfen wild vergnügt in Gängen und auf den Balustraden. Die drei Top-Musiker donnern durch Highlights wie „Jailhouse Rock“, „La Grange“ und „Tush“. Das ist top. ZZTop.