ZZ Top: Boogie, Bärte & Boliden
Vor zwanzig Jahren begannen sie als Garagen-Band. Jetzt besinnen sich die Texander wieder auf die Wurzeln und kehren mit neuem Album in die Garage zurück. ME/Sounds-Korrespondent Wolf Kohl traf die Boogie-Scherzbolde von ZZ Top in Houston vor dem Auftakt zu ihrer Welttournee.
Dusty ezählt. Er ist mal wieder auf Achse rund um den Globus. An Ägypten, sein erstes exotisches Ziel, erinnert er sich nur undeutlich: „Böse Bengel, diese Kamele.“ Also auf nach Neuseeland: Dazu fällt ihm ein sehr guter, aber auch sehr schmutziger Witz über Schafe und die dort herrschende Frauenknappheit ein. den er im breitesten texanischen Akzent zum Besten gibt.
Und schon befinden wir uns in Japan. Dusty erzählt: „Stell dir vor, wir sitzen dort im Fernsehstudio und haben nicht den blassesten Schimmer, was auf uns zukommt. Der Interviewer stellt eine Frage in Japanisch, ein Dolmetscher übersetzt sie, wir antworten auf Englisch, der Übersetzer tritt wieder in Aktion, und dann kommt wieder der Mann dran, der pausenlos Fragen stellt. Eine hochkomplizierte Prozedur. Plötzlich flüstert mir Bill ins Ohr: „Ist dir eigentlich aufgefallen, daß die jeden Salz mit einem joijoi-joijoi beginnen und dann allmählich immer lauter werden?'“
Wenn Dusty Hill erst einmal in seinen Tournee-Erinnerungen kramt, dann läßt er sich nicht mehr so leicht aus dem Redefluß bringen. Er möchte erst noch einen weiteren Schwank aus Japan loswerden: „Als wir unsere Stevie-Wonder-Nummer brachten und alle drei mit den Köpfen hin und her wackelten, waren die Japaner platt. Sie rafften nicht, was da vor ihren Augen passierte.“
Ja. ja. lustig ist das Rock „n‘ Roller-Leben. Für Dusty Hill. Bill Gibbons und Drummer Frank Beard – das ist der Mann ohne Bart – ist die schnöde Realität jedenfalls weitaus merkwürdiger als jede noch so ausgefallene Phantasie und bei weitem witziger als alles, was ZZ Top je auf Platte. Bühne oder Video gebracht hat.
Wir sitzen im Summit in Houston, wo ZZ Top vier Tage lang die Generalprobe für ihre anstehende Welttournee absolvierten – vor 17.000 leeren Sitzplätzen, unter Ausschluß der Öffentlichkeit. RECYCLER heißt das neue, das zehnte Album der „Little Band From Texas“. Am 1. Oktober fällt im kanadischen Vancouver der Startschuß zur Tournee, und im Juni 1991 werden dann voraussichtlich sechs Sattelschlepper den gigantischen Bühnenaufbau auch nach Good Old Germany bringen. „Das Konzept der Show verarbeitet alle unseren verrückten Vorstellungen“, erklärt Frank Beard. „Unser Problem dabei ist nicht etwa der Mangel an Ideen – die sprudeln nämlich reichlich. Die Frage ist nur, wo sie exakt aufhören sollen.“ Die Elemente der „Recycler“-Show bestätigen Franks Sicht der Dinge: Die Bühne ist ein einziger Schrottplatz, auf dem sich alte Cadillacs stapeln: ein riesiger Kran und eine Schrottpresse, die aus alten Rostlauben handliche Blechpakete macht, vervollständigen das Inventar.
Sollen während der Konzerte tatsächlich richtige Schrott-Autos auf der Bühne stehen? „Sie sehen zumindest verdammt echt aus“, grins! Dusty in seinen 30 Zentimeter langen Bart. „Aber nur am Anfang. Die Schrottpresse verwandeit die Rostlauben in allerlei seltsam neue Gegenstände.“ Mehr will er nicht verraten.
Inzwischen sind es Lichtjahre her, daß Gitarrist Bill Gibbons nach Auflösung seiner Psvchedelic-Band The Moving Sidewalks mit Drummer Frank Beard und Bassist Dusty Hill ZZ Top gründete. Doch die gemeinsame Freude an endlosen Jam-Sessions haben sich die Drei bis heute bewahrt.
„Zwischen uns funkte es, als Dustx auftauchte, von der ersten Minute an“, sagt Bill. „Wir spielten gerade einen Shuffle, der sich dann mindestens 45 Minuten lang hinzog.“
Noch mehr Übung bekam das Trio, indem es als Anheizer von anderen Bands spielte, die jeweils kurz vor dem Konkurs standen. Frank Beard erklärt den Hintergedanken: „Unser Manager verschaffte uns immer die Gigs mit solchen Bands, die bereits kurz vor der Auflösung standen, aber noch ein letztes Mal groß absahnen wollten. Wir stürmten dann immer auf die Bühne und spielten uns die Seele aus dem Leib. Das war mit Mott The Hoople so, aber auch mit Alice Cooper oder Deep Purple. Diese Bands waren völlig out, wenn wir als Vorgruppe mit ihnen auf Tournee gingen. „
Die Fans der abgelieferten Stars merkten schnell, wer die Show im Griff hatte und schwenkten scharenweise zu ZZ Top um. Die Frühwerke des Trios wie RIO GRANDE MUD oder TRES HOMBRES blieben allerdings noch Spezialitäten für Hardcore-Fans. Erst als MTV das Video zu „Legs“ zeigte, leckte auch das breite Publikum richtig Blut. „Legs“ fand sich auf dem Album ELIMINATOR, das im März 1983 auf den Markt kam. Ein knappes Jahr später feierte ZZ Top 14jähriges Band-Jubiläum, und noch immer gingen allein in den USA pro Woche 100.000 Kopien von ELIMINÄTOR über den Ladentisch.
Und als gar das TV-Satireprogramm „Saturday Night Live“ 1984 ausgerechnet ZZ Top als die Spitzenkandidaten im alternativen US-Wahlkampf gegen die Präsidenten-Elite aus Washington nominierte, gaben binnen 90 Minuten 131.384 Zuschauer per Telefon ihr Votum für ZZ Top ab.
„Der typische Top-Fan der 70er Jahre war in der Regel ein bierschluckender Mann Mitte Zwanzig“, weiß Frank zu berichten. „Aber das hat sich grundsätzlich geändert. Jetzt sind es vornehmlich weibliche Teenies, zwischen 17 und 18 Jahre alt, blond und allesamt einen Meter und 72 Zentimeter groß.“
Wahrend Frank noch über die Maße der weiblichen Fans sinniert, schleppen Roadies bereits die Aufbauten für die Catch-Veranstaltung am heutigen Abend ins Summit. „Das ist der nächste Trend – singende Catcher“, wechselt Beard plötzlich das Thema. Worauf Dusty sofort einspringt, den Faden gleich noch weiter spinnt und vom zwei Meter großen Muster-Catcher Hulk Hogan erzählt, dem er einmal die Pranke schütteln durfte. Jodelnde Catcher wären eigentlich noch besser“, grummelt Frank dazwischen. Auch Bill muß nun unbedingt seinen Senf dazugeben und schlägt vor: „Oft singend oder jodelnd – auf jeden Fall müßte jeder Catcher einen Hasenfuß in der Hose tragen.“
Ach ja, die Drei sind wahrlich ein lustiger Haufen – ich lasse jede Hoffnung auf einen tiefschürfend philosophischen Diskurs über die blues-immanenten Widersprüche im Überbau der angewandten allgemeinen Hit-Theorie fahren. Dafür ist Dusty mächtig in Fahrt: „Wir könnten jeder sofort ein Solo-Album aufnehmen, und da sie auch alle gleich klingen würden, könnten wir sie dann im Dreier-Paket verkaufen.“ Klar doch.
Existentiellere Fragen drängen nach Antworten. Haben Dusty und Bill eigentlich schon mal ernsthaft daran gedacht, sich ihre langen Barte schneiden zu lassen? „Das kommt nicht in die Tüte“, protestiert Bill, „weil was drunter ist, viel zu häßlich aussieht.“ Dusty dementiert, er sähe unter seinem Bart ganz und gar nicht häßlich aus – „aber ich habe auch keinen Bock, das nachprüfen zu wollen. Und deshalb bleibt der Bart dran.“
Erst als die Sprache auf eines ihrer Lieblings-Projekte kommt, das Delta Blues Museum in Clarksdale, US-Bundesstaat Mississippi, sehalten die drei Scherzkekse blitzschnell auf den Ernst des Lebens um. Sie haben in den vergangenen Jahren eine Reihe von Benefiz-Konzerten gegeben, um damit zum Erhalt und zur Erweiterung dieses Museums beizutragen, das die Tradition des amerikanischen Blues pflegt. „Wir sind rein zufällig auf das Museum gestoßen“, erklärt Bill. „Ein Freund fuhr in der Umgebung von Memphis umher und entdeckte plötzlich ein Hinweisschild. Dann besichtigten wir dieses Museum, das im Nebenraum einer öffentlichen Bibliothek untergebracht war, mal selbst. Ein aller Mann hatte es aus Verehrung und Liebe zum Blues eingerichtet. Er kam gerade vom Besuch einer Hütte zurück, in dereinst Muddy Waters seine Kindheit verbracht hatte, und er schenkte uns als Andenken ein Holzstück vom Dach jener Hütte. „
Auf dem Rückweg nach Memphis machten die drei Top-Musiker bei einem Gitarrenbauer Station und baten ihn. aus genau diesem Holzstück eine Gitarre zu fertigen. „Die stifteten wir dann als Ausdruck unserer Dankbarkeit dem Museum.“
Vielleicht wirkte sich die Begeisterung fürs Blues-Museum auch aufs neue Album aus. mit dem sich das Trio sozusagen an den eigenen Haaren aus dem Sumpf des arg vom Computern geprägten Vorgängers AFTERBURNER gezogen „haben. Auf RECYCLER feiern sie nämlich ihre Rückkehr an die Wurzeln des Blues.
Und deshalb zieht Bill Gibbons wie folgt Bilanz: „Wir hallen 20 Jahre Zeit zum Üben. Wir begannen als eine Art Garagen-Band und wollen mit diesem Album ab sofort wieder in die nach Schmiere stinkende Garage zurückkehren. Denn ZZ Top ist nun mal ein stilistischer Komposthaufen.“