18 Löcher Mit Dieter & Boris


Ich war neun oder zehn Jahre alt, als ich zufällig einen lädierten Golfstock fand und auf der Straße das Golfspielen lernte. Meine Mutter, die wohl schon zerbrochene Scheiben vor ihrem geistigen Auge sah, schickte mich dann auf einen Golfplatz, wo ich in den nächsten Jahren so fanatisch übte, daß ich wenig später tatsächlich in der Junioren-Nationalmannschaft stand.

Der normale Spieler haßt es ja, auf der driving ränge bis zum Vergasen den Abschlag zu üben. Oder aber auf dem Grün stundenlang am Einlochen zu arbeiten. Bei mir ist es genau umgekehrt: Ich empfinde jeden Schwung als Herausforderung und Glücksgefühl. Der Schlag als Ausdruck einer allgemeinen Stimmigkeit — oder auch Unstimmigkeit, die in dem Bruchteil dieser einen Sekunde zutage tritt.

Insofern ist die Ausgangsposition beim Produzieren von Musik für mich durchaus die gleiche: Kreativität als spontaner Ausdruck einer zugrundeliegenden Befindlichkeit und Erfahrung.“

E Q U I P M E N T

„Wir haben bis zur vorletzten LP eigentlich immer auf völlig ungenügendem Equipment gearbeitet, was aber den Vorteil hatte, daß man eigentlich nur gewinnen konnte — so wie ein Rennfahrer, der einen inferioren Wagen steuert, aber durch den Einsatz seiner Talente den Konkurrenten Respekt abverlangt. Oder wie ein Golfer, der mit vorsintflutlichen Schlägern bei einem großen Turnier antritt und die arrivierten Cracks auf die Plätze verweist.

Wenn wir früher Stücke aufgenommen haben, geschah das immer in dem Bewußtsein, es später in einem richtigen Studio noch einmal neu aufzunehmen. „Das machen wir irgendwann noch einmal besser“. hieß es dann immer, was wir tatsächlich auch einige Male versucht haben, vom Ergebnis aber völlig enttäuscht waren.

Diese Leichtigkeit der ersten Jahre war bei der letzten und vorletzten LP nicht mehr vorhanden, weil wir inzwischen ideales Equipment besaßen. Die Herausforderung, in jeder Sekunde das Definitive zu machen, verbaute uns zunächst einmal den spielerischen Zugang. Es erging uns wie dem Freskenmaler, der beim

Für die einen Ist Life a Cabaret, für die anderen ein sattgrüner Golfplatz. Wergleicht man gar das Golfen mit dem kreativen Schaff ensproxeß, so werden die Parallelen noch frappanter. Meint Jedenfalls Yello-Sprachrohr Dieter Meier, der es als ehemaliges Mitglied des schweizer Golf-Nationalteams wissen müßte. Mit ME/Sounds ging er aufs Grün und sprach über die neue LP PLAG, Golf und das Leben als solches.

Auftragen der Farben weiß, daß er mit jedem Pinselstrich etwas Unwiderrufliches schafft.

Inzwischen haben wir den Respekt vor den neuen Maschinen abgelegt. Den respektlosen Umgang mit den Maschinen aber kann man nur erlernen, wenn man täglich mit diesem Monster umgeht. Wer als Musiker im Probenkeller seine Nummerchen übt und dann plötzlich diesem Monster begegnet, ist völlig verloren. Das ist ja auch der Grund, warum die Produzenten diese ungeheure Macht gewonnen haben. Sie sind die Verwalter des Monsters und daher die eigentlichen Machen.

Wir sind in der glücklichen Lage, täglich mit diesem Maschinen umzugehen, und haben deswegen die spielerische Leichtigkeit, die uns vielleicht zuletzt etwas abgegangen war, auf der neuen LP wieder gefunden.

W SPIELPARTNER

Unser Zusammenspiel ist extrem wichtig, gerade weil wir beide so gegensätzlich sind — sowohl in der Arbeitsweise als auch im Auftreten nach außen. Boris ist eher zurückgezogen und wäre auch glücklich, wenn er sein Studio auf dem Mond hätte, während ich die Kommunikation und das Reden über Musik nicht als notwendiges Übel, sondern als wichtigen Teil meiner Arbeit verstehe. Mein Auftreten nach außen wiederum gibt Boris die Möglichkeit und Sicherheit, seine Ideen in Ruhe zu entwickeln.

Es ist fast schon eine Manager-Funktion, weil ich Boris und seinen Arbeitsprozeß so abschütze, daß er erst ganz am Schluß der Produktion an die Öffentlichkeit treten muß. Es wäre unvorstellbar, wenn ein Außenstehender, z.B. ein Vertreter einer Plattenfirma, versuchen würde, Einfluß auf diesen Arbeitsprozeß zu nehmen. Dieses Abschotten ist also durchaus ein wichtiger Teil meiner Funktion.

Wenn Boris plötzlich nicht mehr da wäre, hätte ich nicht mehr die Tanzfläche, auf der ich meinen Tanz aufführen kann. Und das würde den Tanz völlig verändern, wenn nicht gar beenden.

Die Partnerschaft mit Boris ist für mich der Hauptakt in diesem Zirkus, und wenn der wegfallen würde, wäre das so, als ob im Trapezakt einer der beiden Partner ausfallen würde. Dann gibt es keine Trapeznummer mehr, dann gibt’s nur noch den traurigen Clown, der die Nummer ankündigt, nur noch den Husaren, der seine Pferde in der Manege auf den Hinterhufen tanzen läßt.

DER ABSCHLAG

Für Boris fängt jede Nummer mit einer reinen Klanaidee an. Er sitzt» 18 LÖCHER MIT DIETER & BORIS

etwa 70 Prozent der Zeit am Fairlight und mischt wie ein Maler die Klänge. Wenn er diese zusammenhanglosen Klänge hat, oft hunderte davon, und sie dann in eine Reihenfolge bringt, entwickelt sich für ihn daraus eine Atmosphäre.

Dann erst trete ich auf den Plan und bringe die Worte ein, wobei ich diesen Beitrag um Gottes willen nicht als Songschreiben, sondern eher als Z)ia/ogschreiben verstehe, Dialoge für eine Person, die wie eine Filmfigur durch die Klangszenerie von Boris hindurchführt. Deshalb sind für mich auch die Texte nicht Träger einer greifbaren Message, die man getrost mit nach Hause nehmen kann.

Nun kann es natürlich passieren, daß die von Boris geschaffene Atmosphäre und meine fiktiven Figuren partout nicht zusammenfinden wollen — eine prekäre Situation, in die man ja bekanntlich auch beim Golf geraten kann:

DER BUNKER

Wenn ich die von Bons geschaffenen Soundtracks höre — meist nicht im Studio, sondern abends am Schreibtisch —, dann stellen sich die Figuren normalerweise sehr schnell ein, weil die vorgegebenen Stimmungen für mich sehr eindeutig sind. Nun kann es passieren—und das wäre die Parallele zum Bunker-Schlag beim Golfen —, daß Boris sich mit der von mir vorgeschlagenen Figur überhaupt nicht anfreunden kann, wie etwa bei „Otto Di Catania“ von der Neuen LP.

Fast schon etwas verärgert habe ich mich daraufhin zurückgezogen und bin mit einer Alternative, nämlich der Figur dieses italienischen Komödianten, wieder im Studio aufgetaucht, von der ich nie und nimmer gedacht hätte, daß sie Boris gefallen würde.

Ich stellte mir einen kleinen, sentimentalen Entertainer mit einer krächzenden Stimme vor, ein römisches Cabaret mit Handorgel, einem Jongleur und einer Bauchtänzerin. Aber gerade dieses Szenario hat ihm dann ungeheuer gefallen — und mir schließlich auch, obwohl ich mich anfangs gar nicht getraut habe, diese Figur überhaupt vorzuschlagen.

Oder nehmen wir „3rd Of June“. Da habe ich einen Angestellten gesehen, der am Abend von dieser Metropolis von downtown Manhattan ausgespuckt wird und nach Hause hastet wie jeden Tag und sich plötzlich im Spiegel eines Schaufensters sieht. Er bleibt stehen, zieht sein Jacket aus, stellt sich darauf und hält eine Ansprache an Gott und die Welt. Eine Menschenmenge bildet sich um ihn, doch als sich die Wall Street leert, steht er noch immer da und redet gedankenversunken vor sich hin.

Es ist also im weitesten Sinne eine Geschichte über einen Menschen, der von dieser Maschinerie Manhattan angesaugt und wieder ausgespuckt wird. Er wird sich wahrscheinlich erholen und die letzte Metro nach Hause nehmen und am nächsten Tag wieder als gut funktionierendes Rädchen weitermachen.

In diesem Fall war es zum Beispiel ungleich einfacher, meine Figur in die rhythmische Klangvorlage von Boris einzupassen.

„Tied Up“, die Single, hatte wieder eine ganz andere Ausgahgssituation: Sie wird ganz vom Athmosphärischen getragen und hat keinen kontinuierlichen Inhaltt. Ich habe da eine african queen gesehen, die in die Stadt Einzug hält und dort ihren Rhythmus zelebriert, sozusagen ein urbaner Voodoo-Trance.

Das ist ja auch charakteristisch für Boris, daß er, wenn er wie hier z.B. Afrikanisches anklingen läßt, nicht etwa von einem ethnischen oder ethnologischen Standpunkt ausgeht, sondern sich Afrika erfindet, wie sich Karl May seine Landstriche erfunden hat.

U D A S PUTTEN

Wenn man mit dem Golfball auf dem Grün liegt, scheint der Pütt so einfach und ist in Wirklichkeit doch so schwer. Es ist die Angst des definitiven Abschlusses, eine Hemmschwelle, die wir genauso kennen, wenn wir ein Produkt endgültig aus der Hand geben. Es ist wie bei Marcel Proust, der auf den Druckfahnen seiner Romane einen neuen Roman schrieb — und auf den neuen Druckfahnen wieder einen neuen Roman. Es gibt da wirklich eine Hemmschwelle des Einlochens, des definitiven Weggebens.

Das geht mir allerdings nicht so extrem wie Boris. Er ist der Bildhauer, der seinen Klang Schlag für Schlag aus dem Rohmaterial herausmeißelt, während ich der japanische Kalligrafiker bin, der den Pinsel in die Tusche taucht und ausholt — und entweder das Wort in einem Zug schreibt oder aber alles verpatzt.

BIRDIE & BOGEY

Es fällt mir schwer, die Titel der neuen LP nach „Treffern“ und „Fehl-Schüssen“ zu gliedern. Unterschiedlich ist in jedem Fall der Arbeitsaufwand, etwa zwischen „Otto Di Catania“ und „Of Course I’m Lying“. Im ersten Fall war es, was meine Stimme angeht, ein first take, während im anderen Beispiel hunderte von Versuchen notwendig waren, um den richtigen Wurf zu landen.

Ein Birdy ist für mich der wunderbare Augenblick, wenn einem etwas völlig unerwartet zugeflogen kommt, wenn man Tage oder Wochen an diesem holy mountain der Kreativität geschlagen hat, bis sich dann plötzlich der Berg öffnet und einem alles zu gelingen scheint. Es ist mir manchmal aber fast schon peinlich, wenn ich mir vor Augen halte, wie leicht und leichtfüßig Ideen den Weg in meinen Kopf finden.

OUT 0 F B 0 U N D

Was soviel heißt wie: „den Ball ins Aus schlagen“. Wenn eine Bahn sehr eng ist, neigt man dazu, den Ball beim Abschlag bewußt zu „steuern“. Aber schon eine minimale Abweichung bei diesem Schwung, der ja der Moment der höchsten Entspannung und Leichtigkeit sein sollte, hat zwangsläufig zur Folge, daß der Ball weit ins Aus geht.

Und diese Situation ist durchaus auch im kreativen Prozeß gegeben, wenn man sich nämlich einer besonders interessanten oder diffizilen Aufgabe gegenübersiehl und bewußt versucht, mit seinem Intellekt zu „steuern“, es besonders konzentriert und gut machen will — und der Ball prompt weit ins Aus geht.

In dieser Situation sollte man die Gabe haben, über sich lachen zu können und den Ball wieder auf den Abschlag zurückzulegen, anstatt nun krampfhaft zu versuchen, aus dem Gestrüpp doch noch mit einem

Schlag auf das Grün zu spielen.

Jegliche kreative Hervorbringung ist ja mit der Gefahr verbunden, sich total zu blamieren. Es gibt nichts Langweiligeres, als einen Schlag auszuführen, der überhaupt nicht daneben gehen kann. Ich glaube, das Wichtigste für einen Artisten ist die Möglichkeit, ständig einen Idioten aus sich zu machen, die Möglichkeit, so unbelastet wie ein Kind an seine Aufgabe heranzugehen, ohne nun ständig an die Konsequenzen denken zu müssen.

Genau das ist ja der Grund, warum die Kunst meist so langweilig ist: Weil die Leute eine unsägliche Angst haben, unter den Augen der Öffentlichkeit daneben zu schlagen und sich durch bis auf die Knochen zu blamieren.

Gerade beim Abmischen passiert es immer wieder, daß man eine Idee völlig aus den Augen verliert, daß man sie durch zusätzliche Overdubs total verschüttet — und sich nach einer Woche Arbeit auf die Suche nach der ursprünglichen Idee machen muß.

Aber das ist ja gerade der Vorteil unserer Produktionsmöglichkeiten, daß wir nicht nach zwei Wochen auf die Uhr schauen müssen und sagen:

„Hall, wir haben jetzt soviel Zeit und Geld verbraten — wir müssen ans Ende kommen. „

Wir haben das Glück, Mischungen, die uns nicht gefallen, auf den Sperrmüll zu tragen. Es gibt Dutzende von angefangenen oder auch fertiggestellten „Leinwänden“, die in eine Sackgasse geführt haben und von uns verworfen wurden. Wobei es natürlich auch subjektive Meinungsverschiedenheiten darüber gibt, was gelungen ist und was nicht. Es gibt oft genug Ideen, die mir gefallen, von Boris aber abgelehnt werden — und umgekehrt.

Wir haben damit zu leben gelernt, daß wir gelegentlich auch einen Ball ins Aus schlagen. Und wir können sogar darüber lachen.“