25 Hour Party People
Sieben Sommer lang tanzten Berlin und seine Gäste in der Bar25 an der Spree. Es war ein Ort der Sehnsucht, ein Wolkenkuckucksheim mit einer eigenen Idee von Freiheit und eigenen Regeln. Die Bar war Versuchung und Versprechen: Nie zuvor hat ein Ort so konsequent bürgerliche Grenzen hinter sich gelassen. Die Fotografin Carolin Saage hat das Experiment all die Jahre begleitet und die letzte Party für uns festgehalten.
Am Ende war es eben doch mehr als nur ein Club: Die Bar25 war ein Abenteuer, Jahrmarkt, Bühne, Spa, Restaurant und vor allem – ein alternativer Lebensentwurf. Jetzt muss sie einem Bauprojekt weichen. Eine Erinnerung.
Just do it.
Wir hatten hinten gesessen. „Da draußen ist Kirmes“, hatte jemand gesagt und um zur Bühne oder zum Disco-Raumschiff zu kommen, hätten wir durch knietiefen Schaum schäumen müssen. Also blieben wir im hintersten Teil der Bar sitzen, im Schutz der mit Knöterich überwucherten Mauer, vor dem blauen und dem silbernen Bauwagen, auf den Sofas mit den Schafsfellen. Auf der Hängematte hinter uns hingen vom Regen nasse Shirts und Hosen. Am Freitag sei jemand über die Mauer geklettert, weil er nicht rein gekommen war und hätte sich beim Sturz beide Beine gebrochen, erzählte E. Sie hatte sich aber erst nichts dabei gedacht, als sie aus der Tür schaute und das Mädchen sah, wie sie mit Federschmuck im Haar einen jungen Mann in einer Schubkarre in Richtung Ausgang schob. Er habe dann ein Taxi genommen. „Das ist gut“, sagte der Mann, neben dem wir in der Kloschlange warteten und dem wir die Geschichte noch mal erzählten. „Warum, bist du Taxifahrer?“
Eigentlich sind die Geschichten von dieser Bar alle schon erzählt. Die Geschichten von den endlosen Partys, die von Freitag bis Dienstag dauerten, von den bösen Türstehern, und die von Tarantino, der die Bar25 angeblich mal kaufen wollte. Es sind Geschichten, die wie Märchen klingen. Sie klingen so, weil einige von ihnen auch welche sind. Die Mär von den Discokugeln, die so zahlreich waren, dass keiner sie zählen konnte. Die von der silbergrauen Katze, die man ab und an sah und sich dann doch nie ganz sicher war. Die von den Nonnen, die die Massen verführten. Das Versprechen von dem einen Ort, an dem jeder fand, was er gerade suchte. Und eigentlich gibt es nur die eine Geschichte der Bar. Es ist die Geschichte vom Sommer und vom Fluss.
Am Freitag hatten beim letzten Essen alle Reden gehalten. Die DJs sagten, dass sie ihre Karriere nur diesem Laden und seinen Machern zu verdanken hätten. Einer erzählte, wie er mit seinem Vater einen Abend im Restaurant zubrachte, der Vater war Polizist beim Drogendezernat und hinterher so begeistert, dass er fast stolz war auf seinen Sohn, der hier manchmal drei Tage am Stück verbrachte. Vielleicht wusste der Vater nicht, was es bedarf, an diesem Ort aufzulegen. Ich hatte mich nicht getraut und nur im Kopf eine Rede gehalten. Auf jeden Fall hatten an dem Abend alle geweint, vor allem, als einer der Macher sagte: „Also Leute, das war’s jetzt. Echt.“ Und dann meinte noch jemand, dass es so etwas wie diesen verwunschenen Spielplatz nie wieder geben wird, mit so viel Grün, mit Schmetterlingen, mitten in der Stadt. Die Bäume waren ja hier auch viel schneller gewachsen als anderswo, zumindest wollte ich das glauben.
Seit der frühesten Kindheit war Sommer ja immer nur eine Erinnerung. Ein verzerrter Geruch in hellgelb, ein Moment, der schon vorbei war, wenn man sich danach sehnte. Die Bar aber war jener Ort, an dem man neue Sommererinnerungen sammeln konnte. Ein wenig vernebelt, schon möglich. Hier gab es schon im dritten Jahr ein Damals. „Laufsteg“, sagten die Leute manchmal – und fügten noch „Eitelkeiten“ hinzu. Aber eigentlich lief man diesen Laufsteg nur so gern entlang, weil man sich freute, dass man sich nicht mehr verstecken musste. Nicht ohne Grund wurden Vergleiche zu Kinderbüchern gewählt. Hier sei es wie an Pippis Sehnsuchtsort, dem Taka-Tuka-Land – die Tür ein Loch, wie der Kaninchenbau, durch den Alice ins Wunderland gekommen war. Wir machen uns die Welt, widdewidde wie sie uns gefällt.
In der Nacht zu Montag war es plötzlich noch mal warm geworden. Wir saßen am Wasser hinter der Pizzahütte. Im Pool kreischten viel zu dünne Jungs und wir hatten die Köpfe zusammen gesteckt, schnitten uns die Wörter ab, um sie dann höflich wieder zuzulassen. Von weitem sah ich den Typen, der irgendwann aufgehört hatte, Drogen zu nehmen, weil er nun zu Allah betete. M. lief mit einem Eimer roter Farbe umher und schrieb irgendwas an die Holzwände. Im letzten Jahr hatte sie dem Wildschweinkopf im Restaurant eine rote Nase gemalt. Später wurde der dann entführt, aber irgendwann war er einfach wieder da. Neben den Containern an der Skaterampe, in den die Skaterjungs in diesem Sommer eingezogen waren und Schokopudding aßen, stand ein Herr im Anzug und mit weißen Haaren. Er ließ sich gerade, vermutlich von seinem Sohn, das Gelände zeigen. Wir taten so, als wäre dies der reichste Mann der Stadt, der uns alle retten würde. Alle 8.000, so viele müssen es mindestens gewesen sein, die dieses Wochenende noch mal durch die Mauer gekommen waren. Diese Mauer, vor der so einige Touristen standen und dachten, es sei die Berliner Mauer, hat beschützt und einen Ort markiert, der Regeln hatte, die niemand versuchen durfte aufzuschreiben. Und der Grund, warum sich hinter der Mauer niemand eingeschlossen fühlte, war der Fluss, der alles hier her und wieder fort spülte. Den Schall, die Welt, die Liebe, die Geschichten, selbst die Pfandbecher.
Jemand stand auf dem Dach und sagte, dass die Polizei jetzt käme, um die Anlage zu konfiszieren. Aber es war egal, es gab ja kein Morgen. Alle sagten immer, die Bar25 sei ein After-Hour Club, das stimmt aber nicht. Die Bar hat die After Hour aufgelöst. Wir schauten in den Himmel und versuchten, das alles noch einmal ganz besonders zu fühlen. Und dann hörten wir Pfiffe und hatten kurz Angst, dass es jetzt Ärger geben würde. Doch als die Truppe durch den Schaumpartybereich marschierte, rief einer „Toll, die Stripper sind da!“ Die haben dann die Anlage abgebaut, das mussten sie. Vielleicht wussten sie aber auch, dass auf dem Gelände sieben Anlagen zum letzten Tanz aufspielten. Die hätten sie erst alle abbauen müssen, um diese Party zu beenden.