This was England
Mit abstraktem Hip-Hop und gut abgehangenen Jazzbeats wurde Ninja Tune zu einem der wichtigsten Label der Neunziger. Die sind vorbei. Ninja Tune aber lebt, seit 20 Jahren. Gratulation.
Ninja Tune lässt sich ohne Trip-Hop nicht denken, so wie sich Trip-Hop nicht ohne Ninja Tune denken lässt. Sie waren schuld an vielem, was man daran toll fand, und mussten irgendwann herhalten für vieles, was man daran doof fand. Zu Unrecht: Trip-Hop ist längst tot, die Ninjas werden dieser Tage 20 und erfreuen sich bester Gesundheit. Auch die leicht ergrauten Schläfen unter den Strumpfmasken stehen ihnen ganz hervorragend.
Auf ewige Jugend war das Label ohnehin nie ausgerichtet. Bereits Mitte der Neunziger, als es einen Moment lang tatsächlich das Tempo auf den Tanzböden der Welt vorgab, strahlte es etwas angenehm Onkelhaftes, im besten Sinne Behagliches aus. Während einen die Metalheadz jeden Sonntag im Blue Note mit Lichtgeschwindigkeit um den Planet Rock katapultierten, zelebrierten Ninja Tune Acid Jazz auf höchstem Eleganzniveau. Muckertum unter den Vorzeichen des hippen Jungsjahrzehnts. Dabei waren Jon More und Matt Black, die Gründer des Labels, technischen Neuerungen stets aufgeschlossen. Als Coldcut legten sie 1987 eine neue Messlatte für die leistungssportliche Verwendung von Samples auf. Im Club experimentierten sie früh mit audiovisuellem Heckmeck und DJ-Sets an vier Plattenspielern. Doch sie taten es stets im Stil sympathisch schrulliger Liebhaber. Ließen sich nie verleiten vom Taktmaß ihrer Stadt. Füllten Form mit Substanz.
Electric Lazyland heiß 1995 eine ihrer Platten, Freedom eine andere: Dass sie nicht zwanghaft jeden Montag das nächste neue Ding ausgraben mussten, gab ihnen die Freiheit zu tun, was sie wollten. More und Black bezeichneten ihren Künstlerstamm einmal als „Ansammlung von Spinnern, die sich aus dem Sammelalbum der Popkultur Cut’n’Paste-Identitäten zusammengebastelt haben“. Das ist ein bisschen kokett. Vor allem aber die Wahrheit. Die großen Ninja-Acts wie Herbaliser, Mr Scruff und DJ Vadim sind nie Revolutionäre gewesen, sondern gewitzte Jäger und Sammler im großen Wald der DJ-Culture. Wenn die Jubiläumsfeierlichkeiten dieser Tage also unter dem Slogan „20 Years of Beats & Pieces“ abgehalten werden, dann ist das trefflich formuliert. Ninja Tune ist ein Spross des Samplegedankens. Eine Verneigung vor der Idee, aus alten Teilen ein neues Ganzes und manchmal sogar etwas ganz Neues zu machen.
Man muss ehrlich sein: Wirklich Aufregendes ist auf Ninja Tune lange nicht mehr erschienen. Acts wie Cinematic Orchestra oder Bonobo sind gute, teilweise hervorragende Musiker. Mit dem Stand der Kunst in Clubland aber haben sie nichts am Hut. Das Sublabel für Bleeps und Ambient, Ntone, hat längst geschlossen, und auch der Hip-Hop-Ableger Big Dada hat sich vom stürmischen Pioniergeist seiner Drangphase verabschiedet. Zwar landete das Label zwischendurch immer mal wieder einen Clubhit, Spank Rocks „Rick Rubin“ etwa oder den epischen Henrik-Schwarz-Remix von Coldcuts „Walk A Mile In My Shoes“ mit der heiligen Stimme des House, Robert Owens. Doch auch der war mehr Statement als Wagnis. Und nicht zuletzt auch schon wieder vier Jahre her. Wenn nun also zum Zwanzigsten ein üppiges Boxset mit sechs CDs, sechs Vinylsingles, einem Buch und allerlei sonstigem Schnickschnack erscheint, sind die Spötter entsprechend schnell auf dem Plan: So ein Luxuspaket sei nur konsequent, schließlich stelle man sich eine Ninja-Tune-Platte heute lieber ins Regal als dass man sie sich tatsächlich anhörte.
Die Spötter jedoch spotten vorschnell. Ninja Tune XX ist kein Rückblick auf zwei Jahrzehnte „Funkjazztical Tricknology“ – dabei gäbe der Katalog wahrlich genug Klassiker aus diesem Repertoirebereich her, von DJ Foods „Fungle Junk“ bis hin zu Mr. Scruffs „Get Your Move On“. Stattdessen enthält die Box Beiträge von Floating Points, Joker, Dorian Concept, Rustie, Kyle Hall, Scuba und Flying Lotus. All jenen also, die elektronische Musik dieser Tage wirklich vorantreiben. Nostalgiker müssen erkennen, dass es den Ninja-Sound der Neunziger nicht mehr gibt. Ja, dass es eigentlich gar keinen Ninja-Sound mehr gibt. Zwischen dem Unterwasserfolk von Andreya Triana und dem Bashment-Basstarden von Poirier und Toddla T zum Beispiel liegen Welten. Jammer versteht sich auf Grime, Eskmo macht Broken Beat.
Sie alle machen und veröffentlichen seit Jahren Musik. Die Stile, die sie repräsentieren, sind längst etabliert. In dieser Hinsicht bleibt sich Ninja Tune auch im zwanzigsten Jahr seines Bestehens treu: Sie jagen nicht Trends, sondern geben ihnen eine Plattform und Zeit zum Atmen. Und das obwohl die Luft überall dünner wird, oben sowieso. Dazu herzlichen Glückwunsch. Auf die nächsten 20!
Albumkritiik S.123
www.ninjatune.net