Quer, nicht queer
Kritiker lieben den Falsett-Dreampop der WILD BEASTS. Doch der britischen Band ist das egal. Sie wollen einfach nur weiterhin fremden Fußstapfen ausweichen.
Nein, die Wild Beasts sind nicht schwul. Nicht, dass das eigentlich von Interesse wäre, aber in Macho-Britain wird eine Band wie diese sofort kritisch beäugt. Dabei haben sie sogar mal eine Fußballhymne geschrieben, gesungen im Falsett, aber doch eine Fußballhymne. Auch sonst ist die Kopfstimme von Hayden Thorpe, gerne im zärtlichen Duett mit der Kopfstimme von Tom Fleming, der vielleicht wichtigste Bauteil in der Musik der Wild Beasts. Keineswegs beschäftigt sich diese Gruppe aus dem beschaulichen englischen Lake District mit Gender-Fragen, „queeren“ Pop-Entwürfen oder sonstigem Geschlechterrollenbrimborium – sie liegt einfach nur quer im Mainstream der britischen Popmusik. „Du spielst auf den Lad-Rock an“, sagt Thorpe, „auf Bands wie Oasis und Glasvegas. Das sind meistens proletarische, wuchtige Sachen, stimmt. Aber eben auch sehr männliche Schnittmuster. Nichts gegen Oasis. Uns ging es eher darum, fremde Fußstapfen zu vermeiden.“ Sein Kollege Tom Fleming sekundiert: „Wo wir herkommen, gibt es nicht einmal einen ordentlichen Plattenladen. Wenn du dich für Musik interessierst, bleibt nur der Mainstream – oder das Internet. Und dann fängst du irgendwann an, dir deine eigene Musik zu basteln.“ Ganz ohne Vorbilder geht das freilich nicht. Die Wild Beasts, benannt nach den „Fauves“, den „wilden“ Malern der französischen Kunst-Avantgarde zur vorvergangenen Jahrhundertwende, verehren The Smiths. Und Kate Bush. Vor allem Kate Bush: „Selbst ihre schlechteren Platten sind noch immer Offenbarungen. Es ist, als könne sie nichts falsch machen.“ Als Falsettfreunde kommen Thorpe und Fleming natürlich nicht um Antony Hegarty herum. Tatsächlich könnte man einem Tauben ihr neues Album Smother als tollkühne Kreuzung aus dem poetischen Gestus der Smiths, dem perkussiven Kosmos der Kate Bush und der Stimme von Antony & The Johnsons beschreiben. Ein gewagter Cocktail, der nicht jedem schmeckt.
„Damit haben wir kein Problem“, sagt Thorpe. „Die Leute hassen oder lieben uns. Hauptsache, wir sind ihnen nicht egal.“ Eine solche Haltung kann sich leisten, wer einen Mercury Prize (für ihr 2009er-Album Two Dancers) im Rücken hat und das Wohlwollen der Kritiker. Den Sprung aus der Provinz über Leeds nach London jedenfalls hat das Quartett endlich geschafft. „Eigentlich ist es egal, wo wir unsere Musik machen“, sagt Fleming: „Wenn wir zusammen sind, machen wir Wild-Beasts-Musik“. Überhaupt sei London viel zu teuer, um dort „so was Unsicheres wie Musik“ zu machen. „Junge Leute“, sagt Thorpe, „gründen in dieser Stadt keine Band. Niemand redet darüber, keiner will’s zugeben, aber: Es sind eigentlich immer die Eltern der jungen Leute, die Bands in London gründen.“
Albumkritik S. 108