Boom Box
Die Hiphop-Kolumne von Davide Bortot
Der Real-Time-Rapper
Lil B, der strahlendste Exzentriker der HipHop-Welt
Benimmt sich Ihre Tochter in letzter Zeit merkwürdig, schreit „Wooo“ oder „Swag“ oder beides, rührt dabei in einem imaginären Kochtopf und bedankt sich anschließend via Twitter bei einem Mann, der sich eine „Bitch“ nennt und über 150 MySpace-Seiten unter verschiedenen Namen betriebt?
Puh, dann ist ja alles in Ordnung.
Seit knapp zwei Jahren ist der mittlerweile 21-jährige („I’m an old bitch“) Brendan McCartney aus dem kalifornischen Berkeley der strahlendste Exzentriker der HipHop-Welt. Von seiner Vergangenheit als Mitglied der lokalprominenten Teenie-Truppe The Pack hat er sich vollumfänglich gelöst: Als Lil B ist er auf seinem eigenen Planeten unterwegs. Und dieser Planet heißt Internet.
Während sich die Weltpresse hyänengleich auf den fast gleichaltrigen Tyler, The Creator stürzt, in ihm wahlweise den neuen Eminem, den neuen Wu-Tang Clan oder neuen Sex Pistols sieht, ist Lil B weit mehr als das: Er ist der neue Lil B. Ein Rapper völlig neuen Typs, der das Netz nicht nur als probates Promo-Instrument versteht, sondern komplett darin aufgeht. Er selbst beschreibt sich als „real-time rapper“, was ihm durch den Kopf geht, geht im nächsten Moment um die Welt. In freier Assoziation reiht er Wortketten über Jesus, Oralsex und Mel Gibson aneinander, höhlt in bester HipHop-Tradition Begriffe aus und füllt sie nach Belieben mit neuer Bedeutung. Sein neues Album heißt I’m Gay – dass er deswegen gay ist, heißt das aber noch lange nicht. „Based“ nennt Lil B diesen Kosmos, an dem er alle offenherzig teilhaben lässt, eine 181°-Umdeutung eines gängigen Slangausdrucks für Crack, „Base“. Er selbst ist der „Based God“, seine Jünger lieben ihn weit über das genreübliche Maß der Heldenverehrung hinaus. Sein x{0152}uvre ist dabei eher unübersichtlich. Weit mehr als tausend Songs brachte Lil B allein über besagte 150 MySpace-Seiten unter das Volk, bevor er – vermutlich aus Altersgründen – auf Twitter umsattelte und von dort unter anderem ein Spoken-Word-Album auf Ambient-Basis (Rain In England) sowie ein Mixtape mit Freestyles über Beats des mysteriösen Maskenmannes MF Doom lancierte. Auf YouTube gibt es gefühlt stündlich neue Videos, selbst gedreht und größtenteils von unmittelbarer, überdrehter, verstörender Schönheit.
Um Lil B zu fühlen, muss man mindestens alle davon gesehen haben. Verstehen geht eh nicht. Zumindest nicht als uralte Bitch von über 22 Jahren.