Königin im Zeichendschungel


Wer gut gekleidet ist, entscheidet Jan Joswig. Heute vor dem Stilgericht: Grace Jones

Grace Jones ist die Lady Gaga des Discozeitalters; nur mit diskussionswürdigerer Musik, dank Sly & Robbie. Schon in den frühen 1980ern entwarf sie sich – mit dem Fotografen Jean-Paul Goude als rechte Hand – als ein über-artifizielles Gesamtkunstwerk. Ihre Kunstfigur nahm so außerirdische Züge an, dass ihre Nacktheit jeglichen sexuellen Reiz verlor. Grace Jones hatte sich aus dem Menschengeschlecht verabschiedet, um mit einem Citroën CX zum Cyborg zu verschmelzen. Auch Lady Gaga entkommt der Sexismusfalle durch diesen futuristisch-dadaistischen Dreh. Beide gehören einem dritten Geschlecht an – im Gegensatz zu Madonna, die ihre verschiedenen Persona immer extremer mit weiblicher, wenn auch dominant weiblicher Sexualität auflud. Bei Madonna und den Booty-Babes im R&B, die den voyeuristischen Männerblick bedienen, das aber als postfeministische Selbstermächtigung ausgeben, bleibt die Frage offen: emanzipatorische Selbstverwirklichung oder sexistische Männerfantasie? Bei Grace Jones stellte sich diese Frage nie.

Und immer noch – mit 63 Jahren – ist sie die Herrin im Zeichendschungel, die neben dem Gender-Thema die Frage nach der ethnischen Zugehörigkeit, die Race-Frage stellt. Ihre Stammesbemalung mit Schweifhelm bedient eine der populärsten sexistisch-kolonialistischen Fantasien: die schwarze Frau als Gazelle, die im Einklang mit der animistischen Natur jenseits der Zivilisationsneurosen lebt. Diese Naturschönheit nehmen dann die weißen Männer in ihrer topaktuellen Safari-Uniform von Jean Paul Gaultier, Hermès oder Gucci aufs Korn. Doch genauso wenig wie Grace Jones als Disco-Pin-up taugte, lässt sie sich nun als Safari-Trophäe erlegen. Ihr Look bedient keinen Rückfall in kolonialistische Herrlichkeit, wie der erste Blick suggeriert, er sagt ihm den Kampf an. Von den V-Pfeilen, die wie Wurfgeschosse aus ihrem Schritt ausschwärmen, bis zum Haarkamm entpuppt sich Grace Jones statt als liebliche Ethno-Gazelle als martialischer Ethno-Cyborg. Die Entmenschlichung, sie funktioniert auch bei der Race-Frage als emanzipatorische Waffe. So wie Schwarzenegger in der grünen Hölle Vietnams von der außerirdischen Kampfmaschine Predator überrascht wurde, lässt Grace Jones alle Milchbubies vor Schreck in ihre Safarihosen pinkeln. Ein starkes Wesen.

Jan Joswig ist studierter Kunstgeschichtler, wuchs in einer chemischen Reinigung auf, fuhr mit Bowie-Hosen Skateboard und arbeitet als freier Journalist für Mode, Musik und Alltag. Was LL Cool J in den Achtzigern die Kangolmütze bedeutete, ist ihm der Anglerhut.