Kraft der Stimme


Die ausgebildete Opernsängerin Katie Stelmanis hat mit ihrer Band Austra dem Synthiepop eine feierliche Note verpasst.

Opern füllten die großen Theater, bevor Musik und Gesang verstärkt werden konnten. Und weil die besten Opern schon geschrieben worden seien, brauche die Welt heute keine Opern mehr. Sagt Katie Stelmanis, ausgebildete Opernsängerin, Pianistin und Frontfrau der Band Austra.

Vierzehn Jahre Gesangsausbildung, davon die ersten sechs im Canadian Opera Company’s Children’s Chorus, haben aber deutlich Spuren auf dem Debütalbum ihrer Band hinterlassen. Die Stimme der 26-jährigen Kanadierin fährt mit einer fast schon provozierenden Klarheit durch die bass- und beatintensiven Gothpop-Songs auf Feel It Break. „Ich singe heute keine Opern mehr, ich könnte das wahrscheinlich gar nicht mehr, selbst wenn ich wollte“, sagt Katie Stelmanis. „Aber ich weiß immer noch, wie ich atmen muss, wie ich einen Klang forme. Für mich ist Singen wie Fahrradfahren, ich habe die Gesangstechniken eben einmal gelernt. Das Wissen um die Kraft meiner Stimme, das wird mir immer bleiben.“

Mit dieser feierlichen Sopranstimme führt Katie Stelmanis eine kleine, aber feine Bewegung in der elektronischen Popmusik an: Sie nennt das etwas umständlich das Frauen-mit-den-großen-Stimmen-Ding, das vor Jahren noch nicht möglich gewesen sei. „Es ist noch nicht lange her, da wurden die sanften Folksängerinnen gefeiert, inzwischen haben sich die Leute an kraftvollen Frauengesang gewöhnt.“ Die Erfolge von La Roux und Little Boots sind Beleg dafür, die ebenfalls klassisch trainierte Stimme von Zola Jesus war Gegenstand zahlreicher Lobeshymnen.

Dass ihre Ausnahme-Stimme am Anfang wenig Beachtung fand, macht Katie Stelmanis heute vor allem daran fest, dass sie zu lange musikalische Alleingänge unternommen habe. Ihr 2008 veröffentlichtes Solo-Album Join Us enthielt schon einen Großteil der auf dem Austra-Album Feel It Break enthaltenen Songs, damals klangen diese aber wie aus dem MIDI-Baukasten produzierte Lo-Fi-Keyboard-Dramen, erst in der Bandversion von Austra und im Mix von Damian Taylor (Björk, Prodigy, Unkle) haben sich Stelmanis esoterische Lieder in dunkel schimmernde Clubhymnen verwandeln können. „Damian hat die Musik modernisiert, damit sie über die PA-Systeme in Clubs gut klingt. Vorher war sie so schwer anhörbar, weil ihr die Erdung fehlte. Bass und Drums spielten vor diesem Album für mich keine so große Rolle. Im Mix von Damian hat die Musik mehr Tiefe und Intensität erhalten.“

Diesem Urteil schlossen sich Fans und Kritiker nach Veröffentlichung des Albums im Mai an. Die Austra-Songs ließen zwar Referenzen an den Synthiepop der 80er-Jahre und die experimentelleren Synthwave-Kollegen aus dem Hier und Jetzt erkennen, unter dem Strich aber begann die Musik erst im Spannungsfeld von Clubsound und Opernstimme zu schillern. Wobei Katie Stelmanis mit dem Wörtchen „Opernstimme“ nicht ganz einverstanden ist. Sie habe versucht, sich mit ihren stimmlichen Mitteln auf die Rockmusik einzulassen, eine Rock-Stimme zu finden, mit der sie sich wohlfühlte. „Am Anfang fand ich immer, dass ich mich anhörte, als würde ich jaulen und weinen. Das war eine schwere Zeit.“

Das Album, sagt Katie Stelmanis, sei überhaupt das Ergebnis eines harten Stücks Trial & Error gewesen; bis die Songs in dem Sound erstrahlen konnten, der sie jetzt auszeichnet, benötigten sie viele Versuche. Popmusik sei harte Arbeit, heute mehr denn je, findet die Künstlerin. „Ich denke, dass Bands heute mehr arbeiten müssen als noch vor 20 Jahren, weil viel weniger Geld von Seiten der Plattenfirmen im Spiel ist. Musiker müssen vieles selber erledigen, was ihnen früher abgenommen wurde. Ich kenne keine Band, die bis zum Anschlag Party macht während einer langen Tournee. Ist überhaupt noch viel Platz für Party? Vielleicht kenne ich aber auch die falschen Bands.“

Die Bandkollegen Maya Postepski (Drums) und Dorian Wolf (Bass) haben der blonden Vorsängerin Katie bereits den Spitznamen „Grandma“ verpasst, weil ihre Kollegin auf Tour immer so früh schlafen geht. Was wiederum mit der Vergangenheit als Opernsängerin zu tun hat. „Wenn du dich in der Welt der Oper befindest, stimmst du auch einem ganz bestimmten Lifestyle zu. Du musst sehr auf deine Stimme aufpassen, aber auch darauf, was du isst, wohin du reist, du darfst nicht krank werden.“ Man darf das auch Professionalität nennen, die vorbildliche Berufseinstellung hat Katie Stelmanis aus dem E- in den U-Bereich mitgenommen. Als sie 18 war und die Punk-Szene in Toronto zu entdecken begann, bedeutete die eiserne Opern-Disziplin allerdings Gift für sie. „Ich wollte meine eigenen Songs schreiben und singen. Oper ist dafür nicht flexibel genug.“

Als Katie eine Drummerin für ihre Punkband Galaxy suchte, stellte sich die Musikstudentin Maya Postepski vor, ein Nerd-Mädchen, das sich an klassischer Musik und Techno, an Prodigy und DJ Tiesto orientierte und optisch so gar nicht ins Riot-Grrrl-Outfit von Galaxy passte. Das war 2004. Als die Band zwei Jahre später auseinanderbrach, blieben Stelmanis und Postepski in Kontakt, sie standen in den darauffolgenden Jahren gemeinsam auf der Bühne und bilden heute den Kern von Austra. Ein melancholisches Doppel mit klassischer Vorbildung, das für den dunklen Grundton in den formschönen Elektroaufnahmen sorgt. Mit Maya Postepski verbinde sie eine gewisse Grundstimmung, sagt Katie Stelmanis. „Melancholische Musik hat mich immer schon angezogen, alle meine Lieblingssongs sind traurige Lieder. Ich tendiere dazu, Songs zu schreiben, wenn ich ganz bei mir bin. Das können auch dunklere Momente sein. Songwriting ist für mich eine Art Meditation. Und melancholische Songs zu schreiben, kann heilende Wirkung haben.“

Für Katie Stelmanis ist Maya Postepski auch eine Verbündete im Kampf für die Anerkennung homosexueller Lebensstile. „Wenn du über deine Musik und deine Songs mit dem Publikum kommunizieren willst, hat das Publikum ein Recht darauf, zu wissen, wo diese Songs herkommen, wie unser Background aussieht. Und wenn wir als Musikerinnen ehrlich sein wollen, dann dürfen wir nicht verschweigen, dass wir lesbisch sind. Es irritiert mich, wenn Kollegen sich anstrengen, das zu verheimlichen, ich kenne einige solcher Fälle.“ So hört sich das an, wenn Katie Stelmanis ihre privaten Erfahrungen für Queer Studies zur Verfügung stellt.

Gleich das erste Austra-Video zum Hypno-Clubtrack „Beat And Pulse“ wurde von YouTube zensiert. Was Regisseurin Claire Edmondson für die knapp vier Minuten im Fotostudio-Ambiente inszenierte, gleicht einem erotischen Reigen, einem Spiel um sexuelle Anziehung, in das ein Dutzend nur teilweise bekleideter Tänzerinnen involviert sind. Es gab Frauen, erzählt Katie Stelmanis, die sich dem Dreh sofort verweigert hätten, wenn der Film für eine männliche Rockband eingespielt worden wäre. So aber war alles fest in der Hand von Frauen – von der Regie bis zu den Darstellerinnen. „Niemand hatte das Gefühl, zum Objekt degradiert zu werden.“

Beim Thema Zensur geht Katie in Angriffshaltung. „Die Video-Künstlerin musste eine cleane Version ins Internet stellen. Ich war dagegen, aber unser Label wollte unbedingt auf YouTube vertreten sein. Die Zensur dokumentiert letztlich nur das nordamerikanische Wertesystem: Nackte Frauen stoßen auf mehr Widerstand als die vielen Videos voller Gewalt und Hass, das wirklich brutale Zeug auf YouTube.“

Austra

Austra ist der zweite Vorname der kanadischen Sängerin und Pianistin Katie Stelmanis. Im Alter von 10 bis 16 sang sie im Kinderchor der Canadian Opera Company, danach nahm sie klassischen Gesangsunterricht. Von 2004 bis 2006 war Katie Stelmanis Frontfrau der Punkband Galaxy, an ihrer Seite spielte damals schon Drummerin Maya Postepski. 2008 erschien Stelmanis‘ Solo-Album Join Us; viele der Songs auf dem 2011er Austra-Debüt Feel It Break stammen aus dieser Zeit. Mit dem Bandnamen Austra verabschiedete Stelmanis sich von der Idee einer Solokarriere unter ihrem Geburtsnamen, Austra soll den wachsenden Einfluss der Bandmitglieder Postepski und Wolf dokumentieren.