„Wir waren wie zugedröhnte Pfadfinder“
Wenn eine Band das dicke Ende des Britpop-Hypes symbolisiert, dann ist das Menswear. Die Londoner unterschrieben einen Plattenvertrag über 500000 Pfund – ihr zweites Album wurde nicht einmal mehr veröffentlicht.
„Wir wollten eine Band wie Blur sein. Es kränkte uns damals wahnsinnig, dass wir nicht ernst genommen werden. Aber wenn ich heute zurückblicke, verstehe ich es.“ Simon White sieht die Dinge entspannt. Das kann er auch, denn dieser Tage ist er gut im Geschäft. Er lebt in Los Angeles, ist Manager von Bands wie Phoenix, Digitalism und Bloc Party.
Mitte der 90er-Jahre spielte er bei Menswear die Gitarre. Eine Band, an deren Musik sich vermutlich die wenigsten erinnern. Die beiden Songs, die es in das kollektive Britpop-Gedächnis schafften, waren das von White geschriebene „I’ll Manage Somehow“ und das bei Wire abgekupferte „Daydreamer“. Spannender ist die Geschichte hinter der Band: Direkt nach ihrer Gründung wurde sie von der Management-Firma Phill Savidge unter Vertrag genommen, die sich schon um die Belange von Kollegen wie Pulp, Suede und Elastica kümmerten. Simon White erinnert sich: „Für sie war das alles auch ein Experiment. Wie viel Öffentlichkeit kann man für eine Band generieren, von der die Leute noch nicht mal wissen, wie sie klingt?“ Die Antwort lautete: eine Menge. Ein bidding war der Musikindustrie bescherte ihr einen Vertrag über 500000 Pfund. Basis dafür war ein Repertoire aus sieben leidlich originellen Popsongs – und die Tatsache, dass Menswear mit ihren aufwändigen Frisuren und ihrem Seventies-Look hervorragend aussahen. „Sie müssen verrückt gewesen sein. Aber damals war es die Regel, dass auch schlechte Bands großes Geld bekamen“, sagt White.
Dass es bei Menswear so weit kam, lag sicher auch an deren Beziehungen. „Unser Gitarrist Chris war mit Donna von Elastica zusammen. Ein paar von uns waren mit Graham Coxon befreundet, ich wohnte in einer WG mit Mark Webber von Pulp. Und wir hingen viel mit anderen Musikern herum – Dodgy, Gene, Sleeper, Saint Etienne, The Charlatans – das waren unsere Freunde.“ Außerdem ging man natürlich in den selben Pubs ein und aus, in denen die britische Pop-Journaille verkehrte. Ein gutes Jahr lang schien Menswear die Welt zu gehören. „Melody Maker“ und „NME“ nahmen die Band aufs Cover. Man spielte plötzlich nicht mehr in kleinen Clubs, sondern in großen Hallen und auf Festivals.
„Reading 1994 war sicher einer der Höhepunkte. Es war herrlich. Wir waren eine Gang rüpelhafter Pfadfinder – auf Drogen“, erinnert sich White. Das Problem war: Jede Nachhaltigkeit fehlte. Schon die Kritiken für das 1995 erschienene Debütalbum Nuisance waren mau. Die Singles charteten zwar – aber nicht so hoch, wie sie die Plattenfirma das vorgestellt hatte: Mit „Being Brave“ erreichte man Nummer zehn – mehr ging nicht. Als die Band 1997 den Nachfolger ¡Hay Tiempo! aufgenommen hatte, weigerte sich das Label, die Platte zu veröffentlichen. „Ein Jahr vorher wollte noch jeder mit uns befreundet sein. Und plötzlich taten die Leute so, als würden sie uns nicht kennen. Das war eine harte Lektion in Sachen Musikbusiness“, sagt White heute.
Auf eines legt er jedoch Wert: Die Mechanismen des Marktes hätten sich seitdem nicht verändert. Im Gegenteil – einen Hype anzustoßen, sei mit den Mitteln des Internets leichter denn je. Stichwort Tyler, The Creator. Stichwort Lana del Rey.
Trotzdem: White bereut nichts. Und ist auf eine Sache besonders stolz: „den Song ‚I’ll Manage Somehow‘. Den schrieb ich, bevor ich in der Band war. Ich lebte in Birmingham, war pleite und hatte keine Ahnung, wie die Zukunft aussehen soll. Dieses Lied hat mein Leben verändert. Und eigentlich ist es gar nicht mal so schlecht.“
Jochen Overbeck