Die dunkle Seite der 80er


Feedtime

The Aberrant Years

Sub Pop/Cargo

*****1/2*

Feedtime bewiesen, dass Australier nicht nur Punk, sondern auch Art Punk konnten

Junge Menschen müssen denken, die 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren eine bunte, lustige Zeit. Voller Stulpenstiefel und Schulterpolster, in den Modefarben der Saison eingefärbter Haare und aufgeregt piepsender Synthesizer. Doch das Revival täuscht. Die Eighties waren auch: Saurer Regen, NATO-Nachrüstung, Wackersdorf. Eine ziemlich depressive Zeit. Alle, auch die mit den Stulpenstiefeln, gingen fest davon aus, dass allerspätestens übermorgen die Welt untergehen würde. Manche trugen deshalb schwarze T-Shirts und fanden Synthies scheiße.

Das war auch die Zeit, in der die Briten schrammelten, die Amerikaner mit ihren eigenen Wurzeln nicht so recht klarkamen und einige Jahre lang die beste Rockmusik aus Australien kam. Dort hatte man die Erkenntnisse des Punk durchaus wahrgenommen, aber schneller als anderswo kapiert: Punk war eigentlich eine konservative Angelegenheit, eine Besinnung des Rock auf seine traditionellen Werte, nicht dessen Dekonstruktion. Also übernahmen australische Bands von Birthday Party bis hin zu Radio Birdman schon in den 70er-Jahren zwar die Attitüde des Punk, fusionierten sie dann aber mit handwerklichem Können oder doch wenigstens Geschichtsbewusstsein.

Die vergleichsweise vergessenen Feedtime passen nicht in dieses Schema. Und dann wieder doch. Gegründet in Sydney 1978 oder, je nachdem wen man fragt, auch erst 1979, war die Instrumentenbeherrschung nicht ihr allererstes Anliegen. Gitarrist Rick Johnson benutzte oft Bottleneck, das sparte dieses blöde Lernen der Gitarrengriffe. Bassist Larkin vergaß gern mal sein Instrument zu stimmen. Sturm trommelte auf einem spartanischen Schlagzeug-Kit, das aus selten mehr als vier Teilen bestand. Rhythmus-, Tempo- oder Harmoniewechsel beschränkten sie aufs Allernötigste.

Aber Johnson, Larkin und Sturm wussten, dass vor Punk einmal Rock’n’Roll gewesen war und vor dem wiederum der Blues. Allerdings der verzweifelte, wutentbrannte, zürnende, sehr frühe Blues. Dahingehend sind Feedtime in gewisser Weise das australische Pendant zum nahezu gleichzeitig von Jeffrey Lee Pierce gegründeten Gun Club, der die entsprechende Geschichtsforschung in Amerika betrieb.

Die Forschungsergebnisse formulierten Feedtime überaus eindringlich über Gitarren, wie man sie so massiv und schwer damals nirgendwo sonst hören konnte, und mit einer Stimme, die bellte wie ein schlecht gelaunter Drill-Sergeant, auf Konzerten, die bisweilen von Skinheads als Anlass für Schlägereien missbraucht wurden. Festgehalten wurde diese Urgewalt auf vier, auf dem Mini-Label Aberrant erschienenen Alben, die nun von Sub Pop in einer schicken Box mit Bonus-Songs und einem schönen, allerdings recht überschaubaren Booklet wieder veröffentlicht werden.

Kurz und prägnant fasste das Trio seine These zusammen im Song „Rock’n’Roll“ vom zweiten Album Shovel, das 1987 erschien und allgemein als das beste der Band gilt: „You can believe in Rock’n’Roll“, versprach Johnson, und viel mehr war nicht nötig, viel mehr Text gab es auch nicht. Aber Feedtime hielten das Versprechen, klangen noch einmal archaisch und unmittelbar, als stünden sie außerhalb aller Referenzsysteme und hätten diese seltsame, nicht zu erklärende Kraft des Rock’n’Roll gerade ganz allein und eher zufällig entdeckt.

Das war natürlich nicht so. Man kann in ihrer Musik nicht nur die Erkenntnisse hören, die auch der Gun Club dem Blues abgerungen hat, sondern auch die manischen Stammestrommeln, die Birthday Party adaptiert hatten, um ihrer Hysterie eine Struktur zu geben. Aber trotz solcher Anknüpfungspunkte haben Kritiker bisweilen eher hilflos versucht, der Musik von Feedtime mit Worten nahe zu kommen. Sie waren der Zug, der einen überfuhr, wenn man das Ohr zu lang aufs Gleis gelegt hatte, oder sie wirkten wie ein Sandstrahler auf die Gehörgänge. Für die einen waren sie die australischen Melvins, für die anderen immerhin noch Pere Ubu. Robert Christgau bescheinigte ihnen einst „den minimalistischen Thrill, der uns davon überzeugt, dass Rock’n’Roll niemals sterben wird“.

Sicher wahr. Sicherlich waren Feedtime eine minimalistische Band. Am deutlichsten wird das auf dem 1988 erschienenen, dritten Album Cooper S. Dort huldigt das Trio zwar seinen Helden von den Landsleuten X über Slade, die Stooges und die Beach Boys bis hin zu den Rolling Stones, von denen sie gleich vier Songs nachspielen. Aber diese Coverversionen sind weniger Aneignungen als Vergewaltigungen, nach denen von den Originalen nicht viel mehr übrig bleibt als ein kreischendes Häuflein Elend.

Aber der Minimalismus von Feedtime ist dann doch ein recht komplexer, denn auch wenn die Musiker sich als Instrumentalisten nur sehr langsam und eher widerwillig weiterentwickelten, hatte ihre Musik doch nie viel gemein mit klassischem Schrammel-Punk. „Wir waren keine Punkband, aber wir waren lärmig, laut und kompromisslos“, hat es Larkin später zusammengefasst, als die Band sich mit neuem Drummer noch einmal wiedervereinigt und sogar ein fünftes Album aufgenommen hatte.

Tatsächlich erinnern Feedtime, vor allem auf ihrem vierten, von Butch Vig abgemischten Album Suction von 1989, mit ihren mäandernden Gitarren, den ausufernden Strukturen und der weitgehenden Verweigerung eingängiger Refrainmelodien eher an die frühen Gang Of Four, wenn auch ohne deren Hang zum Funk, oder Wire. Allerdings hatten Feedtime deren Ideen zusammen mit ein paar Pflastersteinen in die Mischmaschine gesteckt und dann die Drehgeschwindigkeit bis zum Anschlag aufgedreht.

Auf Suction ist zu hören, was Feedtime vielleicht von Anfang an wollten: Leicht domestiziert, mit erkennbaren Basslinien und dem einen oder anderen Zusatzeffekt, ist zwar etwas von der rohen Gewalt verloren gegangen, die einzigartige Radikalität aber noch unbeschädigt. Im selben Jahr löste sich die Band nach einem Zusammenbruch von Gitarrist Johnson auf. Doch Feedtime hatten in diesem kurzen, heftigen Jahrzehnt bewiesen: Der Art Punk der 80er-Jahre hat zwar – vor allem im Gegensatz zum unsäglichen Prog Rock, der ihm vorausgegangen war – allerhand mit Kunst, aber nicht notgedrungen etwas mit Kunstfertigkeit zu tun.

Name Feedtime

Gegründet 1978/1979

Aufgelöst 1989

Kurz-Reunionen

1994, 1996

Genre Punk, irgendwie

Vorbilder The Rolling Stones, The Stooges, Slade

Prominente Fans

Sonic Youth, Kurt Cobain, Jon Spencer