Hühnerherzen, Klimawandel, Motör Eder und sein Truemuckl: Die Popwoche im Überblick
In seiner Popkolumne präsentiert Linus Volkmann High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Hypes, welche Serien lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? Folge 14. Mit Zeitumstellung, Greta Thunberg, Acht Eimer Hühnerherzen, einer Metal-Travestie auf Meister Eder – und dem ultimativen Rant gegen Islands Pop-Exportschlager Sigur Rós.
Logbuch: KALENDERWOCHE, 14/2019
In einem dieser hochpreisigen Kölner Wohlfühl-Kinos mit zehn Metern Beinfreiheit und Ledersitzen, in denen man quasi liegen kann, gibt es eine Gratis-Vorstellung. Oha! Zumindest für eine sehr spezielle Zielgruppe, zu der ich mich zählen kann: Anhänger von Eintracht Frankfurt wohnhaft im Rheinland. Der Film dazu: „Die Rückkehr des Pokals“, Frankfurt schlägt Bayern im DFB-Pokalfinale. Größeres Wunder als die Pyramiden! Ich weine immer noch, als ich abends Die Regierung im „Subway“ sehe.
Sorry, für alle Fans anderer Sport-Clubs. Jetzt wäre eine gute Zeit zu wechseln…
CLIP DER WOCHE: „Kerosin“ von Acht Eimer Hühnerherzen
Das Kreuzberger Trio mit 4 Fäusten (gehören alle Sängerin Vega) hat vergangenes Jahr völlig unaufgeregt einen richtigen kleinen Hype erzeugt. Vermutlich auch gerade weil der nicht-elektrifizierte Folk-Punk von Acht Eimer Hühnerherzen so wahnsinnig mühelos wirkt. Supersympathische Nerd-Popmusik mit stolzem (aber kaum hörbarem) Punkbackground – Bassist Johnny Bottrop spielt auch bei der Band Terrorgruppe. Ihr bekanntestes Video „Eisenhüttenstadt“ zeigt Vega oben auf einem Auto festgeschnallt, nun gibt es einen neuen Clip, ebenfalls mit Rennwagen-Kulisse. Ist das jetzt das neue Ding? Das Stück heißt auf jeden Fall: „Kerosin“.
EREIGNIS DER WOCHE: Sommerzeit-Umstellung
Das war auch noch, aber wie ging es damit jetzt noch mal weiter? Wird die Stunden-Jonglage jetzt tatsächlich abgeschaltet nächstes Jahr – nur weil irgendwelche Trauerklöße zu verschlafen sind, die Zeit zu ihren Gunsten zu manipulieren? Endlich im Sommer nicht mehr hell bis 22 Uhr? Das wollt Ihr, oder was? Dafür Sonnenaufgang um 4 Uhr morgens? Alles klar…
Die Sommerzeit abschaffen zu wollen, das ist für mich auf einem Level mit allen, die für den Brexit gestimmt haben. Mäkelige Querulanten regieren die Welt. Nicht auszuhalten.
APRILSCHERZE DER WOCHE: Greta und die Konzerne
Wie vieles in Bezug auf Web und Humor sieht sich auch der Aprilscherz mehr und mehr kommerzialisiert. Ein paar wenige gute dringen durch: Julia Friese vom Musikexpress habe ich tatsächlich abgenommen, sie hätte ein Kurzgeschichten-Buch über Wellensittiche zusammen mit Redakteur Jochen Overbeck geschrieben. Hey, das Posting klang total realistisch, ein Cover hatte es auch – und ich habe Jochen schon mal getroffen. Absoluter Sittich-Styler.
Ansonsten kommunizierten diese Woche eher Konzerne über den Aprilscherz mit uns: Telekom, Google und so Zeug. Haha?
Dass die heute alle lustig sein wollen, deprimiert mich wahnsinnig. Nicht mal blöde Witze im Internet bleiben einem noch.
Am markigsten war jenseits davon aber noch der Insta-Post von Greta Thunberg. Sie vermeldete jetzt endlich freitags wieder zur Schule zu gehen. Christian Lindner hat kurz gefeiert. Aber: April, April.
SERIE DER WOCHE: „Santa Clarita Diet“ (Staffel 3)
Ah, eine Wohltat, endlich bin ich mal vorne dran. Obwohl ich hier eigentlich nur ankündige, dass bei der Serie „Santa Clarita Diet“ mit Drew Barrymore als Zombie nun die dritte Staffel auf Netflix verfügbar ist. Dennoch ist es so, dass die hochverdichteten Kollegen von musikexpress.de alle relevanten Neuerscheinungen der großen Streaming-Anbieter meist schon bei sich als News aufbereitet haben, bevor ich es endlich geschaut und dazu was geschrieben habe. Verdammte Streber! Doch bei dieser grandiosen Serie bin ich mir recht sicher, die hatte selbst Bildschirm-Ultra Fabian Soethof noch nicht auf dem Schirm. (Hoffentlich!)
(Kommentar vom hier editierenden Fabian Soethof: Habe die Serie bewusst nie gesehen, Daniel Krüger warnte mich einst eindringlich davor.)
Ich hätte mich wegen des komischen Titels und des sterilen Vorschaubilds auch fast nicht interessiert – tat es zum Glück dann doch. Was für eine kurzweilige ZomCom mit völlig unberechenbaren, wunderbaren Figuren! Kleiner Spoiler: Drew Barrymoore ist eine frustrierte Ehefrau in amerikanischer Vorstadt-Idylle. Eine Zombie-Infektion weckt nicht nur ihren Bock, Menschen zu fressen, sondern auch ihre Lebenslust beziehungsweise ihren Sextrieb wieder. Kurz fasziniert besonders letzteres ihren Mann, aber das Ausmaß der Metamorphose seiner Frau bleibt ihm nicht lange verborgen. Und so weiter halt. Hochkomisch, ganz herzig und richtig spannend.
BUCH DER WOCHE: Motör Eder und sein Truemuckl
Bücher schreiben als vollendet veredelte Hochkultur-Spitzenleistung. So stellt es sich vielleicht noch der Germanistik-Professor a.D. vor. Die Wahrheit sind aber heute doch eher fix auf Buchlänge hochgejazzte ironische Popkultur-Verweise, geschrieben für Leute mit geringer Aufmerksamkeitsspanne. Diesem eigentlich nicht gerade besonders wertigen Prinzip hat der Zeichner Christopher Tauber ein wahnsinnig kurzweiliges Buch abgepresst. Die Idee war so gut, die musste man umsetzen. Im wahren Leben gestaltet Tauber unter anderem „Drei Fragezeichen“-Comics, hier hat er nun aus Meister Eder und seinem Kobold ein versoffenes bayrisches Metal-Gespann gemacht, die in einem Büchlein eine Handvoll Abenteuer in Kurzgeschichtenform durchleben.
Sprache und Eigenheiten der ikonischen Vorlagen sehen sich dabei liebevoll aufs Hard’n’Heavy-Milieu übertragen. Was keinen Zufall oder gar „kulturelle Aneignung“ darstellt – nein, der Autor ist selbst ziemlich affin. Schon 2011 überraschte er mit einem Metal-Ausmalbuch für Kinder (auch damals bereits mit Umlaut-Gag im Titel: „Mal Döch mal Metal“).
2019 geht der Spleen in die nächste Runde. Ob der Truemuckl versucht, ins Dosenpfand-Game einzusteigen oder seinem Motör Eder das Leben zur Hölle macht wegen eines Nebenbuhlers mit Namen „Doommuckl“ … dieses Buch bringt halt Spaß.
Zu beziehen über www.piwimonium.de.
MEME DER WOCHE:
DER VERHASSTE KLASSIKER: Sigur Rós
Sigur Rós
„Ágætis byrjun“
(VÖ Juni 1999)
Nichts gegen Island! Auf diesem enorm toxischen Felsen eine Zivilisation am Laufen zu halten, das ist schon eine Leistung. Dann wurde ja auch noch Björk geboren – und trotz fehlender Landwirtschaft groß gezogen (1,63 Meter). Das muss alles einkalkuliert werden, wenn man sich wieder ein wenig in den Mund gekotzt hat, weil ein Bekannter darum bittet, es „doch noch mal mit Sigur Rós zu versuchen“.
Klar, vielleicht hatte man sich immer nur geirrt. Immer nur geirrt, dass dieses ziellose Wehklagen eines gurgelnden Otters einfach die schlimmste Indie-Loser-Tapete ever darstellt?
Glaube ich ehrlich gesagt zwar nicht. Aber man will ja nicht unhöflich sein. „Nein, dann trinke ich halt noch einmal Brennspiritus. Vielleicht ist mir das letzte Mal doch von was anderem schlecht geworden.“ Oder eben auf Musik bezogen: „Nein, kein Ding, leg doch ruhig noch mal ‚Ágætis byrjun‘ auf. Bestimmt war alles bloß mein Fehler!“
Doch beim Hören wieder dieselben Impulse: Erst möchte man dem Besitzer der Platte wehtun, dann der Band – und spätestens nach dem dritten Stück sich selbst. Alles beim Alten, aber apropos drittes Stück: Das trägt den Titel „Starálfur“, was laut Wikipedia „Glotzelfe“ heißen soll. Für mich betont das die komplette „Hurz“-haftigkeit dieser Musik.
Kurzer Lichtblick: Ist das vielleicht alles ein Meta-Gag, die gesamte Band? Antwort: Leider nein, leider gar nicht. Wer aufgeblasenen Sphären-Pop für ein deepes musikalisches Erlebnis hält (und ich weiß, das tun viele!), der hat hier keinen Humor zu fürchten. Alles ernst gemeint – und alles doof wie Schwefel. So heißt zum Beispiel das Nachfolge-Album „( )“. Zwei Klammern, nichts dazwischen? Was für eine Idee. Wow! Gymnasiasten rasten aus!
Und man selbst schmeckt wieder nur Erbrochenes.
– Linus Volkmann („Musikjournalist“)
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Linus Volkmann im Überblick.
Vorwarnung: Von Mitte April an fällt die Popkolumne drei Wochen lang aus, weil Linus zu schwer beschäftigt ist: