Der Himmel über New York
Spätestens jetzt ist das Klischee von den cleveren Elite-Uni-Preppies überholt. Das dritte Album der Endzwanziger beschäftigt sich auf ernste Weise mit ihrer Heimatstadt und besitzt zudem sakrale Qualitäten. Aber natürlich bleibt Sänger Ezra Koenig ein ausgesprochen cleverer Gesprächspartner.
Martha’s Vineyard also. Die kleine Insel südlich von Massachusetts ist so etwas wie das Sylt der Ostküste. Der Kennedy-Clan zog sich hierhin zurück. Auch die Obamas haben hier ein Ferienhaus. Tausende Anwälte, Ärzte, Politiker, Professoren und Unternehmer aus Washington, New York und Boston kommen jedes Jahr zur Urlaubssaison. Martha’s Vineyard atmet den gediegenen, in maritimem Blau-Weiß und Rot gehaltenen Glamour einer traditionsbewussten Upperclass auf Sommerfrische.
Ausgerechnet hier haben Ezra Koenig und Rostam Batmanglij ihr Lager aufgeschlagen, um an den Songs des neuen Albums von Vampire Weekend zu arbeiten. Das machen die doch absichtlich! Das kann doch nur wieder so ein subtil beiläufiges Wedeln mit dem roten Seidentuch sein, um Kritiker und Blogger in Rage zu bringen ob dieser Schnösel von Ivy-League-Absolventen. Also bitte, Herr Koenig, was war das Versnobteste, was Vampire Weekend auf Martha’s Vineyard gemacht haben? Ezra Koenig fläzt stilbewusst im weißen Wollpullover auf der Couch des Hotelzimmers in Berlin-Mitte und beantwortet die Frage genauso eloquent, konzentriert und unbeeindruckt über den Dingen schwebend wie jede weitere: „Es gab da nicht so viel Versnobtes zu tun. Wir waren ja außerhalb der Saison dort. Da ist die Insel leer, windig und kalt. Von daher war das Dekadenteste wohl die Lobster Roll, die wir gegessen haben. Die kostet 20 Dollar, das ist nicht gerade billig. Aber nun, ich vermute, für richtig frischen Hummer ist das angemessen. Ich bin sowieso kein großer Hummerfan, aber wenn man schon mal auf Martha’s Vineyard ist …“
Während Grizzly Bear, die anderen Indiepop-Musterschüler aus New York, sich noch nicht einmal eine ordentliche Krankenversicherung leisten können, wie berichtet wurde, wartet das Kreativteam von Vampire Weekend auf Martha’s Vineyard auf Inspiration und gönnt sich 20-Dollar-Hummerfleisch-Sandwiches. Dass diese Band solche polemischen Überspitzungen zulässt, ja, durch ihr geschicktes Kokettieren mit dem eigenen Elitismus geradezu herausfordert, das war immer eines der Dinge, die sie spannend gemacht haben. Wenn man Sänger Ezra Koenig Glauben schenkt, sind Vampire Weekend solcher Spielchen aber eigentlich überdrüssig: „Ich war überrascht davon, wie provoziert sich manche Leute durch unser erstes Album fühlten. Natürlich haben wir dann mit dem zweiten Album darauf reagiert, auf humorvolle Art und Weise. Aber jetzt erscheint uns das alles nicht mehr sonderlich erfüllend. In gewissem Sinn haben wir uns bewiesen. Wir sind immer noch hier. Aber jetzt war es an der Zeit, in eine neue Richtung zu gehen.“
Tatsächlich werden auf MODERN VAMPIRES OF THE CITY einige Stellschrauben der Vampire-Weekend-Ästhetik neu justiert. Das fängt beim Cover an. Auf den ersten beiden Alben wurden dort in warmen Farben mit dem Charme sogenannter „casual photos“ Statussymbole inszeniert: Der Kronleuchter auf dem Debüt, das berühmte dottergelbe Poloshirt, das CONTRA zu einer von Ralph Laurens Lieblingsplatten gemacht haben dürfte. MODERN VAMPIRES OF THE CITY kommt dagegen in düsterem Schwarz-Weiß daher. Die Aufnahme des Zeitungsfotografen Neal Boenzi aus dem Jahr 1966 zeigt die Straßenschluchten Manhattans, zerklüftete schwarze Silhouetten, durch die dichte weiße Smogschwaden ziehen. „Was uns an dem Bild gefallen hat, war das Geheimnisvolle daran“, sagt Koenig. „Es wirkt irgendwie unheimlich, gleichzeitig aber auch sehr friedlich. Das Album handelt von einer Stadt mit all ihren verschiedenen Elementen, Facetten und Brüchen. So ein vieldeutiges Motiv war dafür einfach perfekt.“
Es ist also ihr New-York-Album geworden. Die Platte markiert zudem das Ende einer Trilogie und ist über weite Teile ein elegischer Abgesang auf die eigenen Zwanziger: „Natürlich sagt man sich als frisch gegründete Band nicht: ‚Wir machen jetzt eine Trilogie.‘ Aber wenn ich heute zurückschaue, fühlen sich unsere Alben an wie eine Coming-of-Age-Story oder ein dreiteiliger Bildungsroman: Es beginnt im College. Dann verlagert sich das Geschehen hinaus in die Welt, die Perspektive weitet sich. Und dieses Album ist jetzt ein bisschen wie eine Rückkehr nach Hause, zurück nach New York, hoffentlich mit ein paar neuen Ideen im Gepäck. Auf unserem Debüt waren wir in unseren frühen Zwanzigern, junge Studenten. Jetzt sind wir Ende 20, bei der nächsten Platte werden wir 30 sein. Es ist naheliegend, darin eine Art Abschluss zu sehen.“
New York in all seinen Facetten und der drohende 30. Geburtstag – derart gravitätische Themen verlangen nach einer angemessenen weihevollen Untermalung. Bislang zitierten sich Vampire Weekend virtuos durch den reichen Fundus der Popmusik, die sich dem Rest der Welt zu öffnen wusste, nach dem Vorbild der Talking Heads oder von Paul Simon. Manche Kritiker entblödeten sich ja nicht, die Band deswegen als postmoderne Popkultur-Kolonialisten darzustellen, rücksichtslose Eklektiker mit Ray-Ban-Brillen und Lacoste-Shirts, WLAN-Vampire, die das musikalische Erbe unterdrückter Nationen aussaugen.
Jetzt wildern Vampire Weekend dagegen im Sakralen. Der Opener „Obvious Bicycle“ begrüßt einen mit Gospelakkorden und der im Chor dargebrachten Aufforderung „Now listen!“. „Unbelievers“ steigert sich in einen hymnischen Schlussteil mit Bläsern und Flöten. Stücke wie „Step, Don’t Lie“ oder „Hudson“ durchzieht gar ein Hauch Barock – Cembalos und Bässe wandern hier gemessenen Schrittes durch die Harmoniefolgen wie bei der alten Nähmaschine Bach. Ezra Koenigs luftiges, cleanes Gitarrenspiel wurde völlig gekickt, die Rhythmus-Spielereien deutlich zurückgeschraubt. Stattdessen dominiert die Orgel. Was Vampire Weekend vorher mit der Weltmusik gemacht haben, machen sie jetzt mit der Musik des Himmels.
„Als Rostam und ich uns im College kennenlernten, verband uns auch die Liebe zu Weihnachtsmusik. Weder ich noch Rostam haben christliche Wurzeln, aber diese tiefreligiöse Musik hatte es uns angetan. Nicht, Jingle Bells‘ oder so was. Hymnische Stücke wie, Angels We Have Heard On High‘. Diese Musik ist so kraftvoll und emotional. Zu allererst gab es da also ein rein ästhetisches Interesse daran. Ich denke jedoch, dass sich auch einige Inhalte des Albums mit religiösen Themen überschneiden. Wenn man anfängt, über Identität nachzudenken, den eigenen Platz in der Welt, Liebe und Tod … Das sind alles Fragen, die in der Religion verhandelt werden. Ganz egal also, ob man ein gläubiger Mensch ist oder nicht, wenn man sich mit so etwas beschäftigt, entwickelt die Sprache der Religion einen starken Reiz.“
Koenig stimmt dann das Klagelied der entwurzelten Endzwanziger an. Es geht viel um Identitäts- und Sinnsuche, um die Sehnsucht nach spiritueller Geborgenheit und Heimat. Folgte er in seinen Stücken einst Diplomatensöhnen und Campusschönheiten aus gutem Hause hinaus in die weite Welt, so zeichnet er jetzt auch die verschlungenen Pfade nach, auf denen deren Seelen wandeln. Seinen Humor hat er dabei nicht verloren, aber das Album ist doch oft düsterer, als man es von dieser Band gewohnt ist. In „Finger Back“ heißt es gar: „I don’t wanna live like this, but I don’t wanna die.“ Moderne Vampire eben.
Der Titel des Albums ist hingegen ein Zitat aus Junior Reids Dancehall-Hymne „One Blood“: „Modern vampires of the city / Hunting blood, blood, blood.“ Auch eine politische Interpretation des Titels liegt da nahe. Wird er zurzeit eigentlich oft nach seiner Meinung zu Investmentbankern gefragt? Ezra Koenig seufzt leise. „Nun, viele Leute haben versucht zu erraten, wer diese modernen Vampire der Großstadt sind. Und Investmentbanker sind da natürlich naheliegend. Ich persönlich finde es allerdings öde, nur auf denen rumzuhacken. Natürlich haben Banker viel Mist gebaut, aber das brauchen wir den Leuten im Jahr 2013 echt nicht mehr erzählen. Für mich ist der, moderne Vampir‘ eine viel breitere Kategorie. Es geht darum, dass diese Gier, dieser Ehrgeiz in jedem von uns steckt, selbst in politischen Aktivisten.“
Meist werden Vampire auch als überaus attraktive Ungeheuer dargestellt. „Richtig. Manchmal fühlen sich die Menschen geradezu zu dem Gegenstand hingezogen, den sie kritisieren. Mir fällt das in letzter Zeit zum Beispiel bei den Diskussionen um Militär-Drohnen auf. Es gibt da diesen seltsamen Graubereich, diese Aura von Glamour und Sex-Appeal, zu der sich die Leute hingezogen fühlen, selbst wenn sie sich den Dingen, die dahinterstehen, von einem kritischen Standpunkt aus nähern. Aber das gibt kaum jemand zu.“ Ein Schelm, wer da Koenigs leisen Wunsch heraushört, die Kritiker mögen bitte auch weiterhin so obsessiv auf Vampire Weekend herumhacken – seiner so seltsam anziehenden Band.
Albumkritik S. 94