Kwes
Es haben sich in den letzten zwei, drei Jahren viele an einem Mix aus warm abstrahlendem R’n’B und der Klangsprache moderner Elektronik versucht. Einige Male entstand ein amtlicher Hype, der aber das Augenmerk meistens eher auf die technische Arbeit, auf den Beat legte als auf das tatsächliche Songwriting. Auch der Londoner Kwes hat seine Wurzeln sowohl im Soul als auch im kontemporären Dubstep-/ Elektro-Zirkus. Doch gräbt man ein wenig tiefer, entdeckt man mehr: Fünf oder sechs Jahre alt war Kwes, als ihm seine Großmutter ein kleines Keyboard schenkte, sie bestellte es bei Avon, jener Firma, deren Vertreterinnen von Tür zu Tür gehen, um vornehmlich Kosmetik zu verkaufen. Es folgten eine Kindergitarre und ein Mehrspurgerät. Mit 14 Jahren fing Kwes an, Klanglandschaften zu gestalten und Songs aufzunehmen. Die Helden des Mannes, der sich selbst als Stubenhocker bezeichnet: schon damals ein eklektischer Mix, Künstler wie N.E.R.D., Todd Rundgren, Soft Machine, Lee Scratch Perry und Shuggie Otis. Im Prinzip alle, die gut sind, quer durch die Genres.
2009 erschien seine erste „eigene“ Single „Hearts In Home“, ein hübscher Haufen verschiedener Texturen und Beats, der von einem Glockenspiel und Kwes‘ Stimme zusammengehalten wurde und vom Gegensatz von Pop und Broken Beats lebte. „Den schwarzen James Blake“ nannte ihn die britische Musikpresse damals. Seitdem veröffentlichte er eine Handvoll weitere Singles und EPs, darunter das wunderbare „Bashful“. In erster Linie jedoch arbeitete er als Produzent und Remixer für Kollegen wie Damon Albarn und Dan The Automator – mit ihnen reiste er für deren „DRC“-Projekt in den Kongo -, Joey Goddard von Hot Chip und Mercury-Prize-Gewinnerin Speech Debelle. Nicht zuletzt spielte er als Sessionmusiker bei Leftfield, Jack Peñate, Ebony Bones und Bobby Womack.
Nun erscheint mit ILP das Debütalbum von Kwes. Die Arbeit daran stockte häufig. Sieben, acht Monate, so erinnert sich Kwes, habe er im letzten Jahr gar nichts gemacht. Eine wahre Schreibblockade, die glücklicherweise keine Spuren hinterlassen hat. Die Songs des Synästhesisten -das bedeutet, dass Kwes Töne als Farben sehen kann, G-Dur ist für ihn etwa Orange – erinnern dabei an winterliche Ausflugsfahrten im VW Käfer. Man muss die Windschutzscheibe freikratzen, um etwas zu sehen, von innen wie von außen. Man muss sich konzentrieren, und das ist vielleicht etwas mühsam, aber man wird belohnt, denn dann zieht die Musik an einem vorbei wie eine schneegepuderte Mittelgebirgslandschaft im Winter. Man hört, dass einiges mit simpelster Produktionstechnik aufgenommen wurde -als Hardware verwendete Kwes unter anderem sein iPhone. Man hört aber auch, dass anstelle des Avon-Keyboards Klavier und Wurlitzer gerückt sind, und man hört auch dicke Beats. Wer Kwes verstehen möchte, sollte vielleicht direkt hintereinander die beiden Albumtracks „Flowers“ und „Hives“ spielen. Freier, genreloser und aufrichtiger klang Musik lange nicht mehr. Kwes selbst dürfte diese Begeisterung nur teilweise gefallen. Ihm würde es, so sagte er im Interview, mehr Spaß machen, die Arbeit der anderen zu vollenden. Zu helfen. „Ich bin gerne im Hintergrund.“ Es sieht ganz so aus, als würde sich Kwes an das Rampenlicht gewöhnen müssen.
CD im ME S. 19, Albumkritik S. 89
Eigentlich studierte Kwes Philosophie. Nach zwei Jahren schmiss er das Studium, um sich gänzlich der Musik zu widmen. Geblieben ist eine Liebe für Arthur Schopenhauer.
Kwes malt gerne – und benannte in der Vergangenheit Songs nach Paul Klee und Friedensreich Hundertwasser.
Prominente Kwes-Fans: Neben Damon Albarn auch Matthew Herbert und Kanye West.
Klingt wie: Curtis Mayfield, Aphex Twin; Kwes nennt seine Musik „Freepop“.